Hamadan
Busfahrt von Rasht nach Hamadan
6. SeptemberDie Reise mit dem Bus von Rasht nachHamadan verlief problemlos. Da wir schon kurz nach dem Start in gebirgiger Landschaft unterwegs waren und dabei beträchtliche Höhendifferenzen überwanden, fühlten wir uns im Bus ziemlich wohl. Wir kamen rasch vorwärts und konnten, falls wir nicht schliefen, Bilder aufnehmen, die einmal mehr bestätigten, wie einzigartig die Landschaften Persiens sind. Eindrücklich waren auch der grosse Stausee und die Windkraftanlagen von Majil unmittelbar nach der Klus durch das Alborz-Gebirge. Nach dem Mittagessen gelangten wir rasch ins Zagros-Gebirge, befanden uns ab jetzt also im zentralen Hochland Persiens.
(Überlandbusse fahren in 24 Stunden Strecken bis zu 1500 km. Für die Distanz von etwas über 400 km nach Hamadan brauchten wir wenig mehr als sechs Stunden. Auf einer solchen Reise gibt es in der Regel drei Stopps, einer davon für eine grössere Mahlzeit an einem Rastplatz mit entsprechender Infrastruktur. Weil dort ein halbes Dutzend Busse oder mehr gleichzeitig ihre Pause machen, braucht es Restaurants mit grossen Speisesälen. Trotzdem steht nach zehn Minuten das Essen auf dem Tisch und eine halbe Stunde später ist man schon wieder unterwegs.)
Am späteren Nachmittag erreichten wir Hamadan und waren nun etwa auf dem gleichen südlichen Breitengrad wie Bagdad. Velos auf Bussen zu transportieren hat seine Tücken. Diese Erfahrung machten wir beim Bus Terminal in Rasht wie dann auch am Ziel in Hamadan. Die Billette hatten wir uns im Voraus besorgt, im Verkaufsbüro einer Transportgesellschaft im Stadtzentrum. Die Dame hier sprach nur Farsi. Wir versuchten ihr verständlich zu machen, dass wir auch zwei Velos transportieren müssten. Wir wollten sichergehen, am Bus Terminal dann keine Probleme wegen der Räder zu bekommen. Ein hilfsbereiter Iraner, der etwas Englisch sprach, fragte bei der Dame nochmals nach und übersetzte uns dann die Antwort: Die Velos könnten transportiert werden und wir müssten dafür nicht speziell bezahlen. Das war eine ebenso überraschende wie erfreuliche Antwort, aber sie sollte sich als falsch erweisen. Auf dem Busbahnhof fanden wir unseren Bus rasch, aber er hatte - nicht unerwartet - keinen Dachträger. Im Unterschied zu Pakistan und China können iranische Busse sperrige Güter nicht einfach aufs Dach packen. Wo also würden sie unsere Velos verstauen? Vorerst machte uns der Fahrer allerdings klar, dass wir für Velos und Gepäck zusätzlich zu bezahlen hätten, etwa dreimal so viel, wie wir für die Fahrkarten bezahlt hatten. Nach einigem Diskutieren konnten wir uns auf die Hälfte des Betrages einigen, aber noch immer blieb unklar, wo die Räder verstaut werden sollten. Schliesslich zeigte der Beifahrer, wie er sich das vorstellte: Er versuchte die Velos durch die hintere Türe zu bugsieren und sie zwischen den beiden letzten Sitzreihen zu platzieren. Mit ein wenig Überlegung und einiger Umsicht hätten wir das ohne Probleme hingekriegt. Er aber setzte auf Brachialgewalt. Das Resultat sahen wir dann beim Entladen: zerbrochene Endhülsen bei den Bremskabeln und ein abgerissenes Velocomputer-Kabel.
Hamadan
7. SeptemberIn Hamadan gibt’s erstaunlich wenig Hotels; nur zwei bieten einigen Komfort, das Bouali und das Babataher, aber zu einem horrenden Preis (über 50 Dollar). Wir stiegen darum im Hamadan Guest House ab, d.h. im Zentrum der Stadt, direkt neben dem Khomeyni Square. Hier hatten wir das Glück, eines der wenigen, wenn nicht das einzige Zimmer mit Dusche und WC zu bekommen.
Die moderne Stadt Hamadan hat ein sternförmig angelegtes Stadtzentrum. Sechs breite Strassen laufen im gleichen Winkelabstand auf den Khomeyni-Platz zu. Etwa 500 m vom Platz entfernt führt eine Ringstrasse um das Stadtzentrum herum. Die Reissbrett-Ordnung ist deutschen Ursprungs. Sie wurde 1928 vom Architekten Karl Fritsch entworfen. Auftraggeber war Reza Khan, der 1925 durch einen Putsch an die Macht gekommen war (siehe „Historischer Überblick“). Die Anlage sieht nicht nur auf dem Plan eindrücklich aus. Obwohl inzwischen viele Gebäude, v.a. um den zentralen Platz herum, in erbärmlichen Zustand sind, beeindruckt die Stadt noch heute wegen der Grosszügigkeit ihrer Anlage. Besonders prägend sind die riesigen begehbaren Kreisel mit ihren Grünflächen und den attraktiven Wasserspielen, von denen aus die Strassen zum Khomeyni-Platz führen. Entsprechend rege werden sie von den EinwohnerInnen benützt. Vom frühen Abend an sind Plätze und Gehsteige voller Menschen. Ganz Hamdan scheint jeweils unterwegs zu sein. Da es keine Bars und Discos gibt, tun die HamadanerInnen das, was sie in der Freizeit am liebsten tun, sie flanieren. Sie gehen nicht an eine Grossveranstaltung, wie man meinen könnte; ihr Tun selbst ist die Grossveranstaltung. Die wenigen Pizzerias und Restaurants sind dann meist bis auf den letzten Stuhl besetzt. An den Erfrischungsständen wird Eis geschleckt und es werden Milch-Shakes und Fruchtsäfte getrunken. Es ist die Zeit der intensivsten Sozialkontakte. Im Gedränge entstehen Freiräume besonderer Art.
Am Sonntag besichtigten wir die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die Distanzen zu ihnen und zwischen ihnen sind nicht besonders gross, so dass wir alles zu Fuss erreichen konnten.
Auf einem Hügel am südwestlichen Stadtrand steht der Sang-é Shir, der Steinerne Löwe. Die Skulptur, obwohl stark verwittert und beinlos, ist leicht als Löwe zu identifizieren. Ihr Alter ist wissenschaftlich nicht geklärt; sie könnte medisch, achämendisch oder parthisch sein. Es handelt sich um das einzige Monument der alten Stadt Ekbatana. Von den Herkunfts-Geschichten ist die achämendische die attraktivste. Der Legende zufolge hat Alexander der Grosse den Löwen im späten 4. Jh. v. Chr. in Auftrag gegeben. Er sollte in Erinnerung an seinen hier gefallenen General Hephaiston neben dessen Mausoleum aufgestellt werden. Etwa 1000 Jahre später, in frühislamischer Zeit, war der Löwe, zusammen mit einer zweiten ähnlichen Skulptur, an einem Stadttor angebracht.
Im Zentrum Hamadans gibt es überraschenderweise ein kleines jüdisches Grabheiligtum, das Mausoleum von Esther und Mordekhai. Man weiss bis heute nicht, wer tatsächlich darin beigesetzt wurde. Vielleicht liegt hier Esther, die Frau des Achämeniden Xerxes, neben ihrem Onkel Mordekhai begraben. Wahrscheinlich aber ist es tausend Jahre jünger und also die Ruhestätte Shushans, der jüdischen Frau des Sasanidenkönigs Yazdgerd I, die im frühen 5. Jh. unserer Zeitrechnung ihren Ehemann dazu brachte, in Hamadan eine jüdische Kolonie zu erlauben bzw. zu anerkennen.
Äusserlich ist das Mausoleum ein schlichtes Lehmziegelgebäude. Ins Innere gelangt man durch eine niedrige Öffnung, deren Tür aus einem 400 kg schweren Granitstein besteht. Durch einen Vorraum erreicht man die tiefer gelegene Grabkammer mit zwei hohen, reich geschnitzten Ebenholzsarkophagen. Die Wände ringsum sind voll von hebräischen Inschriften. Neben dem Mausoleum befinden sich eine Synagoge und ein jüdischer Friedhof. Das Ganze ist von einer hohen Mauer umgeben. Um hineinzugelangen, klopft man an das Tor der Umfassungsmauer. Man wird dann hereingelassen und zum Grabgebäude geführt. Wir wurden von einem Mann empfangen, herumgeführt und über alles Wissenswerte informiert, der für einmal nicht Englisch, sondern Französisch sprach. Iranische Besucher, die gemeinsam mit uns geführt wurden, liessen durch ihn eine Einladung an uns übersetzen. Weil sie nur Farsi sprachen, zogen wir es vor, den Abend nicht in einer iranischen Familie zu verbringen.
Wesentlich auffälliger als die jüdische Grabstätte ist das 1952 neu errichtete Mausoleum des Arztes, Wissenschaftlers und Philosophen Abu Ali Sina. Es befindet sich im Zentrum des parkähnlichen Platzes am südlichsten Punkt der oben beschriebenen Ringstrasse. Abu AliSina ist in Europa unter dem Namen Avicinna bekannt. Er wurde 980 in Bukhara geboren, begann schon im 10. Lebensjahr Logik, Geometrie und Astronomie zu studieren und brachte sich dann selber Physik und Medizin bei. Als 17-Jähriger unterhielt er bereits eine eigene Arztpraxis. Kaum 20-jährig begann für ihn ein ereignisreiches Wanderleben, wobei er auch nach Hamadan und schliesslich nach Esfahan gelangte. An den einzelnen Orten war er als Arzt und als Politiker tätig und schrieb überdies wissenschaftliche Bücher. 1037 starb er während eines Feldzuges in der Nähe von Hamdan. Zu dieser Zeit war er Leibarzt im Dienst eines Seldjukenfürsten.
Avicinna, der im Orient ‚Fürst aller Wissenschaften’ genannt wird, war ein vielseitiger Gelehrter und bahnbrechender Mediziner. Für seine Wirkung entscheidend war, dass er es verstand, das Wissen seiner Zeit zu systematisieren. Seine in Arabisch geschriebenen Werke wurden auch in die abendländischen Sprachen übersetzt. Die medizinischen Erkenntnisse des Gelehrten beeinflussten die europäische Heilkunde bis ins 17. Jh. Im Erdgeschoss des Mausoleums ist ein kleines Museum eingerichtet. Hier werden Schriften Abu Sinas und Geräte aus seinem Besitz ausgestellt. In der Bibliothek im Nebengebäude findet man persische und internationale Literatur über den Gelehrten.
Das schönste Denkmal Hamadans ist unserer Meinung nach der Gonbad-é Alavian, ein ganz besonderer und gut erhaltener Grabbau aus der Zeit der Seldjuken (wahrscheinlich aus dem 12. Jh.). Er steht ebenfalls an Hamadans Ringstrasse, nämlich in einem Schulhof nordwestlich des Zentrums. Es ist ein viereckiger Ziegelbau mit sechskantigen Türmen an den Ecken. Die Aussenfassaden und das Portal in der spitzbogigen Nische sind mit komplizierten floralen Stuckornamenten und Ziegelmustern versehen. Vollständig verziert, mit hauptsächlich geometrischen Motiven, sind auch die Innenwände des Gebetsraumes. Der Sarkophag befindet sich aber nicht hier, sondern in einer Krypta darunter, die man über eine Wendeltreppe erreicht. Da es keine Inschriften gibt, kennt man weder die genaue Entstehungszeit, noch weiss man, wer hier bestattet ist. Alavian dürfte der Name einer mächtigen Seldjuken-Familie gewesen sein.
Hamadan ist ein Ort mit grosser historischer Vergangenheit: Unter der heutigen Stadt liegen die Überreste von Ekbatana, der Hauptstadt des Mederreiches. Die Stadt lag damals an strategisch wichtiger Stelle, an der Handelsstrasse von Mesopotamien nach Afghanistan. Die Meder errichteten zwischen 700 und 550 v. Chr. nicht nur das erste bedeutende persische Königreich, sondern führten von hier aus auch den Kampf gegen das übermächtige Assyrien. 612 v. Chr. brachten sie – verbündet mit den Babyloniern – das assyrische Weltreich zu Fall. Das Mederreich ging schon zwei Generationen später unter, als es im Kampf gegen den Perserkönig Kyros II unterlag (siehe „Historischer Überblick“). Da die Meder selbst keine Schrift hatten, muss man ihre Geschichte aus fremden Quellen erschliessen, aus den Schriften des griechischen Historikers Herodot und aus assyrischen Inschriften. Archäologisch ist noch viel zu tun. Da über der Stadt der Meder das heutige Hamadan gebaut wurde, ist das berühmte Ekbatana bis jetzt nicht erforscht. Immerhin haben iranische Archäologen 1995 an einer noch nicht überbauten Stelle am Stadtrand mit Ausgrabungen begonnen.