Der rauchende Schlund
9 Uhr 15: Wir stehen (mit den Velos!) am Kraterrand des Vulkans Masaya. Bis dorthin legten wir 30 Kilometer mit 500 Meter Höhendifferenz zurück. Kurz nach 8 Uhr wurden uns am Eingang zum Nationalpark eine Wartepause beschieden: Der Park öffne erst um 9. Dabei sind wir extra früh aufgestanden und haben schon um 6 gefrühstückt (in einem gemütlichen niederländischen Café, dem einzige am Ort, das so früh öffnet und uns das traditionelle „Gallo Pinto“ serviert - Reis mit Bohnen ; einmal mehr bewährt es sich, der Hunger bleibt für Stunden aus). Na gut, warten und schwitzen wir halt. Währenddem beobachten wir, wie sich die Parkguides besammeln. Alle tragen Jeans und Alltagsschuhe; der Aufstieg bzw. die Fahrt zum Krater sollte also zu machen sein! Wir schaffen es schon um Viertel vor 9, den Eintritt zu bezahlen, und machen uns auf den Weg, die sechs Kilometer lange Asphaltstrasse. Die ersten vier führen durch schattigen Buschwald, danach geht es aber richtig zur Sache. Wir fahren an Lavafeldern vorbei, die offenbar vom letzten grossen Ausbruch von 1993 stammen. – Masaya („brennender Berg“) ist der aktivste Vulkan Nicaraguas. Ständig steigen Gaswolken aus dem Krater auf. Dieses ist so tief, dass vom Rand aus kein Blick auf den Grund möglich ist. Die Dimensionen sind gewaltig.
Erstmals dokumentiert wurde der Berg 1524 von den Spaniern, die ihn für den Eingang zur Hölle hielten und darum unverzüglich, um den Teufel zu bannen, ein Kreuz platzierten. Seitdem ist er 19 Mal ausgebrochen. (Die Eruption von 4500 v.Chr. zählt übrigens weltweit zu den gewaltigsten seit der Steinzeit.)
Da oben kommt’s erneut zu einer herzliche Begegnung: Wir sind dabei, die Velos abzuschliessen, als der weibliche Guide neben uns bemerkt: „Braucht ihr nicht, ich schaue schon zu euren Rädern.“ Und sowieso, wer würde uns dort oben die Fahrräder klauen wollen? Danach unternehmen wir eine stündige Wanderung, herum um einen inaktiven zweiten Krater, der auf dem Grund bewaldet ist. Der Wanderweg ähnelt, abgesehen vom rutschigen Vulkankies, Schweizer Bergwegen. Wir bekommen unterwegs unter anderem die halbmondförmige Masaya-Lagune zu Gesicht. Auch kriegen wir einen Eindruck davon, wie fliessende Lava die Topografie neu gestaltet.
Auch auf dem Rückweg kommen wir auf dem gut angelegten, mit Kilometerangaben und Wegweisern versehenen Highway gut voran. Unterwegs sehen wir dank eines Geocaches (dem dritten von heute) die ehemalige Gefängnisanlage aus der Somoza-Zeit. Hier seien politische Gefangene eingesessen, i n unterirdischen Tunnels gefoltert und oft auch exekutiert worden. Das berichtet der Pförtner, der uns auch gleich bei der Cache-Suche hilft. (Wir verzichten auf einen Besuch in der Schreckensanlage. Der Hauptgrund ist aus dem Beitrag vom 22.01 ersichtlich.)
Nachdem wir uns etwas erholt haben, machen wir eine zweite Ausfahrt. Wir wollen heute einen vierten Cache suchen. Er soll sich bei einem Hügelkreuz befinden, zu dem ein abenteuerlicher Weg führt. Einer schrieb in seinem Logeintrag, er habe sich für den letzten Teil der Strecke nach dem Kreuz durchgefragt und sei so zum Ziel gekommen.
Dann also nochmals in die Velokleider gestiegen und los geht’s. Nach etwa 2,5 Kilometern geht die Verbundstein-Strasse in einen Karrenweg über. Sollen wir da weiterfahren? Ein Junge mit einem Fahrrad, dem wir das Stichwort „Posintepe“ geben – der Ort wo der Cache ist, soll so heissen - , fährt ein Stück weit mit und zeigt dann mit der Hand in eine Richtung. Der Weg wird jetzt noch ärger, er wird von Wasserrinnsalen durchfurcht – eigentlich ein Bachbett aus trockener Erde. Wir trauen der Sache nicht, bekommen aber von einer Frau, die das Gespräch mithört, die gleiche Richtung angezeigt. Weil das GPS nur noch 500m Distanz zeigt, wagen wir’s. Ergänzend zur Wegbeschreibung ist zu sagen, dass rechts und links des „Weges“ Leute wohnen, in Bretterbuden, Holzverschlägen, behelfsmässigen Behausungen. Haben die hier irgendeine Infrastruktur wie Wasser oder Strom? Wir fahren nur kurz weiter, denn jetzt geht es in einen veritablen Graben runter und jenseits wieder hinauf. Räder schultern. (Wir kehren auch deshalb nicht um, weil die Leute hier freundlich sind und Kinder auf dem Multifunktionsweg spielen.) Dann fragen wir erstmals nach dem Kreuz. Und bekommen wiederum Antwort. Es geht jetzt durch niedrigen Wald einen Pfad hoch, zum Teil mit grossen Steinen verblockt. Noch immer rechts und links vereinzelte Hütten. Zwei Schweine kommen entgegen, und wir steigen über eine Schnur, an der ein Schaf angepflockt ist. (Die Räder getrauen wir uns nicht zurückzulassen.) 150m noch! Zeno bleibt bei den Velos, Gerold geht erkunden. Wo ist das Kreuz? Als er es dann oben auf dem Hügel sieht, kehrt er um. Nun ist Zeno dran. Er geht mit der Kamera los – wir brauchen für den Logeintrag ein Foto – und ist etwa 15 Minuten später zurück. Jetzt nochmals das Ganze, aber in umgekehrter Richtung. Wir verzichten, mit einer Ausnahme, bewusst aufs Fotografieren, denn wir sind nicht berechtigt, das vermeintliche oder echte Elend zu dokumentieren. Wir schauen einfach noch genauer hin. Und sehen zum Beispiel einen Mann, mit dem Besen den Vorplatz vor seiner Waldhütte kehren. Oder Jungs, die mit Bikes die oben genannte Schlucht passieren. Und: Es gibt da Strom. Und auch Wasser!
Hey, bei uns schätzen wir am Cachen besonders, dass wir an Orte oder Plätze geführt werden, die kennen zu lernen es sich lohnt. Und hier bekommen wir dank des Posintepe-Caches einen äusserst sinnlichen Einblick in eine soziale Realität, die wir so nicht vermutet hätten. Naiv, wie wir halt sind.
PS Was die Sinneseindrücke betrifft: Es hat nirgends übel gerochen.
PPS Hiernoch die angekündigten Impressionen aus dem Wallis vor drei Wochen.