Letzte Besichtigungen in Esfahan
Letzte Besichtigungen in Esfahan
18. SeptemberFür unseren letzten Tag in Esfahanhatten wir uns eine der prächtigsten Sakralbauten der islamischen Welt aufgespart: die Masdjid-é Imam. Sie wurde als königliche Moschee Shah Abbas' des Grossen konzipiert war, aber erst 1630, nach 19-jähriger Bauzeit vollendet, ein Jahr nach dem Tod des Herrschers. An ihr ist vieles einzigartig, u.a. die geknickte Bauweise und die Fliesenmosaike an sämtlichen Innen- und Aussenwänden, den Minaretten und Kuppeln. Der über 25 m hohe Eingangs-Iwan mit den zwei Minaretten bildet an der südöstlichen Schmalseite des Meydan-é Imam einen ästhetischen Glanzpunkt. Da die achsensymmetrisch gebaute Vier-Iwan-Moschee dahinter nach Mekka bzw. nach Süden ausgerichtet ist, musste sie in einem Winkel von 45 Grad zum Portalgebäude errichtet werden. Das gibt dem Baukörper eine zusätzliche Spannung.
Wenn man Eingangsbereich und Nord-Iwan durchschreitet, gelangt man auf den rechteckigen Haupthof mit einem ebenfalls rechteckigen Wasserbecken in der Mitte. (Es dient rituellen Waschungen.) Gegenüber erhebt sich der ebenfalls von Minaretten flankierte mächtige Süd-Iwan. Die zwiebelförmige Kuppel über dem Mihrabsaal dahinter hat einen Durchmesser von 28 m; ihre Spitze befindet sich 50 m über dem Boden.
Die Wände sind bis auf zwei Meter Höhe mit Marmor verkleidet. Darüber beginnt das aus teilweise feinsten Mosaiken bestehende Fliesendekor. Das Muster wirkt stilistisch einheitlich; es besteht hauptsächlich aus Blumenmotiven, zeigt aber auch Tier-, v.a. Vogeldarstellungen. Dazwischen verlaufen Inschriftenfriese mit zumeist weissen Schriftzeichen auf blauem Grund. Geschaffen wurden sie von einem berühmten persischen Kalligraphen.
Grösse und Farbenpracht des lichtdurchfluteten Gebäudes sind auch für Esfahan singulär. Die Masdjid-é Imam ist der vielleicht prächtigste Sakralbau im Iran. Nicht nur die Mosaike, Säulen und Kuppeln der Moschee faszinieren, auch das Raumerlebnis ist überwältigend. Man taucht ein in eine Welt aus Farben auf blauem Grundton. Und wohin man auch geht, man fühlt sich aufgenommen in eine Sphäre der Erhabenheit. Sie weitet sich, sobald man in den Hof tritt, zum unbegrenzten Raum des blauen Himmels. (Bilder im Web: 1, 2, 3)
Von ebensolcher Pracht, aber viel kleiner ist die Shaikh Lotfollah-Moscheean der Ostseite des Platzes. Sie hat weder Minarette noch einen Hof. Das leuchtende Kobaltblau ihres Eingangsiwans mit den wunderbaren Stalaktitengewölbe darüber und die Kuppel mit den Arabasken-Ranken auf (je nach Lichtverhältnissen) ockerfarbenem oder rötlichem Untergrund machen sie zu etwas märchenhaft Wunderbarem. Im Kontrast zur Höhe und Grösse der königlichen Moschee wirkt die Shaikh Lotfollah-Moschee zierlich und mit den feingliedrigen Mustern feminin. Tatsächlich wird sie auch ‚Frauenmoschee’ genannt, aber aus einem anderen Grund, nämlich weil sie eine v.a. Frauen vorbehaltene Privatmoschee war.
Die beiden Sakralbauten bilden zusammen mit dem Ali Qapu Torpalast die architektonischen Glanzpunkte im Gesamtkonzept des ‚Welt-Platzes’. Der trägt seinen Namen völlig zu Recht, stehen hier doch in einer Entfernung von jeweils weniger als 150 m drei der prächtigsten Bauwerke der Weltarchitektur. Den letzten Kultur-Spaziergang unternahmen wir ins Parkgelände westlich des ‚Welt-Platzes’ und damit zum ebenfalls aus safawidischer Zeit stammenden Chehel-Sotun-Palast (was ‚40-Säulen-Palast’ heisst und das architektonisch auffälligste Bauelement nennt). Dem rechteckigen Repräsentations- und Empfangsgebäude vorgelagert ist eine auf drei Seiten hin offene Holzveranda mit einem Dach, das von 20 hohen, schlanken Holzsäulen (mit eingeschnitzten Ornamenten) getragen wird. Diese spiegeln sich im gut 100 m langen Wasserbecken davor, so dass sich tatsächlich 40 Säulen zählen lassen. Eigentlich ist es gar kein Palast, sondern eher ein Gartenpavillon; er besticht nicht etwa durch Grösse, sondern durch Form und Proportion. Die Parkbäume überragen ihn deutlich. Durch sie hindurch wirkt der Bau wie ein auf dem Wasser treibendes Lustgemach. Pavillon, Bassin und Park bilden ein harmonisches Ganzes.
Es finden sich hier wie in den Moscheen mit Stalaktitenreliefs versehene Kuppeln, allerdings sind sie und die Wände nicht mit Fliesen, sondern mit kunstvollen Spiegelmosaiken bedeckt. Das für uns Unerwartete war aber der Hauptraum mit den sechs aus dem 17. und 18. Jh. stammenden grossflächigen Wandmalereien. Drei von ihnen zeigen historische Schlachten (gegen die Usbeken, gegen das mit Elefanten antretende Heer eines indischen Herrschers und gegen einen osmanischen Sultan), die drei andern schildern Empfangsszenen zu Ehren ausländischer Würdenträger. Unterhalb dieser Bilder sind kleinformatige Szenen dargestellt; sie zeigen Mädchen und junge Männer, die sich dem Tanzen, Musizieren oder dem süssen Nichtstun hingeben.
In den Schlachtengemälden wird zwar mit Säbeln gehauen und gestochen und es werden Pfeile abgeschossen, ins Bild gesetzt werden aber v.a. die Reiterkünste und besonders auffällig die Farbenpracht der Gewänder und Kopfbedeckungen der Kämpfenden. Kriegsrealismus war offenbar ebenso wenig gefragt wie die Darstellung von nationalem Chauvinismus. Bewundernswert sind v.a. die kräftigen Farben und schmunzeln lässt sich über die zierlichen Köpfe und Beine der sonst massigen Pferde und über die mächtigen Schnurrbärte einzelner Kämpfer.
Wedding
18. September, AbendDen Donnerstagabend verbrachten wir als Gäste eines Hochzeitsfests. Tags zuvor hatte uns ein junger Mann zur Hochzeit seines Bruders eingeladen. Wir bräuchten weiter nichts zu tun als zu einer bestimmten Zeit vor dem Hotel aufs Taxi zu warten. Auch bezüglich Kleidung bräuchten wir uns keine Sorgen zu machen. Neugierig geworden sagten wir zu. Der Mann erwartete uns exakt zur vereinbarten Zeit und fuhr mit uns weit hinaus an den Stadtrand. Er war leicht enttäuscht, dass er nur uns beide antraf, denn er hatte auch drei Engländer aus dem gleichen Hotel eingeladen. „Sie haben doch auch zugesagt“, meinte er betrübt.
Wir betraten den grossen ummauerten Hof eines kleinbürgerlichen Hauses. Hier deutete nichts auf ein Fest hin. Ein Teil des zeltüberspannten Hofes war zwar mit Teppichen ausgelegt, aber wir schienen die einzigen Gäste zu sein. Die zahlreichen Mädchen, jungen Frauen und Männer schienen zur Familie zu gehören. Nach und nach wurden wir von den männlichen Familienmitgliedern per Händedruck begrüsst, und v.a. die älteren Frauen nickten uns freundlich zu. Wir bekamen Tee gereicht, aber der junge Mann kümmerte sich nun nicht weiter um uns. Ausser dass er Manuel bat, für ihn im Amir Kabir-Hotel anzurufen und sich nach dem Verbleib der Engländern zu erkundigen. Sein Ehrgeiz war es offensichtlich, mindestens fünf oder sechs Ausländer an die Hochzeit zu bekommen. Es blieb aber bei uns beiden, denn der Anruf war erfolglos.
Wir tranken Tee, dösten ein bisschen und harrten der Dinge, die da kommen oder nicht kommen sollten. Immerhin sassen wir auf den Teppichen bequem und brauchten uns ums Weitere nicht zu sorgen. Dass es eine Hochzeit geben würde, wurde vom 25-jährigen Bruder des umtriebigen jungen Mannes bestätigt; er stellte sich uns als Hochzeiter vor. Andere Gäste trafen nach wie vor nicht ein, aber es wurden auf einmal Kisten voller Zucchini, Pfirsiche und Weintrauben in den Hof gebracht und wie auf dem Grossmarkt gestapelt. Das wirkte wie ein Startsignal; fast alle männlichen und weiblichen Familienmitglieder traten um den Hofbrunnen herum in Aktion, begannen Früchte und Gemüse zu waschen und sie in Schalen anzurichten. Dabei wurde etwas zur Gewissheit, was wir zuvor schon andeutungsweise wahrzunehmen gemeint hatten: Zahlreiche Familienmitglieder waren taubstumm. Man verständigte sich fast ausschliesslich mit Hilfe der Taubstummensprache. Der Grund für die Behinderung in der Familie blieb uns bis zum Schluss ein Rätsel. Wir bekamen nun zum Tee noch Früchte und Zucchini gereicht. Besonders das Kosten der überaus süssen Trauben lenkte ab vom Werweissen über das Beobachtete. Wenig später bedeutete man uns mitzukommen. Wir wurden in den Hof des Nachbarhauses geführt, wo gut 250 Stühle und gegen 100 kleine Glastische eng neben- und hintereinander aufgereiht waren. Das war der Männerort. Frauen und Männer feierten die Hochzeit getrennt voneinander. Auch hier hatten sich erst wenige Gäste eingefunden. – Inzwischen war klar geworden, dass eine iranische Hochzeit kein sinnliches Ereignis ist; die Männer bekommen nicht einmal die Braut zu sehen. Warum man uns eingeladen hatte, war nun ebenfalls klar: Das Sozialprestige des Bräutigams bzw. seiner Familie ergibt sich aus der Zahl und der Herkunft der Gäste. Fremde erhöhen es ungemein. Das war eine ernüchternde Erkenntnis, aber wir konnten daraus keine Konsequenzen ziehen, wir mussten ausharren. Da es zum Ritual der Gäste gehört, möglichst lange auszubleiben, würde es spät werden, bis nur der Hof hier einigermassen voll war. Immerhin, mehr als 200 von den 300 Leuten aus der Nachbarschaft, die eingeladen worden waren, würden nicht kommen. Das bemerkten mit etwas Schadenfreude die Burschen neben uns. Heiratsfeste, erfuhren wir, seien für die Nachbarn v.a. lästige Pflichterfüllung. Die jungen Leute machten keinen Hehl daraus, dass sie lieber anderes täten, als hier herumzusitzen bzw. auf fast nichts zu warten. Auf was sie denn überhaupt warteten, fragten wir. „Wir werden etwas zu essen kriegen und dann nach Hause gehen.“ Tags darauf sei es dann Pflicht, dem frisch verheirateten Paar ein Hochzeitsgeschenk zu überreichen. Für den Gastgeber scheint es sich auszuzahlen, denn für die Geschenke wird mehr Geld ausgegeben als fürs Verpflegen der Gäste. Der Einladung nicht Folge zu leisten scheint die einzige Möglichkeit, sich dem Problem zu entziehen.
Was die Anwesenden denn so redeten, wollten wir wissen. „Sie ‚politisieren’, das heisst bei uns, über all das nicht zu sprechen, was man tatsächlich denkt.“ Und als Reaktion auf unsere fragenden Mienen: „Über Politik zu reden wagt in der Öffentlichkeit niemand; wir haben dafür ein Ersatzthema, den Fussball.“
Bei den Frauen im Hof nebenan ging es lustiger zu und her. Wir hörten Musik (wohl aus einem Kassettenrekorder) und rhythmisches Klatschen und wir hätten gewettet, dass getanzt wurde. Bei uns tauchte wieder einmal der Bruder des Bräutigams auf, nämlich mit der Bitte, uns zu bestimmten Gästen zu setzen, um denen über uns und unsere Reise zu erzählen. Wir fühlten uns zu offensichtlich instrumentalisiert und lehnten ab.
Inzwischen hatte man mit dem Verteilen der Früchteschalen angefangen; wirklich Appetit hatten wir natürlich nicht mehr. Wenigstens tauchte jetzt der Bräutigam auf, hinter ihm ein Videograph. Es war Aufgabe des Hochzeiters, jeden Gast persönlich zu begrüssen und von ihm Glückwünsche entgegenzunehmen. Sein gekünsteltes Lächeln war ein deutliches Zeichen, dass das für ihn eine unangenehme Pflichterfüllung war.
Als letzter Gast erschien schliesslich der Mullah. Er löste ein Raunen aus, wohl weniger seiner Aura wegen als vielmehr deshalb, weil man das Ende der Veranstaltung nun rasch würde hinter sich bringen können. Es war inzwischen 23 Uhr geworden. Und in der Tat konnte auf einmal nichts mehr rasch genug gehen. Wie auf Kommando standen alle auf, marschierten aus dem Hof hinaus und betraten 50 m weiter einen anderen Hof. Dort war an langen Stehtischen das Essen angerichtet: Chor Mesabsi (das spezielle Erbsengemüse, das wir in Masuleh zum ersten Mal gegessen hatten), Reis, Kebab und ein Fläschchen Fanta. Was jetzt geschah, war skurril und doch irgendwie bezeichnend fürs Ganze: Innerhalb von weniger als einer Viertelstunde waren alle Teller mehr oder weniger leer gegessen und wieder eine Minute später war der Hof leer. Man hätte meinen können, dass ein Gewittersturm drohte und sich alle zuvor hätten nach Hause retten wollen. Auch unser dringendster Wunsch war es, möglichst rasch ins Hotel zu kommen. Der junge Mann organisierte uns ein Taxi und fuhr sogar mit. Allerdings drehte er sich auf halber Strecke zu uns um und meinte scheinbar verlegen, unglücklicherweise habe er den Geldbeutel zu Hause liegen lassen, es müsse uns darum bitten, das Taxis selber zu bezahlen. Damit setzte er den passenden Schlusspunkt. Als wir wenig später im Hotelzimmer standen, brauchten wir uns nur noch anzuschauen, um dann erleichtert loszulachen.