Der Paradiesgarten in Mahan
Montag, 22. September
Wir wollten noch einmal in Richtung Bam fahren, dieses Mal aber nur 30 km weit, nach Mahan. Die Kleinstadt bietet zwei Sehenswürdigkeiten: das Mausoleum des Shah Nematollah Vali, des Gründers eines Sufiordens, der hier 1431 100-jährig verstarb, und einen Prinzengarten aus dem 19. Jahrhundert. Der Garten war unser Ziel. Um hinzukommen brauchten wir Geduld. Der Minibus-Terminal schien uns mit dem Bus am einfachsten zu erreichen, aber wir wollten sicher gehen und vergewisserten uns zweimal, ob der Bus auch wirklich zum besagten Platz fuhr. Bald merkten wir aber, dass wir zu irgendeinem Aussenquartiers unterwegs waren. Aber vielleicht würde der Fahrer nach einer Schleife wieder auf die Hauptstrasse einbiegen und uns ans Ziel bringen. Vergeblich gehofft, er kurvte durch immer schmalere Strassen und Gassen – und hielt so oft an, als ob er die Leute direkt zu ihrem Haus bringen bzw. von dort abholen müsste. Auszusteigen war nicht mehr ratsam, hatten wir die Orientierung doch längst verloren. Immerhin befanden wir uns nach einer Stunde wieder am Ausgangspunkt.
Das Kommunizieren an diesem Tag schien schwieriger als sonst; Taxifahrer reagierten unklar oder abweisend, wenn wir Mahan als Ziel angaben. Wie schon früher fragten wir uns, ob Iraner manchmal ihre eigene Sprache nicht verstehen. Wir meinten uns klar auszudrücken und konnten uns gleichwohl nicht richtig verständigen. Schliesslich war dann doch einer bereit, uns direkt zum Paradiesgarten in Mahan zu fahren. Auch er machte einen Umweg, und jetzt löste sich auch das Sprachverwirrungs-Rätsel: Der besagte Square mit dem Minibus-Terminal war gesperrt, die Zufahrtsstrassen waren mit Polizeifahrzeugen abgeriegelt. Den Grund kannte auch der Taxifahrer nicht. Nach schneller und deshalb kurzer Fahrt erreichten wir das Ziel am späten Vormittag dann doch noch. Und die ersten Eindrücke bestätigten, dass es sich selbst bei noch mehr Mühsal lohnt hierher zu kommen.
Die Ende des 19. Jh.s errichtete Gartenpalastanlage liegt am Fuss der Berge etwas ausserhalb von Mahan. Sie ist einer der letzten in altpersischer Tradition errichteten Paradiesgärten. Zuerst überrascht ihre Lage; sie ist umgeben von Wüste. Der Kontrast zwischen dem scheinbar unfruchtbaren steinigen Gelände und dem satten Grün der Bäume im Garten drin fällt darum als Erstes auf. Noch bevor man die Anlage betritt, ist der Gegensatz wirksam. Die Architekten bauten den Garten darum am Hang und nicht der Ebene Mahans, weil sie da das natürliche Gefälle für die Wasserspiele nutzen konnten. Um eine Wasseranlage herum wurde der Boden bepflanzt und so eine Gartenoase geschaffen. Das Wasser wird über mehrere Bächlein herangeführt – ihnen entlang wächst nichts, weder Sträucher noch Bäume – und fliesst dann innerhalb der Anlage in Kaskaden über eine Reihe von Terrassenstufen von einem Bassin zum nächsten. Die Hangneigung reicht aus, dass sich in jedem Bassin zusätzlich kleinere und grössere Springbrunnen betreiben lassen. Weil das Wasser sehr breit strömt, meint man eine grosse Menge Wasser durchfliessen zu sehen. Tatsächlich ist das eine raffinierte Täuschung: Die Stufen vermindern die Fliessgeschwindigkeit so, dass ein nur hauchdünner Wasserfilm fast geräuschlos über sie hinunterschwebt.
Das Wasserspiel ist die Symmetrieachse des Gartens. Rechts und links davon gedeiht auf je einer Breite von etwa 30 m eine reiche Flora. Besonders beeindruckend sind die mächtigen Bäume, neben Laubbäumen v.a. Zypressen und Föhren. Viele von ihnen sind so alt wie der Garten selbst. Die ganze Anlage ist kaum länger als 600 bis 700 m, was insgesamt eine Fläche von wenig mehr als fünf Hektaren ergibt. Das schmale Oval ist umfriedet von einer 3 m hohen, aber kaum 20 cm starken Mauer aus Lehmziegeln. Der aufgetragene glatte Verputz besteht wie in Bam aus einer Mischung von Lehm und Strohhäcksel.
Tritt man durch das Eingangsportal in den Paradiesgarten, spürt man gleich eine eigenartige Veränderung: Man glaubt sich in eine andere Klimazone versetzt. Tatsächlich bringen das Zusammenspiel von Wasser und Flora und die Umfassungsmauer auf dem Gelände ein eigenes Mikroklima hervor. Aussen trockenheisse, unbewegte Luft (Wüste pur!), innen war es am 22. September weniger als 30 Grad warm, und es ging ein angenehmes Lüftchen. Eine andere Welt. Ein Paradies auch für Vögel. Die Luft ist erfüllt von Vogelgezwitscher, fast wie im Vogelhaus eines Zoos. – Unsere Phantasie begann zu spielen, etwa mit der egoistischen Vorstellung, den Garten für uns allein zu haben oder ihn in romantischer Geselligkeit zu nutzen, wie wir es auf Wandbildern im Chehel Sotun-Palast in Esfahan gesehen hatten. (Immerhin mussten wir ihn an diesem Montag mit nicht viel mehr als drei Dutzend Leuten teilen.)
Die Gartenpalastanlage wurde Ende des 19. Jh.s von den Qadjaren angelegt. Hier hielt sich der Shah mit seiner Familie und dem Hof auf, wenn er in Kerman weilte oder auf der Durchreise war zum Persischen Golf. Es erstaunt darum, dass es auf dem Gelände nur zwei Bauten gibt, das relativ kleine Torgebäude und das auf der gegenüberliegenden Seite der Achse, am Ausgangspunkt des Wasserspiels stehende Wohnhaus. Dieses wirkt mit seiner strahlend weissen, mit Bögen durchbrochenen Fassade als Herz als Zentrum in einem Gesamtkunstwerk. Er hat die Schlichtheit eines Gartenpavillons. Im Erdgeschoss befindet sich heute ein Teehaus. Auch nach der Umnutzung ist unschwer zu erkennen, dass das nie ein Wohnpalast war. Die geschickt arrangierte Naturszenerie war und ist als Erholungsraum so attraktiv, dass architektonischer Prunk als Störung empfunden würde. Während der jeweils kurzen Aufenthalte – so unsere Überlegungen – wird die Shah-Familie sich hauptsächlich draussen aufgehalten haben, unter den Bögen, Wasserspiel und Park überblickend, oder lustwandelnd im Garten.
Wieder draussen, überlegten wir, wie wir nun nach Kerman zurückkommen sollten. Den grossen Parkplatz vor dem Eingang zum Paradiesgarten fanden wir fast leer vor. Ein Taxi war gerade weggefahren, bevor wir es hatten stoppen können, ein zweites stand noch da, es sassen aber schon Leute drin, und deren Ziel war Bam. An sich reichte es, wenn uns jemand nach Mahan mitnahm; von dort aus gibt’s Minibusse nach Kerman. Als ein Privatauto loszurollen begann, stoppten wir es und fragten, ob wir bis Mahan mitfahren dürften. Tatsächlich setzte sich die Frau des Fahrers nach hinten, wo schon ihre erwachsene Tochter und ein Kind sassen, und wir beide zwängten uns nun vorne aus auf den Beifahrersitz (wie im Iran üblich, denn meistens fahren mehr als fünf Personen mit). Aber die Fahrt endete nicht in Mahan, sondern erst in Kerman. Unterwegs erzählte der Mann in rudimentärem Englisch einiges über seine Arbeit als Sicherheitsbeauftragter einer Stahlfabrik und vermittelte uns ein bisschen Wirtschaftsgeografie. Jedenfalls entwickelte sich ein reges Gespräch. Es gelangte zu seinem spannendsten Punkt dort, wo er erklärte, dass bis zum Afghanistankrieg der USA hier in der Gegend Leute des Al-Qaida-Netzwerks aktiv gewesen seien. Die iranische Sicherheitspolizei habe die Gruppe aber ausgehoben; seither sei es zwischen Mahan und Kerman wieder ruhig.
Ob der freundliche Mann auch ohne uns nach Kerman gefahren wäre, war unklar. Jedenfalls wollte er uns nicht irgendwo aussteigen lassen, sondern brachte uns, obwohl er den Weg dahin erfragen musste, zum Azadi Square ganz nahe beim Hotel. Dass wir die Fahrt bezahlten, liess die Familie natürlich nicht zu, dafür freuten sich alle, als wir ihnen eine Ansichtskarte der Stadt Zug überreichten, auf deren Rückseite wir Grüsse und unsere Namen schrieben. Am nächsten Tag wollten wir nach Yazd weiterreisen, nicht wie früher geplant mit der Eisenbahn, sondern per Bus. Schade war, dass wie nun die iranische Eisenbahn nicht kennen lernten, aber nach Fahrplan traf der Zug erst nach Mitternacht in Yazd ein. Wie es ist, mitten in der Nacht in einer iranischen Stadt anzukommen, wussten wir seit Esfahan. Diese eine Erfahrung reichte uns.