Der Sprung nach Süden
Gestern war in Gesprächen häufig die Rede von den tückischen Seitenwinden auf der Strecke von La Cruz nach Liberia. Die Leute auf der Finca beispielsweise sagten, dass gewisse Streckenabschnitte von leeren Lastwagen nicht befahren werden dürfen. Das bedeutet für uns höchste Alarmstufe! Wir wollten den Morgen abwarten.
In der Nacht chutet und regnet es, so dass wir uns entscheiden, mit dem Bus nach Liberia zu fahren. (Die 60 Kilometer dorthin sind unser Tagesziel.) Die Velos können wir tatsächlich unten reinbugsieren und wir sehen die guanacastekische Savannenlandschaft aus einer anderen Perspektive. Um 8 Uhr sind wir bereits in Liberia. Sollen wir hier tatsächlich bis morgen früh hierbleiben? Kurzentschlossen steigen wir in den nächsten Bus nach Cañas, obwohl die gesattelten Räder schon für die Weiterfahrt bereitstehen. Wir haben noch keine Ahnung, wohin uns der heutige Tag führen wird – aus einer an sich langweiligen Angelegenheit könnte sich noch etwas Spannendes ergeben – wir beabsichtigen, uns den Nebelwald von Monteverde bzw. Santa Elenamit seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt anzuschauen.
Angekommen in Cañas (42 Kilometer weiter) ist es immer noch Mitte Vormittag. Die erste Idee: Eine dritte Busfahrt weg von der Interamericana nach Tilarán. Das machen wir aber nur, wenn wir die Velos bei einer Gepäckaufgabe für einige Tage einlagern können. (Zum und im Regenwaldgebiet soll es nur Krüppelstrassen geben. Nicht befahrbar mit Velos!) Entgegen der LP-Angabe gibt es in Cañas keine solche Institution, dafür merken wir, dass es ja einen zweiten, südlicheren Zugang in das Gebiet gibt. Kommt uns mittelfristig entgegen! So fahren wir auch heute eine ordentliche Veloetappe. Es ist leicht bedeckt, der Wind moderat, der Strassenbelag ausgezeichnet. Und es scheint gar nicht so heiss. Zwischenkontrolle: 33 Grad. Wir passieren eine Station, wo Lastwagen ohne Ladung Gewichte aufnehmen können, um den berüchtigten Strassenabschnitt zu durchfahren.
Um 13 Uhr fahren wir Las Juntas ein. Wohin jetzt mit den Rädern? Die wollen wir auch nicht mit dem Bus transportieren! Viel zu riskant. Mögliche Optionen: Im Wald verstecken. (Nicht ernst gemeint.) In einer Budgetunterkunft für sie ein Zimmer mieten. Oder direkt bei der Polizeistation abstellen. Der alte Polizist zeigt uns die Lösung: Das Haus vom Roten Kreuz! Dort sind sie jetzt. In die Berge nehmen wir ausser dem Rucksack je eine Velotasche mit.
Viereinhalb Stunden später sind wir fast im Gebirge! Einerseits auf knapp 1400 Metern und andererseits bei unerwartet kühlen Temperaturen. Ein uralter 50-Personen-Bus brachte uns hier hoch. Die Strasse ist gar nicht in so rumplig wie erwartet, aber extrem steil! Der Fahrer legt grosse Strecken im ersten Gang zurück. Schalten kann er nur mit Zwischengas, und das Getriebe ächzt. Aber wir kommen höher und höher. Der Weg schlängelt sich durch eine unvergleichliche Hügellandschaft. Tiefgrüne, konische Erhebungen stehen dicht an dicht. Ein überdimensioniertes Hütchenspiel?
Am Ende einer solchen Fahrt erwartet man nicht viel mehr als eine windschiefe Alphütte. Tatsächlich hält der Bus nach eineinhalb Stunden aber in einem veritablen Städtchen mit asphaltierten Strassen. Was es damit auf sich hat, werden wir im morgigen Eintrag erläutern. Für heute nur so viel: Als Erste haben amerikanische Quäker hier oben gesiedelt. Sie hatten in den USA den Kriegsdienst verweigert und kamen hierher, weil Costa Rica schon damals die Armee abgeschafft hatte. In dieser weglosen, abgelegenen Landschaft zu siedeln, ist auch heute unglaublich. Was haben diese Leute damals für Strapazen auf sich genommen!