Persepolis

26. September 2003

Freitag, 26. September

13 Tage zuvor hatten wir in Bisotun hinaufgeschaut zum Siegesrelief König Darius’ des Grossen. Hier, 40 km nordöstlich von Shiraz, befanden wir uns nun vor den Überresten der Residenzstadt, die 518 v. Chr. vom gleichen Achämenidenkönig gegründet, nach 120-jähriger Bauzeit vollendet und schon 331 v. Chr. von Alexander dem Grossen zerstört worden war. Die beiden Herrscher, von der Mit- und Nachwelt als ‚Grosse’ bezeichnet, manifestierten hier ihre Grösse auf je besondere Weise: Der eine baute, der andere zerstörte.

Darius der Grosse, verewigt in Persepolis
Darius der Grosse, verewigt in Persepolis

Zu Darius’ Zeit existierten bereits die Residenzstädte Ekbatana (heute Hamadan), Pasargadae (nordöstlich von Persepolis) Susa und Babylon. Auf dem Machtzenit gründete Darius nicht weit von Pasargadae entfernt die neue Residenzstadt, die Takht-é Djamshid, Thron des Djamshid, genannt wurde. (Persaipolis, Stadt der Perser, ist der griechische Name.) Während das Relief in Bisotun die Botschaft des Mächtigen verkündete, die von den Reisenden in die Welt getragen werden sollte, wurde Parseh zum Ort, wo die Achämenidenkönige nach Darius residierten und wohin die 28 Völkerschaften ihre Delegationen schickten, um Tribute zu entrichten und gemeinsam mit dem ‚König der Könige’ die nationalen und religiösen Anlässe zu feiern. Die Abgesandten aus den Grenzregionen der ersten indo-europäischen Grossmacht kamen dafür von weit her: vom Indus, aus den Steppengebieten des Jaxartes (östlich des Aralsees), aus Ägypten, Libyen und Äthiopien sowie aus Kleinasien und Gebieten des Ägäischen und Schwarzen Meeres.

Schon vor Jahrhunderten waren Reisende, unterwegs von Esfahan oder Yazd zum Persischen Golf, in der unbesiedelten weiten Ebene auf das gewaltige Trümmerfeld aufmerksam geworden. Selbst aus grosser Entfernung waren die zahlreichen immer noch aufrecht stehenden Säulen sichtbar gewesen. Europäische Forscher begannen Ende des 17 Jh.s die Anlage genauer zu untersuchen und auf Plänen die gewaltigen Prachtbauten zu rekonstruieren. Wissenschaftliche Ausgrabungen begannen aber erst in den 30er-Jahren des 20. Jh.s. Heute sind die Ruinen eindrücklich restauriert.

Treppenaufgänge zu Persepolis
Treppenaufgänge zu Persepolis

Über zwei Treppenaufgänge gelangt man auf das 125 000 qm grosse Gelände, auf dem sich alle Bauten bzw. deren Überreste befinden. Es ist eine Art Terrasse, die sich nahezu 20 m über die Ebene erhebt. Die Bauarbeiten, die hier vor über 2500 Jahren begannen, waren auf mehrere Generationen hin angelegt. Es wurde aber nicht einfach gigantisch, sondern von Beginn weg nach einem architektonischen Gesamtkonzept gebaut. Das schliesslich vollendete Persepolis umfasste neben grossartigen Palästen auch Verwaltungsgebäude, Kasernen, Werkstätten, Lager- und Archivräume sowie Wohnquartiere für die Diener. In den Komplex integriert waren Frischwasserkanäle (gespeist über eine in den Fels gehauene Zisterne) und eine Kanalisation. Umgeben war die Residenz von einer mächtigen Befestigungsanlage. 40 m über dem Niveau der Terrasse befinden sich zwei Felsgräber, das von Artaxerxes II. und das unvollendete seines Nachfolgers.

Der Eingang zum Palastkomplex: Das Völkertor
Der Eingang zum Palastkomplex: Das Völkertor

Vorerst glaubten wir lediglich ein Ruinenfeld vor uns zu haben, bestehend aus aufeinander getürmten Steinquadern und funktionslos gewordenen Säulen. Sobald wir aber die Freitreppe erstiegen und das Länder- bzw. Völkertor durchschritten, entstand das ursprüngliche Persepolis vor dem inneren Auge wie von selbst. Die monumentale Grösse der einzelnen Überreste sowie die Präzision, mit der die unzerstörten Teile wieder zu erkennbaren Baukörpern zusammengefügt wurden, sind so markant, dass sich über die Einbildungskraft das Ursprüngliche wie von selbst einstellt. Trotzdem wird das Vorstellungsvermögen angesichts der Dimensionen einzelner Gebäude beinahe gesprengt, beim Hundertsäulensaal etwa, dem Thronsaal von Xerxes I. Über zehn Reihen mit jeweils 14 m hohen Säulen spannte sich ehemals eine Decke von der Grösse eines heutigen Fussballfeldes.

Eindrücklicher noch als das Gigantische sind Präzision und Plastizität der Steinmetzarbeit. Sichtbar wird die künstlerische wie handwerkliche Qualität an den unzähligen nahezu unzerstört erhaltenen Reliefs und den wieder aufgerichteten Portal-Skulpturen. Dass die riesenhaften mythischen Wesen aus Stierleib und Menschen- oder (doppeltem) Vogelkopf als schützende Götter angesehen wurden, wird von ihrer Ausdruckskraft her verständlich. Bei den aufwändigen Reliefs hat das Zerstörungswerk Alexanders nicht so viel ausrichten können wie bei den Bauten. Dafür hätte er ein Heer von Steinmetzen einsetzen müssen. So lassen sich an der östlichen Apadana-Treppe, dem einen der beiden Aufgänge zum Empfangspalast, 23 Delegationen der insgesamt 28 Völkerschaften des persischen Weltreichs fast so anschauen, als ob man sie lebendig vor sich hätte. Die neunköpfige Gruppe der Meder z.B. bringt Krüge, Geschirr, Armreifen, Gewänder und ein Kurzschwert in einer verzierten Scheide als Präsent mit. Sie tragen Hosen und langärmlige Obergewändern bis zu den Knien; den Kopf umhüllt eine Mütze, die nur das Gesicht frei lässt. Jede Gruppe ist bezüglich körperlicher Besonderheiten, Kleidung und mitgeführter Gaben so differenziert und detailreich aus dem Stein gemeisselt, dass etwa die Äthiopier ebenso leicht von den Libyern wie diese von den Ägyptern zu unterscheiden sind.

Völkerschaft der Armenier auf der Apadana Treppe: In der mittleren Bildreihe führen die Armenier die Reihe der Gabenbringer an. Ihre Gruppe besteht nur aus drei Personen, die Reitertracht und auf dem Kopf eine Baschlyk. Die Seitenteile der mützenartigen Kopfbedeckung, die sonst vor dem Kinn übereinander gelegt werden, sind bei den Armeniern auf dem Hinterkopf zusammengebunden. Einer der Delegierten führt ein Pferd mit, ein zweiter hält einen wohl aus Edelmetall gearbeiteten Krug mit Greifenprotomen in der Hand. (Aus: Mahmoud Rashad, Iran)
Völkerschaft der Armenier auf der Apadana Treppe: In der mittleren Bildreihe führen die Armenier die Reihe der Gabenbringer an. Ihre Gruppe besteht nur aus drei Personen, die Reitertracht und auf dem Kopf eine Baschlyk. Die Seitenteile der mützenartigen Kopfbedeckung, die sonst vor dem Kinn übereinander gelegt werden, sind bei den Armeniern auf dem Hinterkopf zusammengebunden. Einer der Delegierten führt ein Pferd mit, ein zweiter hält einen wohl aus Edelmetall gearbeiteten Krug mit Greifenprotomen in der Hand. (Aus: Mahmoud Rashad, Iran)

Völkerschaft der Armenier auf der Apadana Treppe: In der mittleren Bildreihe führen die Armenier die Reihe der Gabenbringer an. Ihre Gruppe besteht nur aus drei Personen, die Reitertracht und auf dem Kopf eine Baschlyk. Die Seitenteile der mützenartigen Kopfbedeckung, die sonst vor dem Kinn übereinander gelegt werden, sind bei den Armeniern auf dem Hinterkopf zusammengebunden. Einer der Delegierten führt ein Pferd mit, ein zweiter hält einen wohl aus Edelmetall gearbeiteten Krug mit Greifenprotomen in der Hand. (Aus: Mahmoud Rashad, Iran)

Bei den Ausgrabungen wurden in einem der Verwaltungsgebäude gegen 30 000 Tontafeln gefunden, auf denen in elamischer Sprache und Schrift u.a. die Arbeitsverhältnisse der Steinmetzen und Arbeiter festgehalten worden waren. Geregelt waren neben Arbeitszeit und Entlöhnung sogar die Leistungen, die bei einem Arbeitsunfall geschuldet waren. Der schier unvorstellbare Aufwand für die Residenz Persepolis wurde also nicht von Sklaven erbracht, sondern von Künstlern, Handwerkern und Bauarbeitern, die nach festen Tarifen bezahlt wurden. Erhalten geblieben sind sogar die Lohnabrechnungen der am Schatzhaus Beschäftigten. Dass selbst die Entlöhnung von Tausenden von ihnen die Schatzmeister nicht in Bedrängnis brachten, zeigte sich, als Alexander nach dem Fall von Persepolis den Staatsschatz wegtransportieren liess. Er benötigte dafür nebst vielen Pferden und Maultieren 3000 Kamele.

Durch die Ruinenstadt gehend beschäftigte uns immer wieder die Frage, warum Alexander Persepolis zerstörte. Am 1. Oktober 331 hatte er die Schlacht bei Gaugamela im Zweistromland v.a. deshalb gewonnen, weil Darius III. nicht nervenstark genug war und sich schon zur Flucht wandte, als gegnerische Kavallerie in die Mitte seiner Aufstellung eingedrungen war. Nach diesem leichten Sieg waren seine nächste Ziele darum die Königsresidenzen Susa, Persepolis, Pasargadae und Ekbatana. Er stiess auf wenig Widerstand; Susa und Persepolis ergaben sich kampflos. Worin lag also der Sinn, Persepolis einäschern zu lassen? Auf seinem Feldzug nach Indien richtete Alexander sonst wenig Zerstörung an. Da er den Perserkrieg einst als Rachekrieg proklamiert hatte (die Perser hatten 480 die Akropolis zerstört), wird die Tat in Persepolis von vielen Historikern damit erklärt, dass er den Rachekrieg hier durch diese symbolische Handlung beendet habe. Sicher ist, dass Alexander selbst es war, der die Brandfackel in den Palast des Xerxes warf. Ob er es bewusst tat oder, wie eine frühe Überlieferung berichtet, nach einem Gelage aus einer Affekthandlung heraus, ist unklar; dass er es tat, war abscheulich. Da Persepolis alles vereinigte, was die politische, wirtschaftliche und kulturelle Grösse der Achämeniden ausmachte, war die Zerstörung wohl der symbolische Todesstoss für das Reich. Wie schön wäre es, wenn heute neben der Akropolis in Athen und den Pyramiden in Ägypten auch das Gesamtkunstwerk Persepolis als weiteres Zeugnis einer frühen Hochkultur noch existierte!

Die Überreste von Pasargadea
Die Überreste von Pasargadea

Nach dem Besichtigung von Persepolis fuhren wir gleich nach Pasargadae weiter. Das waren zusätzliche 70 km Fahrt. Am Morgen, auf dem Weg von Shiraz nach Persepolis, hatte uns der Chauffeur zu einem baumbestandenen Hain gefahren und uns da ein reichhaltiges Frühstück serviert. Sogar Nescafé und warme Eier hatte er aus einem grossen Henkelkorb gezaubert. Hunger hatten wir darum noch nicht. Trotzdem hätten wir es mit der Besichtigung von Persepolis am liebsten bewenden lassen; der Gang durch die von der Sonne bald aufgeheizten Ruinen war anstrengend gewesen, v.a. aber schwirrten uns die vielen Eindrücke durch den Kopf. Wir hatten nun aber mal zu einer Tour auch nach Pasargadae und Naqsh-é Rostam ja gesagt, und die beiden Norweger, die mir uns unterwegs waren, wollten das Programm durchziehen.

Das Grab von Kyros dem Grossen, zur Zeit unseres Besuches leider eingeschalt.
Das Grab von Kyros dem Grossen, zur Zeit unseres Besuches leider eingeschalt.

In Pasargadae befanden wir uns an dem Ort, von wo aus das achämenidische Weltreich begründet worden war. Kyros II. hatte hier 550 v. Chr. nach der Entscheidungsschlacht gegen den Mederkönig Asyages die erste Residenzstadt gegründet, Perser und Meder unter seiner Herrschaft geeint und kurz darauf mit dem Eroberungszug nach Mesopotamien und Kleinasien begonnen. Im Vergleich zu Persepolis bietet Pasargadae aber wenig; auf dem riesigen Gelände auf 1900 m Höhe sind nur noch einzelne Fundamente und Säulenteile ehemaliger Paläste vorhanden. Eine Vorstellung, wie die Residenzstadt ausgesehen hat, ergibt sich aus den Ruinenresten nicht. Vollständig erhalten ist allerdings das kleine, aber eindrucksvolle Grabmonument von Kyros II. (Leider verwehrte beim Besuch ein Baugerüst den Zutritt.) Auf einem sechsstufigen Unterbau aus fast weissen Kalksteinquadern ruht ein einräumiges Gebäude mit einem Giebeldach, alles aus demselben Stein. Darin soll Kyros’ einbalsamierter Leichnam auf einem goldenen Totenbett geruht haben. Alexander der Grosse fand das Grabmahl aufgebrochen und ausgeraubt vor. Da das Schändliche kurz vor seinem Eintreffen geschehen war, konnten die Übeltäter ausfindig gemacht werden, worauf Alexander sie hinrichten liess (wohl auch, um sich als Nachfolger des Achämenidenherrschers zu legitimieren).

Vom griechischen Schriftsteller Plutarch wird die (heute nicht mehr vorhandene) Grabinschrift überliefert: „Mensch, wer du auch sein und woher du auch kommen magst – denn dass du kommen wirst, weiss ich – ich bin Kyros, der den Persern die Herrschaft erworben hat. Missgönnt mir nicht die wenige Erde, die meinen Leichnam deckt.“ Alexander sei davon so beeindruckt gewesen, dass er die Inschrift unter dem Originaltext in Griechisch habe anbringen lassen. Auf dem Rückweg besuchten wir schliesslich noch die Achämeniden-Nekrople Naqsh-é Rostam. In vier monumentalen Felsgräbern wurden hier Darius I. und drei seiner Nachfolger begraben. (Die beiden Felsgräber in Persepolis sind jünger, denen von Naqsh-é Rostam aber baugleich.) Die Fassaden der Gräber sind monumentale in den Fels gehauene Kreuze. In der Mitte ihres Querbalkens führt ein Gang zur jeweiligen Grabkammer. Auf dem Relief darüber ist jeweils der König vor einem Feueraltar abgebildet. Er steht auf einem Thronpodest, das von den Völkerschaften des Reichs getragen wird.

Auch zahlreiche sasanidische Herrscher sind hier verewigt worden. Von den acht Reliefs am Fusse des Felsens zeigen vier den König bei einem offiziellen Anlass. Da sie dabei die Krone tragen und diese von Münzbildern her bekannt sind, lassen sich vier Herrscher identifizieren. Die Reliefs sehen denen von Taq-é Bostan (siehe 13. September) ähnlich und sind wie diese nahezu vollplastisch aus dem Fels gehauen. Auch in Naqsh-é Rostam zeigen einzelne Reliefs die Zeremonie der Investitur, andere aber bilden Reiterkämpfe ab. Vermutlich sind die sasanidischen Könige nicht an zwei Orten verewigt worden, sondern nur entweder in Taq-é Bostan oder hier.