Flug nach Kerman; Arg-é Bam
Flug nach Kerman, die Hitze im Südwesten
19. SeptemberDas Amir Kabir-Hotel verliessen wirungern; hier hatten wir uns wohl gefühlt. Das Hotel liegt so zentral, dass man fast alles zu Fuss erreichen kann. V.a. aber sind Infrastruktur und Hygiene top, und die Hilfsbereitschaft der Angestellten ist kaum zu überbieten.
Wir mussten also Abschied nehmen von der Märchenstadt, in der wir erstmals auf Touristen getroffen waren. Im Hotel wohnten Europäer und Japaner. Einige waren per Motorrad hierher gekommen; ein französisches Ehepaar gar mit Rollern. Abenteuerlich, wie sie auf speziellen Aufpackvorrichtungen ihr Gepäck, inkl. Benzin- und Ölkanister, befestigten. Im Vergleich zu ihnen waren wir mit minimalster Ausrüstung unterwegs. Kleider zum Wechseln brauchten wir fast keine. Was wir abends wuschen, konnten wir am Morgen wieder anziehen. Am meisten ins (buchstäbliche) Gewicht fielen das Tagebuch, die Reisehandbücher und das mitgeführte Trinkwasser.
Wir wollten darum für den Flug nach Kerman alles als Handgepäck mit an Bord nehmen. Aber wir hatten unser Victorinox-Messer nicht in unseren Überlegungen mit drin. Prompt machte es die Durchleuchtungsmaschine sichtbar. Zurück beim Secret-Check-Schalter kriegten wir einen Vermerk auf das Ticket und übergaben die potenzielle Waffe einem Beamten. Sie würde im Cockpit mitgenommen und uns in Kerman wieder ausgehändigt. Wo genau und von wem blieb offen. Tatsächlich bekamen wir das Messer fünf Minuten nach der Landung wieder überreicht, umwickelt mit einer speziellen Banderole. Die Suche nach einem entsprechenden Schalter hatte sich im modernen, aber sehr kleinen Flughafengebäude Kermans erübrigt. Wir blieben einfach in der angenehm klimatisierten Halle kurz stehen, und schon kam einer auf uns zu und überreichte uns das Messer. Die Reise von Esfahan nach Kerman war überaus angenehm gewesen. Der Flughafen liegt zwar etwa 20 km von Esfahan entfernt, aber vom Stadtzentrum aus ist man mit dem Taxi in einer Viertelstunde dort. Beide Flughafengebäude sind klein, aber über Erwarten praktisch und komfortabel. Bezüglich Standard brauchen sie jedenfalls keinen Vergleich mit europäischen Flughäfen zu scheuen. Wir flogen in einem modernen Airbus und bekamen, obwohl der Flug kaum eine Stunde dauerte, einen wohlschmeckenden Imbiss serviert. Kein Wunder, dass die Iraner grössere Strecken mit dem Flugzeug zurücklegen.
Kaum 20 Minuten nach der Landung hatten wir bereits in einem Hotel eingecheckt. Der Fahrer hatte uns zum Guest House Saady gefahren, und wir entschieden uns da zu bleiben. Wir bekamen für 10 Dollar ein zwar mässig komfortables, aber sauberes klimatisiertes Doppelzimmer. Den Nachteil spürten wir beim ersten Spaziergang in die Innenstadt: Wir waren weit weg vom Stadtzentrum; erst nach einem Kilometer Fussmarsch erreichten wir den Azadi Square, den grossen Kreisel am Rand der Innenstadt. (Die Distanz kam uns wahrscheinlich länger vor, als sie war, denn am frühen Nachmittag bei einer Hitze von 40 Grad war an einem Freitag ausser uns niemand unterwegs.)
Nach dem ersten Schnupperausflug in die Innenstadt, insbesondere durch den Basar, war klar, wo wir uns hier befanden: in einem Wüstenrandgebiet. Auf die trockene Hitze konnten wir uns rasch einstellen, auch weil uns bewusst war, dass hinter dem westlich der Stadt mächtig sich auftürmenden Gebirge die Wüste Lut beginnt, wo Temperaturen herrschen, wie sie nur an wenigen Stellen auf der Erde erreicht werden. Das Klima dort wird als lebensfeindlich bezeichnet. Auf dem Rückweg kamen wir am Hotel Akhavan vorbei. Neugierig gemacht durch einen Text im »lonely planet«, schauten wir rein. Im Handbuch wird das Hotel in den höchsten Tönen gelobt, was beim sonst trockenen Stil der Texte auffällt. Hervorgehoben wird der perfekte Mix von iranischer Gastfreundlichkeit und touristischem Flair einerseits und das erstaunliche Preis/Leistungs-Verhältnis andererseits. Ausserdem gebe es hier Internetanschluss und ausgezeichnetes Essen. Besonders die letzten zwei Angaben wollten wir gerne testen. Nach dem dürftigen Essen vom Vorabend hatten wir Lust auf ein gutes Dinner, und vielleicht konnten wir auch den Tagesbericht hier schreiben, auch wenn wir nicht Hotelgäste waren.
Dass es sich beim Hotel um einen Familienbetrieb handelt, merkten wir sofort. Schon bisher verwöhnt von der Zuvorkommenheit, erlebten wir hier die Fortsetzung und die Steigerung. Selbstverständlich könnten wir hier essen und unsere Texte tippen. Und als der liebenswürdige Herr bemerkte, wie wir die komfortable Hotel-Lobby musterten, gab er uns einen Schlüssel. Wir dürften uns durchaus auch ein Zimmer anschauen. – Das hätten wir besser nicht getan, denn was wir sahen, glich europäischem Vier-Sterne-Komfort und war entsprechend einladend. Im Zimmer mit prächtigem Mobiliar, Bildern an den Wänden, exakt verlegtem Spannteppich, Kühlschrank und TV hätten wir es uns am liebsten sofort bequem gemacht. Aber wir konnten doch nicht gleich das Hotel wechseln! Ausserdem wollten wir anderntags gleich einen Tagesausflug nach Bam machen, und da würden wir vom Komfort hier ohnehin nicht viel haben. Damit trösteten wir uns über den leichten Frust hinweg.
Auch als uns als Preis bescheidene 25 Dollar genannt wurden, blieben wir bei unserem Entschluss. Das änderte an der Freundlichkeit der Hotelinhaber nichts. Wir durften den Internetanschluss benutzen und bekamen viele Informationen über die Stadt und ihre Umgebung.
Das Dinner später bot eine weitere Überraschung: Erstmals im Iran bekamen wir im Speisesaal ein mehrgängiges Menü serviert. In rascher Folge trug der umtriebige Kellner Schüsseln, Platten und Plättchen auf. Zuerst gab’s Suppe, dann einen Salat mit süsssaurer Sauce, als letzte Vorspeise schliesslich gebackene Kartoffelplätzchen. Zum Hauptgang gab’s vorerst Spaghetti-Bolognese, dann Reis und Rindfleisch an einer Kichererbsen-Sauce und schliesslich Chicken-Kebab mit Pommes Frites. Zum Nachtisch erhielten wir Wasser- und Honigmelonen. Umgerechnet bezahlten wir für Essen und Getränke pro Person sechs Franken.
Bam und Arg-é Bam
20. SeptemberWeil wir gut 200 km Weg vor uns hatten, standen wir früh auf; wir wollten den 8-Uhr-Bus nach Bam erwischen. Die Fahrt durch die Kieswüstenlandschaft dauerte drei Stunden, denn der Hitze wegen konnte der Bus nur mit mässiger Geschwindigkeit fahren. Das gab uns Gelegenheit, die erstaunliche Vielfalt der Hochebene zu studieren. Wir fuhren durch Wellentäler aus Rot-, Braun- und Gelbtönen. Die einzige Vegetation bilden niedrige stachelige Büsche, wie man sie aus Westernfilmen kennt. Schroffe Gebirgszüge säumen zu beiden Seiten die Strasse; sie stehen da wie aus der Ebene emporgewachsen und erreichen Höhen von über 3000 m ü.M. (Kerman liegt 1755 m und Bam 1065 m über dem Meeresspiegel.)
In Bam gelangten wir an den südöstlichsten Punkt unserer Reise und befanden uns nun nahe der afghanischen Grenze. Das machte sich in einer im Vergleich zu Kerman nochmals grösseren Hitze bemerkbar. Um die Mittagszeit erreichte die Temperatur mit etwa 45 Grad ihren Höchstwert. Trotzdem liessen wir uns gleich zur alten Stadtanlage, zur Arg-é Bam, fahren.
Die Hitze wurde als Thema sofort zweitrangig, so überwältigt waren wir, als wir durch das riesige Eingangstor schritten, die mächtige Mauer mit ihren Zinnen bestiegen und so die ganze Stadtanlage überblickten. Atemberaubend! Die Arg-é Bam ist eine vollständig aus luftgetrockneten (also nicht gebrannten) Lehmziegeln erbaute Festungsstadt. Braun und ziegelrot ragt sie in den blauen Himmel. Sie dürfte von den Sasaniden errichtet worden sein, also eine 2000-jährige Geschichte haben. Ab dem 10 Jh. galt Bam als uneinnehmbar, trotzdem wurde die Stadt aber im 11. Jh. von den Seldjuken erobert.
Sieben Jahrhunderte später wurde sie zweimal von den Afghanen eingenommen und teilweise zerstört. Wirklich gebeugt haben sich ihre Bewohner den wechselnden Herrschern nie. Genauso trotzte die Lehmziegeltechnik den regelmässigen Erdstössen wie den extremen Temperaturunterschieden zwischen Sommer und Winter.
Für die Safawiden war Bam der letzte Aussenposten am Rande von Baluchistan. Tatsächlich grenzen die östlichen Stadtmauern unmittelbar an die Wüste Lut, deren Klima so extrem ist, dass sich Menschen kaum je hineinwagten. Seit dem Mittelalter lebte die Stadt vom Baumwollanbau und der damit verbundenen Textilindustrie. Nach der teilweisen Zerstörung durch die Afghanen wurde Bam im 18. und 19. Jh. in die Wirren wechselnder Herrschaften in Kerman hineingezogen und verlor die Autonomie. Erst nach 1850 bekam sie ihren Status zurück, und es kehrte Frieden ein in der Region. Seither entstanden ausserhalb der Stadtanlagen neue Siedlungen und die alte Stadt wurde verlassen. Ihre letzten Bewohner waren Soldaten, die bis in die 30er-Jahre des 20. Jh.s hier ihre Unterkünfte hatten.
Das moderne Bam ist eine Kleinstadt mit 80 000 Einwohnern. Diese leben vor allem vom Dattelanbau. Es geht das Wort, wer im Besitz von 40 Dattelpalmen sei, brauche nicht mehr zu arbeiten. In der Tat gehören die Bamer Datteln zu den besten der Welt, und der Export derselben ist eine der wichtigsten Einnahmequellen für den Südosten Irans. (Für einen Franken kriegt man ein Kilo der süssen, nährstoffreichen Früchte.)
Einzigartig an Arg-é Bam war auch die enorme Bevölkerungsdichte. Auf der kleinen Fläche von 450 x 550 m lebten etwa 11 000 Menschen. Innerhalb der Befestigungsmauer war alles vorhanden, was zu einer Stadt gehört: Wohnviertel für ärmere und reichere Leute, Kirchen
der verschiedenen Konfessionen (vorislamische Zoroastrier, Muslime, Christen und Juden), gedeckter Basar, Kaserne, Stallungen für 300 Pferde, Gouverneurspalast und mächtige Zitadelle mit Wachturm. (Hier erhebt sich die Stadtanlage 200 m über die Ebene.) Zum Anlage gehörte auch eine Windmühle, wo alles Korn der Stadt gemahlen wurde, und sogar eine Quarantänestation. Ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem soll vor unliebsamen Überraschungen geschützt haben. Das Wasser aus dem Sodbrunnen im Zentrum reichte für Menschen und Tiere. Diese Stadt zu bauen bedeutete eine kaum zu überschätzende architektonische, sie zu bewohnen eine fast genauso grosse soziale Leistung. Da jeder Quadratmeter optimal genutzt werden musste, lebten die Menschen auf engstem Raum. Auch wenn heute vieles zerfallen ist, ein Gang durch das Gewirr der Gassen hinauf zur Zitadelle weckt eine Vorstellung vom früheren Leben. Auch wenn die Aristokratie wahrscheinlich den Norden der Stadt bewohnte (durch eine zweite Mauer von der übrigen Stadt abgetrennt), ändert das nichts an der Tatsache, dass im multikulturellen Bam Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und sozialer Schicht friedlich nebeneinander lebten. Fremde, so sagt man, hätten hier stets offene Türen gefunden; sie seien nach ihrer Ankunft zum Essen eingeladen und anschliessend mit Datteln, Feigen und Orangen verwöhnt worden.
Wie trotzte man der Brutofenhitze? Die Frage beantwortet sich beim Gang durch die Stadt von selbst: Einerseits isolieren die Lehmwände und -kuppeln hervorragend (auch gegen die Winterkälte), andererseits entwickelte man ein ebenso geniales wie einfaches System der Raumkühlung, die sogenannten ‚Windtürme’. Das sind 3-5 m hohe, oben geschlitzte Aufbauten, die selbst schwache Luftbewegungen einfangen und in die darunter liegenden Räume leiten. Die absinkende Luft dringt abgekühlt in die Wohnräume und bewirkt dort nicht nur eine erträgliche Temperatur, sondern auch eine beständige Luftbewegung.
Da sie meist an Wasserbecken vorbeistreicht, ergibt sich im Hausinnern auch eine angenehme Luftfeuchtigkeit. Einige der Windtürme wurden in den letzten Jahren restauriert bzw. rekonstruiert; deshalb konnten wir uns von ihrer Wirkung selbst überzeugen. Unter dem gerade fertiggestellten Windturm der Synagoge fühlten wir uns wie in einem klimatisierten Raum. Im Vergleich zu einer Klimaanlage arbeitet ein Windturm aber ohne Fremdenergie.
Nach einem ebenso üppigen wie schmackhaften Mittagessen in einem Restaurant in der Oasenstadt spazierten wir durch den fast menschenleeren Basar, kauften in einem Laden ausserhalb Datteln und schauten uns um im bewohnten Bam. Die durchwegs ein- und zweistöckigen Gebäude sind aus denselben Lehmziegeln gebaut wie die Gebäude in der alten Stadt. Weit über die niedrigen Bauten ragen die Dattelpalmen. Darum meint man von Arg-é Bam aus auf eine ausgedehnte Palmenoase zu blicken, und nicht auf eine Stadt.
Auf der Rückfahrt wurde an den Kontrollen bald einmal deutlich, dass aus der ehemaligen Seidenstrasse eine Drogenstrasse geworden ist. Ein Grossteil der in Afghanistan angebauten bzw. hergestellten Drogen werden durch die Wüste Lut und dann von Bam aus auf der iranischen Diagonale in die Türkei transportiert. Von Bam aus gibt es keine andere Strasse als die, auf der wir unterwegs waren. Polizei und Militär machten hier seit Monaten regelmässige und rigorose Kontrollen. So auch am 20. September. Ein besonderes Augenmerk richteten sie auf die Reisebusse. Nach kaum einem Drittel der Strecke musste auch unser Bus an einem improvisierten Checkpoint anhalten. Es standen bereits zehn Busse in der Warteschlange. Obwohl wir das Fahrzeug nicht verlassen durften, beobachteten wir trotzdem, wie rigoros kontrolliert wurde. Die Reisenden hatten auszusteigen und ihr sämtliches Gepäck aus dem Laderaum zu holen. Nach einer Stunde Wartezeit, gerade mal zwei Busse hatten die Kontrolle hinter sich gebracht, entschloss sich unser Fahrer zur Offensive. Er ging nach vorne in die Kontrollzone, wo er anscheinend etwas zu bewirken wusste. Denn als er zurückkam, startete er den Motor und fuhr an den übrigen Bussen vorbei nach vorne zum Kontrollpunkt. Hier betrat ein Mann in Kampfanzug unser Fahrzeug, musterte sämtliche Passagiere und liess den Bus dann passieren. Wir meinten es jetzt hinter uns zu haben, sahen uns aber 20 km später erneut vor einer Sperre. Hier war man gerade dabei, einen topmodernen Reisebus vom Unterboden bis zum Dach zu durchleuchten. Auch diesmal schlüpften wir nach kurzem Warten durch. Ein Offizier betrat den Bus; uns beide – wir waren die einzigen Ausländer – nahm er mit martialischem Blick ins Visier (wir hätten ja, aus Pakistan oder gar Afghanistan kommend, auf der Durchreise sein können). Der Fahrer meisterte die Situation, indem er uns als harmlose Bam-Touristen bezeichnete (was zwar korrekt war, von ihm aber einfach behauptet wurde). Das half; die Miene des Uniformierten entspannte sich, er stieg aus und liess uns passieren. Ab da konnten wir bis Kerman durchfahren, wo wir nach 20 Uhr eintrafen.