Ein neues Abenteuer
Wir sitzen auf einer Veranda am Rand des Urwaldes. Von hier aus können wir die Pflanzen greifen und dem Wildbach lauschen. Glühwürmchen als einzige Lichtquelle und Grillen als akustische Untermalung. Unter uns unser Zimmer, eine Art Felsenkeller mit einem Panoramablick in den Wald.
San Gerardo ist ein Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Er liegt auf etwa 1400m Höhe in der Talamanca-Bergkette, am Rande des Chirripó-Nationalpark. Auf dem Weg hierher brachte uns die Panamericana auf sage und schreibe 3490m ü.M.! Nicht mehr mit den Velos, sondern im modernen Reisecar. Im Unterschied zu den Erfahrungen von gestern gewinnt diese Strasse allmählich an Höhe. Man merkt es als Reisender kaum. Hier oben ist man immer noch von dichtem, prächtigem Wald umgeben. Auf 3100 Meter legt der Bus einen Verpflegungsstopp ein. Und zwar in einem Restaurant mit einem Buffet, das sich gewaschen hat. Wir essen aber erst in San Isidro, einer Stadt, die tiefer liegt als Alajuela. Vom höchsten Punkt bis nach San Isidro sind es 50km mit 2700m Höhenverlust. Wie wir diese Abfahrt mit dem Velo genossen hätten! (Den Aufstieg wäre für uns als Zwei- bis Dreitagesetappe machbar gewesen, da man hier unterwegs keine Höhe verliert und keine Extremsteigungen eingestreut sind.)
Von San Isidro geht es ebenso abenteuerlich weiter, und zwar in einem Bus, der diese Strasse wahrscheinlich schon vor der Erfindung des Verbrennungsmotors befuhr. Unter den Passagieren hat es auch mehrere Schönheitsköniginnen. Eine um die andere steigt aus und verschwindet auf einem Schottersträsschen im Wald. (Tatsächlich wird der Gegend nachgesagt, sie bringe die schönsten Frauen Costa Ricas hervor.) - Der Bus fährt maximal 30, aber meistens deutlich langsamer. Die Strasse ist so schmal, dass man meint, die Autos können hier nicht kreuzen. Trotzdem können uns die entgegenkommenden Geländefahrzeuge irgendwie passieren. Der Höhepunkt ist aber, als wir nach etwa zwei Dritteln der Strecke von einem galoppierenden Reiter überholt werden! In einer ziemlichen Steigung, die das Pferd wie im Flug zurücklegt. Es ist eine Begegnung der dritten Art – mit Pegasus, dem geflügelten Pferd aus der griechischen Sage.
San Gerardo ist der Ausgangspunkt für die Besteigung des Berges Chirripó, dem höchsten Punkt Zentralamerikas. Weil man, um hinauf zu gelangen, zwei Tage benötigt, muss man in der Hütte unter dem Gipfel einen Platz vorreservieren. Von den 60 Plätzen werden aber täglich 10 zurückbehalten. Wer morgen früh um halb sechs als Erster ansteht, hat die Chance, einen von diesen zu bekommen. Wir hoffen, uns nicht zu verschlafen und also zu den Glücklichen zu gehören! Früh aufstehen ist offenbar unser Schicksal auf dieser Reise.