Hamadan, Emam Khomeyni-Hospital
Hamadan, Emam Khomeyni-Hospital!
8. SeptemberWir wollten am Montag einenTagesausflug machen nach Bisotun und Taq-é Bostan, aber Hamadan schien uns behalten zu wollen. Eine Zeitlang sah es sogar danach aus, als würde unsere Reise hier zu Ende sein. Was war geschehen? Manuel hatte in der Nacht auf Montag Bauchkrämpfe, Durchfall und üble Kopfschmerzen bekommen. Am Morgen war klar, er war krank. Das zwang uns, erneut das Spital aufzusuchen. Diesmal sollten wir es bis vor bzw. in den Operationsraum schaffen! Vorerst sah es aber nach Entwarnung aus; der verantwortliche Arzt, der die Eintritts-Untersuchung machte, meinte, Manuel habe ein Magenproblem, das sich rasch erledigen werde. Wir wurden von einem Arzt abgeholt, der Manuel zuerst eine Spritze gab und über ihm dann einen Infusionsbeutel installierte. Bevor das übrigens geschah, sollten wir zuerst an der Kasse bezahlen. (Das ist im Iran so üblich; ambulante medizinische Dienstleistungen sind bar zu bezahlen. Erst wenn man die Quittung vorweist, gelangt man zum eigentlich behandelnden Arzt.) Bevor wir das jedoch tun konnten - der Mann an der Kasse hatte den Zettel bereits in der Hand –, behändigte ein Arzt das Papier und gab uns zu verstehen, wir seien hier Gäste und man wolle darum von uns kein Geld nehmen.
Die Infusion war bald durchgetropft, aber Manuel fühlte sich nach wie vor schlecht. An sich hätten wir jetzt wieder gehen können, aber Manuel wies darauf hin, er habe wahrscheinlich Fieber. Und tatsächlich zeigte das Thermometer eine Temperatur von gegen 40 Grad. Das machte weitere Untersuchungen notwendig: Blut-, Urin- und Stuhluntersuchung wurden angeordnet. Eine Stunde später sollten die Ergebnisse vorliegen. Wieder beim Arzt, der die Eintritts-Untersuchung vorgenommen hatte, erfuhren wir, Manuel müsse operiert werden!
Da dieser Arzt kaum Englisch sprach und unsere Farsi-Kenntnisse natürlich nicht ausreichten, seine Interpretation der vorliegenden Analyse-Papiere zu verstehen, holten wir einen ganz jungen Arzt herbei, der uns zwischendurch kurz betreut hatte. Die Diagnose hiess auf Englisch ‚appendictis’ und die Behandlung ,appendectomy', auf Deutsch: Blinddarmentzündung bzw. -operation. Manuel müsse so rasch wie möglich operiert werden.
Es lässt sich leicht denken, wie wir reagierten. Konsterniert. Hatte Manuel noch wenige Tage früher so kühlen Kopf bewahrt, als ich geschockt und verletzt am Strassenrand lag, so zeigte er jetzt erstmals Emotionen; auf keinen Fall wolle er sich im Iran einer Operation unterziehen. Man war uns bis jetzt ausserordentlich freundlich und zuvorkommend begegnet, aber in einem so altertümlichen Spital sich operieren lassen? Manuel wurde von seinem Vater beruhigt: Eine ,appendectomy' sei ein kurzer Routineeingriff; einer Gefahr setze er sich dabei nicht aus.
Trotzdem war nun eine Situation eingetreten, die es notwendig machte, mit der Schweizer Botschaft in Tehran Kontakt aufzunehmen. Am Telefon meldete sich der Botschafter persönlich. Er meinte, die Diagnose könnte vorschnell erfolgt sein; er werde veranlassen, dass der Vertrauensarzt der Botschaft mit dem Chefarzt des Khomeyni-Hospitals Kontakt aufnehme. Ausserdem anerbot er sich, unsere Reiseversicherung in der Schweiz zu verständigen. Aber die Zeit drängte. Trotzdem war unmittelbar vor dem Eingriff der Stress bei uns beiden beinahe weg. Dafür hatten besonders die Ärzte mit ihren aufmunternden Worten gesorgt, aber auch der umtriebige Herr Fotovvat, der versuchte, das Optimum aus der Spitalinfrastruktur für uns herauszuholen. (U.a. durften wir Telefon und Internet des Spitals benutzen; er liess auch eine Telefonverbindung in die Schweiz herstellen.) Den Ärzten war es offensichtlich wichtig, uns die bestmöglichen Dienstleistungen anzubieten. Dr. Etesadezadeh, ein Chirurg, der Deutsch spricht, blieb als Übersetzer bei uns, obwohl sein Dienst eigentlich zu Ende war.
Schliesslich wurde Manuel operiert. Ein Gespräch zwischen den Ärzten hier und dem Arzt in Tehran hatte nicht stattgefunden. Die Zeit dafür war zu kurz gewesen. Während Gerold ausserhalb des Operationsraums wartete, fühlte er sich erstaunlich ruhig. Natürlich gingen ihm Fragen durch den Kopf: Was würde der Zwischenfall für Konsequenzen für die Reise haben? Wie sollten wir die Operation und den Spitalaufenthalt bezahlen? Kreditkarten konnten wir hier im Iran ja nicht gebrauchen. Würden wir gar in wenigen Tagen schon in die Schweiz zurückkehren?
Kaum eine halbe Stunde war vergangen, als die Ärzte aus dem Operationssaal traten und den erfolgreichen Eingriff meldeten. Manuel sei bereits in ein Zimmer gebracht worden, wo er aufwachen könne. Sechsbett-Zimmer gibt es hier - wie bei uns vor dreissig bis vierzig Jahren; halbprivate oder private Abteilungen kennt man nicht. Aber der Manager hatte auch hier sein Einverständnis gegeben, ins Zimmer von Manuel keine weiteren Patienten zu legen. Auch sein Vater könne sich hier einquartieren und so lange bleiben, bis man Manuel entlasse.
Emam Khomeyni-Hospital in Hamadan. Noch ist Manuel nicht aufgewacht. Ganz rechts Dr. Esmaili Ramazan Ali, der Oberpfleger der Abteilung; links neben ihm Hamid Kiany Fotovvat, der Computerfachmann und gute Geist des Spitals.
Und die Kosten? Dr. Etesadezadeh klärte das für uns ab: Obere Grenze seien 200 US-Dollar (alles inklusive)! Da brauchten wir weder eine Kostengutsprache unserer Krankenkasse noch einen komplizierten Geldtransfer aus der Schweiz zu organisieren.
Nach der Vollnarkose ging es einige Zeit, bis Manuel aufwachte. Obwohl noch ziemlich benommen, war er rasch wieder guter Dinge. Inzwischen war der telefonische Kontakt mit der Familie zu Hause hergestellt worden. Margrit Koller ermunterte uns, keine überhasteten Entscheidungen zu treffen. Unsere nächsten Ziele waren die grossen Kulturstätten Irans, zuerst der Abstecher nach Bisotun und Taq-é Bostan, in die Nähe der irakischen Grenze, und dann v.a. die Weiterreise nach Esfahan. Jetzt aufzugeben bzw. heimzureisen kam überhaupt nicht in Frage. Wie und wann wir weiterreisen konnten, blieb im Moment allerdings offen.
Rührend war, wie viele Leute des Hospitals, bis hinauf zum Manager, sich um Manuel kümmerten. Alle, mit denen wir bis jetzt zu tun gehabt hatten, kamen vorbei, sprachen mit dem frisch Operierten und munterten ihn auf. Es kamen aber auch Leute auf Besuch, die wir überhaupt nicht kannten. Da nun die Phase des Wartens begann, begab Gerold sich ins Hotel zurück, um einen Teil des Gepäcks ins Spital zu transportieren. Bei der Rückkehr wurde er unmittelbar vor dem Spital aus einem Auto heraus angesprochen. „Wohin sind Sie denn unterwegs und warum ist Ihr Sohn nicht bei Ihnen?“ Der so fragte, war Herr Ghaffari, der Besitzer der Pizzeria und Cafeteria, den wir am Abend zuvor kennen gelernt hatten. Er fuhr seinen Peugeot 204 gleich auf den Parkplatz des Spitals. Er wollte Manuel sehen und im Spital mit den Verantwortlichen sprechen. Auch ihm war es das wichtigste Anliegen, dass es uns an nichts fehlte.
Da für Manuel schon optimal gesorgt wurde und am Spital-Standard ja nichts zu ändern war, machte er wenigstens zum Verantwortlichen für des Vaters Wohl. Er lud ihn ein, abends zum Essen in sein Restaurant zu kommen. Als der bis 21 Uhr nicht eintraf – er war zu müde, um nochmals wegzugehen –, setzte sich Herr Ghaffari nochmals ins Auto. Mit einer grossen Tüte im Arm betrat er vor halb zehn nochmals das Spitalzimmer. Einem Tischlein deck dich gleich brachte er eine vollständige Mahlzeit mit. Selbst die Getränke hatte er nicht vergessen. Derart behütet und versorgt konnten wir beide sowohl der Nacht im Spital als auch der nächsten Zukunft zuversichtlich entgegenblicken.
Wir bleiben im Iran!
9. SeptemberAm Dienstag schauten wir wieder optimistischer in die Welt. Wir waren entschlossen, die Reise fortzusetzen. Die Zuversicht kam zum einen daher, dass Manuel die Nacht hatte durchschlafen und am Morgen ein erstes Mal hatte aufstehen können. Zum andern meinten die Ärzte bei der Visite, dass er zwar vorderhand nicht Rad fahren, aber wir beide die Reise doch per Bus fortsetzen sollten. Ausserdem meinten sie, wir könnten so lange im Hospital bleiben, bis Manuel sich für die Reise genügend erholt habe.
Was aber sollten wir mit den Velos und einem Teil des Gepäcks tun? Nach den schlechten Erfahrungen bei der Busfahrt nach Hamadan wollten wir die Räder nicht mittransportieren. Die Ärzte wussten selbst hier Rat. Dr. Etesadezadeh schlug uns spontan vor, wir sollten die Velos und das nicht benötigte Gepäck in seinem Hause zwischenlagern. Auf der Rückreise von Shiraz könnten wir die Sachen dann wieder abholen. Tatsächlich stand fast all unser Zeug einen halben Tag später in der Garage seines Einfamilienhauses am Stadtrand von Hamadan. Sobald Manuel in der Lage sein würde zu fahren, wollten wir die Velos wieder holen kommen. Im Hotel hatten wir in der Zwischenzeit ausgecheckt. Als Rekonvaleszente fühlten wir uns bei Ärzten und Pflegern des Khomeyni-Hospitals momentan am besten aufgehoben. (Als Gerold die beiden Räder vom Hotel zum Haus des Arztes fuhr, wurde ihm nämlich klar, dass auch er vorerst keine längeren Strecken fahren konnte. Seine Prognose nach dem Sturz vor Rasht, er werde innerhalb von zwei Tagen wieder auf dem Velo sitzen, war zu optimistisch gewesen. Es plagten ihn beim Liegen und beim tiefen Atemholen nach wie vor die üblen Schmerzen im Bereich des Brustkorbs.)
Während des Tages war im Zimmer ein ständiges Kommen und Gehen. Die einen wollten uns gute Besserung wünschen, die andere einfach ihre Neugierde befriedigen und ein paar Worte mit uns wechseln. Es war zwar anstrengend, aber die Anteilnahme war so erfrischend natürlich, dass wir uns nicht belästigt fühlten. Auch eine der Pflegerinnen schaute häufig vorbei, obwohl sie für uns nicht zuständig war. Einmal kam sie, um unser Victorinox-Messer anzuschauen. Kurz darauf war sie erneut da. Wieder wegen des Messers, aber sie nahm es jetzt mit, offenbar um es ihren Kolleginnen zu zeigen. Lustig war, dass sie sich mit uns ausschliesslich nonverbal verständigte. Sie tat es ebenso charmant wie unmissverständlich. Deshalb wollten wir von ihr ein Erinnerungsfoto knipsen. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, warteten wir damit, bis sie mit einer Kollegin vorbeikam. Sie schien zuerst interessiert, wehrte die Kamera dann aber ab – und beide gingen kichernd weg. Wir werweissten, ob wir was falsch gemacht hatten. Vermutlich, dachten wir, wollte sie ohne ihre Kollegin (bzw. ohne dass diese daneben stand) abgelichtet werden. Tatsächlich trat sie wenig später wieder ins Zimmer und signalisierte, dass sie sich nun fotografieren lasse.
Für den weiteren Verlauf der Reise hofften wir auf mehr Glück. Aber wir wussten gleichzeitig, dass wir uns nicht beklagen durften. Auch die Ärzte hatten gemeint, Manuels Blinddarm habe sich zum richtigen Zeitpunkt entzündet. Hätten wir uns mit den Velos bereits auf der Strecke zwischen Hamadan und Esfahan befunden, wäre es schwierig geworden, ärztliche Hilfe zu bekommen. Bis Esfahan sind es 500 km. Die Strasse führt durch einsames Steppen-Hochland. Dörfer sind selten.
Ein Tagebucheintrag
10. SeptemberIn Gerolds Reisetagebuch findet sich am 10. September u.a. folgender Eintrag: Ich schlief gut letzte Nacht, Manuel weniger. Er liegt meist auf der rechten Schulter, und diese beginnt ihn nun zu schmerzen. Ursache dafür ist die harte Matratze. – Man hat bei ihm die Infusionsschläuche entfernt, und er kann wieder trinken. Während ich weg war, um Margrit eine E-Mail zu senden, war jemand bei Manuel, der für uns sonst nicht zuständig ist. Er hat ihn gefragt, wann wir den Spital verlassen würden. Die Frage irritiert, weil sie den bisherigen Äusserungen widerspricht. Es ist ja noch nichts geklärt, was die weitere medizinische Versorgung betrifft. Manuel soll täglich Injektionen bekommen und Medikamente einnehmen. Woher bekommen wir diese? Ab wann ist Manuel reisefähig? Manuel möchte unbedingt in ein Hotel wechseln; er ist im Moment unzufrieden. Wir hoffen nun auf ein klärendes Gespräch mit dem zuständigen Arzt. Problematisch ist, dass das Buali Hotel, eines der beiden Hotels mit gutem Standard, wahrscheinlich ausgebucht ist. Wenn wir hier einige Tage wohnen müssten, würde das ausserdem unsere Reisekasse strapazieren. Und wir werden ja fortan, wenn wir nicht mehr mit den Velos reisen können, ohnehin mehr Geld brauchen. – Jetzt müssen wir wohl einfach mal abwarten. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Stimmungslage labil blieb und wir gut daran taten, nicht naiv auf die uns entgegengebrachte Sympathie und die verbalen Streicheleinheiten zu vertrauen.
Herr Ghaffari besuchte uns am frühen Nachmittag erneut, diesmal in Begleitung seiner Frau. Sie brachten einen riesigen Blumenstrauss, und er sprach erneut mit den Ärzten. Das Ehepaar hätte uns gerne bei sich privat untergebracht, aber da sie sich nur vorübergehend in Hamadan aufhielten und während dieser Zeit bei Frau Ghaffaris Mutter wohnten, war dies nicht möglich. Deren Wohnung sei nicht gross genug, um weitere Gäste aufzunehmen. Wir beschlossen, die folgende Nacht noch im Spital zu verbringen, am Donnerstag Morgen aber alle Formalitäten für den Austritt zu erledigen, ins Hotel zurückzukehren und einen Tag später den nach Kermanshah bzw. Bisotun und Taq-é Bostan zu reisen und dann wieder nach Hamadan zurückzukehren. Herr Ghaffari würde uns einen Privatfahrer organisieren. (Die nahezu 400 km lange Hin- und Rückfahrt wäre anders an einem Tag nicht zu schaffen.) Vielleicht war es unvernünftig, wenige Tage nach der Operation mit Manuel eine so lange Reise zu unternehmen. Er drängte aber selber darauf. (Für ihn war das ein weiteres Argument, den Spital und damit das unbequeme Bett möglichst rasch zu verlassen.) Die Aussicht, stundenlang im Auto zu sitzen, machte ihn nicht bange, denn der fürsorgliche Ratgeber wollte uns einen Fahrer mit einem möglichst neuen PkW organisieren.
Mit Herrn Ghaffari besprachen wir auch die weiteren Reisepläne. Er fand es nicht klug, dass wir einen Teil des Gepäcks und die Velos in Hamadan zurückzulassen wollten. Seiner Meinung nach würden wir uns so die Möglichkeit nehmen, am Schluss für die Strecke Shiraz-Tehran (immerhin 900 km) das Flugzeug zu nehmen. Er schlug uns vor, die Sachen direkt nach Tehran in die Schweizer Botschaft transportieren zu lassen. Dies für uns zu organisieren sei für ihn kein grosser Aufwand. – Wir konnten und wollten dem aber im Moment noch nicht zustimmen, denn dies zu tun wäre zugleich die Entscheidung gewesen, ab hier ohne Velos durchs Land zu reisen. Auch wenn es womöglich illusorisch war, wir glaubten noch daran, später wieder auf den Rädern unterwegs zu sein. Von diesem Plan endgültig Abschied zu nehmen fiel uns schwerer, als wir uns bisher eingestanden hatten. Wir baten um Bedenkzeit. Zuerst mussten wir ohnehin abklären, ob man Fahrräder und Reisegepäck in der Botschaft zwischenlagern durfte.
Verzögerter Spitalaustritt
11. SeptemberEs sollte alles schnell gehen an diesem Morgen. Wir freuten uns auf den Spitalaustritt, den Ruhetag im Hotel und v.a. auf den bevorstehenden Ausflug nach Bisotun. Da das Buali ausgebucht war, wollten wir uns für die verbleibende Zeit erneut im Guest House einquartieren. Natürlich hofften wir, dass wir wieder das Zimmer mit Dusche und WC bekommen würden. Herr Esmaili, der umsichtige, ja geradezu väterliche Pfleger, war ganz traurig, dass wir schon gehen wollten, aber von ärztlicher Seite hatten wir grünes Licht bekommen. Auch die Rechnung hatte man ausgestellt. Wir konnten sie ohne Probleme aus der Reisekasse begleichen. Der Betrag war noch tiefer als vorausgesagt, nämlich bloss 1 290 000 Rial, umgerechnet 200 Franken. (Dafür hätten wir im Hotel Buali nicht mal zwei Tage wohnen können.) In diesem Betrag inbegriffen war ein grosser Beutel mit Medikamenten, u.a. Schmerzmittel, Verbandszeug und sechs Ampullen mit Einweg-Spritzen zur Blutverdünnung. – Exakt die gleichen Ampullen und Spritzen hatten ein Jahr zuvor in einer Schweizer Apotheke 120 Franken gekostet, zwei Drittel des Betrags, den wir hier für den gesamten Spitalaufenthalt, inklusive Operation, bezahlten.
Weil der Vorrat an Rials nun trotzdem auf ein Päckchen schrumpfte, ging Gerold in die nahegelegene Bank Geld wechseln. Es war das erste Mal, dass wir auf einer iranischen Bank Geld bezogen. (In Tabriz hatten wir privat gewechselt.) Es ging, ganz anders als im Reisehandbuch beschrieben, ohne administrative Schikanen vonstatten. Das lag nicht nur, aber auch daran, dass wir einen Tag nach der Ankunft in Hamadan schon einmal in dieser Bank drin gewesen waren. Nicht einer Geldangelegenheit, sondern einer touristische Auskunft wegen. Der Direktor persönlich hatte uns beraten. Auch jetzt wurde Gerold sofort zum Direktor begleitet. Erstaunlicherweise erkundigte sich der freundliche und hilfsbereite Herr gleich nach Manuels Befinden. Er wisse über unser Missgeschick Bescheid, unsere Geschichte mache in der Stadt die Runde. Er war sichtlich erleichtert, als er hörte, wir seien eben dabei, das Spital zu verlassen.
Beim Geldwechsel gab’s nur ein kleines Problem. Da der Tageskurs noch nicht feststand, konnte die Bank erst einen provisorischen Rial-Betrag auszahlen. Trotzdem erhielt Gerold für die Dollars schon jetzt mehr als in Dogubayazit und in Tabriz. Im Verlaufe des Vormittags sollten wir nochmals vorbeikommen, man werde uns dann einen Restbetrag aushändigen können.
Das war fast zu viel des Guten an diesem Morgen. Dem stand gegenüber, dass Gerold sich krank fühlte. Ins Spital zurückgekehrt, wurde er tatsächlich zum Patienten. Während Manuel bereit war aufzubrechen, erlitt er einen Schwächeanfall. Oberpfleger Esmaili reagierte rasch. Er injizierte zuerst ein Vitaminpräparat, steckte ihm dann eine Kanüle in die Unterarmvene und verband diese mit einem Infusionsbeutel. Er schien beunruhigter als der Patient. Kurze Zeit später zeichnete er gar das EKG auf. (Leider ohne verwertbares Resultat. Der Arzt, der die Kurve hätte interpretieren können, befand sich ausser Haus.)
Eigentlich hätte Herr Esmaili nach seiner Nachtschicht längst Dienstschluss gehabt. Er fühlte sich für unser Wohlbefinden aber verantwortlich und blieb da. Als die Infusion etwa zur Hälfte durchgetropft war, glaubte Gerold, sich so weit erholt zu haben, dass er nun meinte aufstehen zu können. Der Pfleger blieb skeptisch, entfernte aber die Infusion. Wie sich sofort zeigte, behielt er Recht. Dem Aufstehversuch folgte eine Ohnmacht. Augenblicke später fand sich Gerold jedenfalls erneut mittels Kanüle und Schlauch an einen Infusionsbeutel angeschlossen. – Was dazwischen passiert war, bekam er erzählt. Als er umgekippt sei, hätten Manuel und der Pfleger reaktionsschnell zugepackt und den Sturz auf den Boden verhindern können.
Bis Gerold wieder bei Kräften war, dauerte es ein paar Stunden. Die Rollen waren wieder vertauscht. Manuel ging nun an seiner Stelle nochmals zur Bank. Dort musste er die Fortsetzung der Geschichte erzählen und bekam wie vorausgesagt einige weitere Rialnoten ausbezahlt.
Wir verliessen das Emam Khomeyni-Hospital an diesem Donnerstag dann doch noch, aber erst am späten Nachmittag. Und bis zum Schluss waren wir vom Pfleger Esmaili betreut worden. Der Beutel mit Medikamenten war inzwischen noch praller als am Morgen. Auch Gerold sollte alle paar Stunden seine Medizin schlucken. Esmaili schärfte uns ein, alles regelmässig und nach Vorschrift einzunehmen. Es gehörte zu seinem Berufsstolz, uns nicht zu gehen zu lassen, ohne zu wissen, dass wir optimal versorgt waren. (Überflüssig zu sagen, dass wir weder für die Medikamente noch die zusätzlichen medizinischen Dienstleistungen etwas bezahlen durften.)