Reiseplanung und Esfahan by night
Reiseplanung, Gedanken über den iranischen Basar und Entspannung am Fluss
17. SeptemberAn diesem Tag hatten wir einiges zuorganisieren und zu erledigen. Und das war gut so. Esfahan ist eine Stadt der ständigen Stimulation. Man muss sich hüten, ihrer reichen Ästhetik wegen in einen Zustand der Überreizung zu geraten. Wir bemerkten an uns eine besondere Form von Euphorie, die uns Gefahr laufen liess, von einem Prachtbau zum nächsten zu eilen wie die Bienen von Blüte zu Blüte. Aber ständig mit dem (unausgesprochenen) Wunsch, in den Genuss noch stärkerer Sinnenreize zu kommen. Safawidische Moscheen, Paläste und Gartenanlagen wirken in der Tat berauschend. Wenn wir so von einem Highlight zum nächsten unterwegs waren, taten wir das mit der heimlichen Erwartung, Quantität und Qualität des Ästhetischen liessen sich noch steigern. – Wir nahmen uns darum vor, das Sightseeing-Tempo zu verlangsamen bzw. uns mit dem Einzelnen intensiver auseinander zu setzten.
Zunächst war ohnehin ein Gang ins nächste Spital fällig. Manuel musste sich die Fäden der Operationsnarbe entfernen lassen. Gerold wollte die Gelegenheit nutzen, seine Schürfwunde einem Arzt zu zeigen. Während der Schnitt in Manuels Bauch nur noch als Strich mit Fäden sichtbar war und ihn selbst beim Lachen nicht mehr schmerzte, hatte sich Gerolds Zustand nicht im erhofften Mass gebessert. Zwar waren die meisten Schürfungen verheilt, aber die an der Hüfte nässte und brannte weiterhin. – Wir trafen wieder auf einen Arzt, der uns nicht nur zuvorkommend behandelte, sondern auch medizinisch gut versorgte. Er schaute sich auch Gerolds Blessur an, wusch und desinfizierte sie. (Dass er nach wie vor nicht schmerzfrei durchatmen konnte, liess Gerold unerwähnt.) Er gab uns aus der Spitalapotheke eine Salbe mit und empfahl, die Wunde täglich mit Seifenwasser auszuwaschen. Für die Salbe bezahlten wir 70 Rappen; für die Dienstleistung wollte er kein Geld haben.
Nun waren drei Entscheidungen zu fällen: Wohin wollten wir reisen? Wann wollten wir weiterreisen? Welche Verkehrsmittel wollten wir künftig benützen? Die Möglichkeit, einen Privatfahrer zu engagieren verwarfen wir. Wir wollten ungebunden sein, die ganze Entscheidungsfreiheit behalten (z.B. darüber, wie lange wir an einem Ort bleiben wollten). – Von der Geografie her war Yazd das nächste Reiseziel. Die Stadt liegt 300 km südöstlich von Esfahan. Von dort bis nach Kerman sind es 400 km und nach Bam weitere 200 km. Das bedeutete drei anstrengende Busfahrten. Und schliesslich eine vierte von 600 km, wenn wir auf der zweitletzten Etappe von Kerman im Südosten nach Shiraz im Südwesten gelangen wollten. Eine Alternative gab es, und diese eröffnete sich im Office der Iran Air. Am übernächsten Tag gebe es einen Flug nach Kerman. Besser hätten wir es nicht treffen können! Wir liessen uns darum nicht nur die reservierten Tickets für den Flug von Shiraz nach Tehran ausstellen, sondern buchten auch Plätze für den Flug nach Kerman. Yazd brauchten wir deswegen nicht von der Liste zu streichen. Wenn wir zuerst nach Kerman (und von da aus nach Bam) und erst anschliessend nach Yazd reisten, ergab das zwar ein Süd-Nord-Süd-Zickzackweg, aber im Endeffekt lief es auf weniger und kürzere Bustransfers hinaus. Und eröffnete sogar die Möglichkeit einer Eisenbahnfahrt. Yazd liegt nämlich an einer der drei iranischen Bahnstrecken, die von Tehran aus nach Nordwesten, nach Osten und nach Süden führen. Kerman ist die Endstation der Südoststrecke. Von Yazd aus mit dem Bus schliesslich nach Shiraz zu fahren war kein Problem, denn mehr als sieben Stunden dauerte das nicht. (Es versteht sich von selbst, dass bei den 130 Franken für die vier Flugbillette finanzielle Überlegungen beim Entscheid keine Rolle spielten.)
Jetzt waren wir im Kopf wie durchgelüftet. Arztbesuche standen keine mehr auf dem Programm, wir hatten noch anderthalb Tage Esfahan vor uns, und die Fortsetzung der Reise war organisiert. Das wirkte befreiend. Unternehmungslustig starteten wir zu einem ausgedehnten Basarbummel.
Basare sind keine überdimensionierten Flohmärkte, es lässt sich hier – wie in westlichen Shopping-Centers – beinahe alles kaufen, was auf dem Markt ist. Räumlich gesehen sind Basare gedeckte Ladenstrassen und -gassen. Die sechs, sieben Meter hohen Lehmziegelwände sind überdacht oder überkuppelt. Deren weit oben angebrachte Fenster bringen Licht in die Gasse darunter. Das Dach bzw. die Kuppel bietet v.a. Schutz gegen die Hitze, im Winter aber auch gegen Regen und Schnee. Selbst während der grössten Sommerhitze steigt die Temperatur im Basar (ausser im extrem heissen Süden, z.B. in Bam) kaum über 20 Grad. Daran ändert auch das grösste Gedränge nichts.
Esfahan hat mehr als einen Basar; der Bazar-é Bozorg, der ‚Alte Basar’, beginnt beim Meydan-é Imam, beschreibt eine Schlangenlinie nach Nordosten und endet nach gut 1500 m bei der Freitagsmoschee. (Noch grösser ist einzig der Basar in Tehran.) Sozusagen angedockt daran sind auf der ganzen Strecke Karawansereien, kleine Moscheen und Koranschulen. Der Baukomplex, grösstenteils aus dem 16. Jh. stammend, beinhaltet Tausende von Läden. Anders als in Ladenpassagen bei uns, wo es Geschäfte bzw. Läden jeder Grösse gibt, von der Miniboutique bis zum Supermarkt, haben hier alle Händler einen Raum von ähnlicher Grösse (etwa 5 x 6 x 3 m). Sie sind bestrebt, darin möglichst viel Ware attraktiv zu präsentieren. Viele entwickeln dabei wahre Kunstfertigkeit.
Da die Läden meistens keine rückgebauten Lagerräumer haben, muss ständig Ware herangeschafft werden. Das geschieht immer auch durch die Hauptgasse. Männer mit kleinen, stabilen Karren bahnen sich mit lautem Rufen den Weg durch die Menge der Leute.
Man müsste annehmen, dass Basare ein Eldorado für Diebe wären. Dem scheint nicht so zu sein. Jedenfalls bewachen die Händler ihre Ware nicht, wenn vom Mittag bis zum späten Nachmittag der Verkauf ruht, die Gassen aber während dieser Zeit frei zugänglich bleiben. Einzelne Händler schützen die Waren mit Tüchern (wegräumen können sie sie nicht), lassen sie aber unbeaufsichtigt zurück.
Es ist auch ein Irrglaube, zu meinen, man werde von den Händlern ständig angesprochen bzw. dazu aufgefordert, die Ware zu begutachten und zu kaufen. Hier im Iran kann man auch als Tourist durch die Basare schlendern, ohne belästigt zu werden. Wenn man die Waren genauer begutachtet, Kaufinteresse bekundet bzw. nach dem Preis fragt, dann kriegt man sofort die gewünschte Aufmerksamkeit. Der Händler nennt einen Preis und eröffnet so das Ritual des Feilschens. Wer sich das nicht zu tun getraut, sondern bezahlt, erntet heimlich Spott. Am raschesten zum Ziel kommt, wer den zuerst genannten Betrag ein wenig herunterhandelt und dann zusätzliche Ware (so er sie denn brauchen kann) erschnorrt. Wenn man ein bisschen Zeit hat und hartnäckig ist, kriegt man so das Gewünschte für 50 bis 70 Prozent des Ausgangspreises.
Orientalische Basar oder das Rollenverhalten der Männer
In den iranischen Basaren wird Arbeitslosigkeit verschleiert. Oder, positiver formuliert, weil er vielen Männern ein wenig Beschäftigung gibt, vermindert der Basar Arbeitslosigkeit. Es ist kaum zu bestreiten, dass es, um den Warenhandel optimal zu organisieren, nicht mehr als einen Drittel der Basarläden braucht. (Dasselbe gilt übrigens auch für die Läden ausserhalb des Basars.) Die verbleibenden Händler hätten genügend Kundschaft und ordentlichen Verdienst. So, wie der Basarhandel nach wie vor funktioniert, kommen wohl nur wenige auf einen grünen Zweig. Für die Volkswirtschaft gravierender ist aber, dass viel produktives Potenzial ungenutzt bleibt. Hier wird Tee getrunken, geplaudert
und gelegentlich etwas verkauft. Die Hypothese sei erlaubt, dass die iranische Volkswirtschaft auch darum nicht vorankommt bzw. auf dem internationalen Gütermarkt kaum eine Rolle spielt, weil zu wenig Arbeit und Kreativität in die Entwicklung, Produktion und Veredelung von Gütern investiert wird. Zu viele wollen das verkaufen, was Hunderte anderer ebenfalls verkaufen und was schon immer verkauft wurde. Als Beispiel für die unproduktive Tätigkeit vieler Männer heute zwar nicht mehr repräsentativ, aber immer noch exemplarisch sind Teppichproduktion und Teppichhandel. Die harte Arbeit, das Knüpfen, tun v.a. Frauen. Für miserablen Lohn an wenig attraktiven Arbeitsplätzen. Männer sind dann am Zug, wenn die Prachtstücke in geschmackvoll eingerichteten Basarläden oder in repräsentativen Schauräumen in Tabriz, Esfahan oder Tehran zum Verkauf ausgestellt werden. Etwas überpointiert könnte man behaupten: Die Frauen arbeiten und die Männer beschäftigen sich.
Die urbane Iranerin ist in der Regel gut ausgebildet; sie knüpft nicht mehr Teppiche, sondern arbeitet z.B. als Agronomin oder Lebensmittelingenieurin. Aber sie muss sich noch immer in eine ausschliesslich von Männern bestimmte Ordnung fügen. V.a. hat sie trotz gleicher politischer Rechte wenig oder keinen Einfluss auf die gesellschaftlichen Entscheidungen. Der Zwang zum Tragen von Hedjab und Manteau z.B. mag seine Wurzeln im Koran haben, tatsächlich sichert er männliche Macht. Wenn viele Männer ihre Frauen und Töchter unterdrücken und sich so von den Mullahs instrumentalisieren lassen, hat das wenig mit dem Koran, aber einiges mit der Zementierung traditioneller Herrschaft zu tun. Überliesse man es der Entscheidung der Frauen, wie sie sich verhalten, wie sie sich z.B. kleiden wollen, die meisten würden Kopf- und Körpertuch wegschmeissen und in der Folge auch gesellschaftlichen Einfluss fordern. Und – um wieder auf die Männerarbeit zurückzukommen – das hätte mittel- und langfristig zur Folge, dass sich auch die Männer stärker als bis jetzt an den Regeln der Leistungsgesellschaft orientieren müssten.
Viele Iraner haben im Gespräch ihrem Groll darüber Luft gemacht, dass ihr Einkommen zwar für einen bescheidenen Lebensstandard reiche, aber für mehr, eine Auslandreise beispielsweise, niemals genüge. Sie machen dafür den Staat verantwortlich und meinen, es würde für sie alles besser, wenn der Iran zu einem Staatswesen wie dem früheren Shah-Regime zurückkehrte. Dass ihre Situation zu einem guten Teil selbstverschuldet ist, durchschauen wenige. Aufklärung täte Not. Das würde die bisherige Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in Frage stellen und die Männer zwingen, sich mehr durch berufliche Leistung und weniger durch die Rolle als Familienoberhaupt zu definieren.
Wir sind im Iran einigen wohlhabenden Männern begegnet, z.B. Herrn Ghaffari in Hamadan. Einzelne von ihnen mögen bessere Startchancen als der Durchschnitt der Iraner gehabt haben, ihr erreichter Wohlstand war aber zur Hauptsache Ergebnis von Eigeninitiative und Leistung. Interessant, aber nicht erstaunlich war auch, dass diese Männer zu ihren Frauen ein partnerschaftlichen Verhältnis haben, diese nicht in eine dienende Rolle drängen. (Im Privatbereich leben ihre Frauen wie Europäerinnen.)
Orientalische Basare aktivieren die Sinne, aber sie stehen auch für eine Ökonomie, die in der globalisierten Welt wenig Wettbewerbschancen hat. Wenn ein Land wie der Iran sich allmählich dem europäischem Lebensstandard annähern will, müssen mehr Iraner als bisher traditionelle ‚Beschäftigungen’ aufgeben und sich dem weniger beschaulichen, aber produktiveren Klima des Wettbewerbs stellen. Ein Land mit so viel Potenzial und so reicher Kultur hätte die besten Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung.
Den Abend verbrachten wir am Fluss. Das Teehaus unter dem ersten Bogen der 33-Bogen-Brücke war noch offen und wir fanden trotz des Gedränges Platz an einem Tisch, wo zwei junge Männer Wasserpfeife rauchten. Sie meinten, zum Tee gehöre hier auch die Pfeife. Sie bestellten frische Mundstücke und liessen uns probieren. Der mit Minze versetzte Rauch dünkte uns gar nicht übel, und so hatten auch wir im Handumdrehen eine ‚Hubble-Bubble’ vor uns stehen. Wir rauchten eine Tabak-Melasse mit Bananenaroma. Solange die Mischung nicht mit Opium angereichert ist, ist das Rauchen unbedenklich. Es dient der Entspannung und hat den Charakter eines Rituals. Zudem erfordert es Lungenkraft, sonst kriegt man die angereicherte Luft nicht in den Mund. Immerhin muss sie an Holzkohle und Tabak vorbei durch Rauchrohr und Wasser in die Tiefe gesogen werden, bevor sie durch den Schlauch wieder aufsteigt und schliesslich auf die Geschmacksnerven trifft.
Wasserpfeife rauchen zwingt zur Musse. Schon das Präparieren der Pfeife ist aufwändig, und bis eine Mischung geraucht ist, können ohne weiteres zwei Stunden vergehen. Dabei wird nicht mehr Tabak geraucht, als eine Zigarette enthält. Entsprechend meditativ ist die Wirkung.
Später setzten wir uns am Flussufer an die noch immer warme Mauer und assen geröstete Maiskolben. Es hatten sich inzwischen Männer mit Minigrills eingerichtet – etwa alle 100 m sass einer – und boten den SpaziergängerInnen die braun gerösteten Kolben an. Diese dufteten so, dass auch wir Appetit bekamen. Und was der Duft versprochen hatte, das hielten die heissen Dinger beim Essen. Auf erträgliche Wärme heruntergekühlt werden sie übrigens in einem Eimer mit Zitronenwasser, was ihnen einen noch spezielleren Gout gibt.