Chirripó

10. February, 2012

Mittwoch: Die muskulären Verspannungen lösen wir nicht in den Quellen, sondern auf dem Weg dorthin im Bergfluss. Per Zufall entdecken wir einen Zugang zu einem der drei Flüsse, die alle sehr viel Wasser führen. Das Becken ist ein grosser Jacuzzi mit erfrischender Wassertemperatur. Zwar muss man aufpassen, dass es einen nicht fortschwemmt, aber wenn man die richtige Position gefunden hat, massiert einen das aufquirlende Wasser durch und durch. Der letzte Luxus vor den Strapazen der kommenden zwei Tage.

Entspannend, erfrischend.
Entspannend, erfrischend.

Donnerstag: Von unserem Dschungelhotel aus erfolgt der Start um 5. Eine halbe Stunde brauchen wir zum Parkeingang, wo wir erst einmal kräftig frühstücken. Der Wirt drückt uns Hände und Daumen für den Aufstieg. Wir hoffen, das Basislager zwischen 2 und 4 Uhr zu erreichen, denn in der Literatur wird eine Dauer von 7 bis 14 Stunden für die 14.5Km mit 1900m Höhendifferenz angegeben. Auf dem Weg wird man vorzüglich informiert: Jeder Kilometer ist mit der aktuellen Höhe gekennzeichnet. Das ist zwar positiv, flösst aber auch Respekt ein: Es geht sehr lange, bis wieder ein Informations-Pfahl erreicht ist. Auf den ersten 3km geht es schon richtig zur Sache, was Steilheit und Wegbeschaffenheit betrifft (sehr steinig). Anschliessend wechseln sich schöne Waldwege und steile Passagen stetig ab. Bis Km 9 ist die Landschaft nicht sehr abwechslungsreich. Immer Dschungel. Phasenweise hat der Weg die Konsistenz von Knetgummi und ist total durchgeackert. Was für Vierbeiner gehen hier durch? (Sind es Rinder, sind es Pferde?) Neben diesen Passagen sind jeweils Treppen angelegt, bestehend aus Holzrondellen: Eine Art Baumstamm-Salami. Was die Vierbeiner betrifft, erhalten wir nach Km 7 eine erste Anschauung: Wir treiben vier Rinder vor uns her.

Flüchtlinge?
Flüchtlinge?

In einer Stunde legen wir konstant 3Km zurück. Als wir die 3000m-Marke erreichen, gibt der Wald die Sicht frei auf den Pazifik und auf die bis oben bewaldeten nahen und fernen Hügelzüge. Das hat nicht damit zu tun, dass hier oben der Wald aufhört. Er scheint vor Jahrzehnten einem Grossfeuer zum Opfer gefallen sein. Dafür zeugen folgende Phänomene: Herumliegende, angekohlte Eichenstämme und ein inzwischen zwei bis vier Meter hoher Sekundärwald, aus dem kahle Baumleichen wie Finger herausragen. Ein faszinierendes Bild.

Die Streckenmarkierungen lassen nicht zu wünschen übrig.
Die Streckenmarkierungen lassen nicht zu wünschen übrig.
Der einsame Zeuge einer Brandkatastrophe.
Der einsame Zeuge einer Brandkatastrophe.

Um 11 sind wir beim Basiscamp, das aus zwei langen, barackenähnlichen Gebäuden besteht. Wir werweissen, welcher der ringsum aufragenden Gipfel der Chirripó ist. Bei der Ankunft sind wir ziemlich müde, aber nicht erschöpft. In der Rezeption bekommen wir einen Dämfer: Keine Begrüssung, lieblose Abfertigung und – bekommen gesagt, dass hier keine Gaskocher vermietet werden. (Unsere Informationen lauteten dahingehend, dass hier oben alles, was man zum Kochen benötigt, anmieten kann. Entsprechend unser Einkaufszettel vor der Tour.) Sie nehmen zur Kenntnis, dass wir falsch informiert wurden, bleiben jedoch stur. Keine Benutzung der Angestelltenküche. That’s my stove, sagt die Köchin. Wir sind verärgert, weil wir uns nicht vorstellen können, ohne warme kohlenhydratreiche Mahlzeit um 3 Uhr nachts den letzten Aufstieg in Angriff zu nehmen. Aus dieser Stimmung heraus entscheiden wir, den Chirripó noch heute Nachmittag zu besteigen. Nach einem improvisierten Z’Mittag (kalte Tomatensauce aus dem Beutel, eine Büchse Thon, ein Rüebli und eine Nüssemischung) brechen wir also ein zweites Mal auf.

Wo ist der Chirripo?
Wo ist der Chirripo?
Endlich!
Endlich!

„Nur“ noch 5Km Distanz und 500m HD. Eigentlich. Denn die Höhe vermindert unsere Leistungsfähigkeit deutlich. Immer noch sind wir im Ungewissen, welcher Gipfel der Chirripó ist. Der erste, den wir dafür hielten, ist es nicht. Noch einmal eine erneut veränderte Landschaft. Eine Hochebene mit Seen, Felsen, Buschwald. Nach insgesamt 19Km erreichen wir einen Pass. Erstmals sehen wir unser Ziel, die Pyramide des Chirripó. Die letzten 200m werden gekraxelt. 14 Uhr 10 sind wir oben. Es hat sich gelohnt. Wir sehen zwar weder den Pazifik, noch die Karibik (Wolken), aber die Rundsicht ist gewaltig. 3820m!

Zurück in der Hütte leihen uns zwei andere Reisende ihren Kocher, so dass wir doch noch unsere Hörnli al Dente hinkriegen. Wir geniessen es doppelt! Im Gebäude ist es bitterkalt. Die Leute tragen Mützen, Anoraks, Handschuhe. Man könnte meinen, es wäre Winter.

Auf dem höchsten Punkt Mittelamerikas.
Auf dem höchsten Punkt Mittelamerikas.
Menschenscheu kann sich das Vögelchen auf dieser Höhe nicht leisten.
Menschenscheu kann sich das Vögelchen auf dieser Höhe nicht leisten.

Freitag: Die Nacht ist ziemlich kalt. Wir tragen bei 10 Grad in unseren Schlafsäcken zwei Schichten Thermowäsche und einen Pullover, Zeno zusätzlich ein T-Shirt. Gerold hat wohlig warm, während Zeno die zweite Nachthälfte frierend wachliegt. Obwohl man dann den Sonnenaufgang bewundern könnte, sind wir gottenfroh, nicht um 3 Uhr aufstehen zu müssen, um im Dunkeln aufzusteigen. Zum Z’Morge machen wir Porridge und heisse Pulvermilch und machen uns um 20 nach sieben auf den Abstieg. Draussen stehen sechs Packpferde, bepackt mit grossen, weissen Nylonsäcken. (Die mittelamerikanische Verpackung schlechthin.) Obwohl wir sehr zügig unterwegs sind, sind erst um viertel vor zwölf unten im Dorf. Nach unseren Überlegungen müsste dort ungefähr um diese Zeit ein Bus fahren. Tatsächlich! Bei unserer Ankunft steht er bereits dort. Zeno rennt zum Hotel, holt die Packtaschen, wir steigen ein, der Bus fährt los.

Um zwei Uhr sind wir zurück in San Isidro, zehn Minuten später checken wir im Hotel Chirripó ein. Hier erleben wir wahre Gastfreundschaft! Wir sind in einem idealen Quartier (ringsherum diverse Restaurants) und bekommen ein zwar einfaches, aber helles und sehr sauberes Doppelzimmer für einen Super-Preis. Der Rest des Tages: Verpflegen, schreiben, ausruhen.

Sie sind scheuer als die Vögel.
Sie sind scheuer als die Vögel.
Abendstimmung vom Basiscamp aus.
Abendstimmung vom Basiscamp aus.

Fazit: Der Chirripó ist der buchstäbliche Höhepunkt der Reise. Die Velotour hat uns offenbar nicht geschwächt, sondern für die 40Km-Bergtour fit gemacht. Trotz suboptimalem Schuhwerk – Sportschuhe mit Profilsohle – sind unsere Füsse und Beine unversehrt. Auch Zenos Knie hat durchgehalten! Morgen fahren wir weiter.

Darum macht man solche Touren.
Darum macht man solche Touren.