Reiseauftakt

21. August, 2003

Am Tag vor der Abreise

21. August

Nachdem wir alles vorbereitet und eingepackt hatten, blieben uns noch einige Stunden der Erholung. Alles Gepäck hatte - wenn auch knapp - in den grossen Nylonsack gepasst, den Gerold schon auf der USA- und der Pakistan/China-Reise dabei hatte. Es wog ungefähr 26 kg. Das hiess, jeder von uns würde ungefähr 16-17 kg Gepäck auf dem Rad mitführen. (Das war weniger als erwartet, auch wenn wir nicht in extremer Weise reduziert bzw. minimalisiert hatten.)

Am Freitag, 22. August 2003, würden wir um 8 Uhr morgens mit Austrian Airlines von Zürich nach Wien und dann weiter nach Ankara fliegen. Dort würden wir leider um wenige Minuten den Inlandflug nach Van verpassen. Das gab uns die Möglichkeit, noch einen halben Tag in Ankara zu verbringen. (Leider ist die Stadt über 35 km vom Flughafen entfernt.)

Bis vor kurzem waren wir davon ausgegangen, dass wir von Van aus auf direktem Weg nach Khoy und Tabriz fahren könnten. So hätten wir nach etwa 70 km bereits im Iran sein können. Alle Karten, die uns zur Verfügung stehen, zeigten eine direkte Verbindung zwischen Van und Khoy. Aus irgendeinem Grund schien man die Grenze dort aber nicht passieren zu können. Genauere Informationen darüber würden wir erst vor Ort bekommen. Wenn uns dieser Weg versperrt bleiben sollte, würden wir nach Norden fahren, um die Route Dogubayazit-Tabriz zu erreichen, die wichtigste Landverbindung zwischen der Türkei und dem Iran. Das würde aber einen Mehrweg von etwa 150 km bedeuten.

Der Aufsteller vom Mittwoch: Max Spörri, Gerolds Experte an der Matur, schenkte uns einen GPS-Empfänger. Da wir nur über eine Karte im Massstab von 1 : 2’500’000 verfügten - es gibt nichts Besseres! -, konnte uns das Gerät nützlich sein. Wenn wir es nicht brauchten, umso besser. Die Gefühlslage 14 Stunden vor dem

Flug nach Ankara

22. August

Flughafen Kloten 22. August 2003 morgens kurz vor sieben Uhr
Flughafen Kloten 22. August 2003 morgens kurz vor sieben Uhr

Die beiden Flüge von Zürich nach Wien und von da nach Ankara brachten wir ohne Zwischenfälle hinter uns. Leider konnten wir in Ankara unser Gepäck nicht gleich wieder einchecken, sondern mussten es zur Aufbewahrung geben.

Der Wechselkurs überraschte uns: Ein Franken entsprach ungefähr einer Million türkischer Lire. In einem ein bisschen flexibleren Land hätte man die sechs Nullen schon lange gestrichen. Noch gar nicht durchschaut hatten wir zu diesem Zeitpunkt das Preisniveau. Ein Kebab kostete zwischen 650’000 und 1’500’000 Lire. Im Vergleich dazu war das Busticket vom Flughafen in die Stadt ziemlich teuer (7 Millionen). Mehr hätten wir auch in der Schweiz für eine solche Strecke nicht bezahlen müssen.

In Ankara war es angenehm warm, etwas über 30 Grad, am Abend leicht bedeckt. Vom Flugzeug aus präsentierte sich uns eine nicht enden wollende Hügellandschaft. Im landwirtschaftlich genutzten Gebiet dominieren Gelb- und Brauntöne, sonst helles Grau. Wir fragten uns, wo es Wasser gibt; von oben wirkte alles so staubtrocken. Das Gebiet ist aber offensichtlich fruchtbar.

Ankunft in Van

23. August

Heute holten wir zuerst unser Gepäck am Flughafen ab. Die Gepäckaufbewahrung kostete mehr als die Hotelübernachtung. Da wir nicht mehr über genügend türkisches Geld verfügten, bezahlten wir mit einem 20 Dollar-Schein. Der Beamte akzeptierte das, obwohl der geforderte Lire-Betrag etwas höher war. Für den Weiterflug mussten wir die Räder nun wieder neu vorbereiten. Die Schnüre z.B., mit denen wir die Wechsel am Rahmen befestigt hatten, waren gerissen. Darum mussten wir hier nochmals Hand anlegen. Dabei fiel Manuel auf, wie locker die Schraube seines Wechsel sass, die diesen mit dem Schaltauge verbindet. Zum Glück war sie bis dahin nicht verloren gegangen! Vorsichtshalber entfernte er sie nun.

Als wir Gepäck und Räder für den Inlandflug einchecken wollten, erschien der Herr von der Gepäckaufbewahrung in der Halle; er gestikulierte mit der 20-Dollar-Note, ging dann auf einen blonden Touristen zu und drückte sie dem in die Hand. Er verwechselte den Mann anscheinend mit einem von uns. Als der sich irritiert abwandte, sah er uns mit den Velos. Jetzt wusste er, wen er suchte. Obwohl er nur Türkisch sprach, war bald klar, was ihn so in Rage versetzte: Wir hätten ihm zu wenig bezahlt, und er würde darum mit seinem Vorgesetzten Lämpe bekommen. Da uns am Vortag nach der Ankunft, als wir das Gepäck für den Weiterflug gleich wieder einchecken wollten, gesagt worden war, das sei nicht möglich, aber wir könnten unsere Sachen für wenig Geld einstellen, protestierten wir nun unsererseits: Ein Betrag von beinahe 50 Franken schien uns unangemessen, ein Wucherpreis. – Das sagten wir auch dem türkischen Beamten, der sich inzwischen als Dolmetscher zur Verfügung gestellt hatte. (Er gab uns Recht, konnte aber nichts ändern.) Schliesslich wechselten wir nochmals Geld und bezahlten den eingeforderten Betrag.

In Van gelandet, machten wir sofort die Velos fahrbereit: Räder und Wechsel montieren, Velotaschen befestigen, Pneus aufpumpen. Kaum hatten wir damit begonnen, standen auch schon Zuschauer um uns herum; ein Taxifahrer wollte unbedingt Hand anlegen. Allerdings aus reinem Eigennutz; er wollte seinen Tagesverdienst aufbessern. (Bevor wir losfahren konnten, forderte er jedenfalls seinen Lohn ein, obwohl er uns mehr behindert als geholfen hatte.) Ein Hotel im Zentrum fanden wir trotz geschlossener Tourist Information schnell. Auch hier verblüffte uns aber der Preis: 55 Dollar für ein zwar sauberes, aber einfach eingerichtetes Doppelzimmer. Hier hatten wir nun keinen Beamten vor uns, sondern einen Privatunternehmer; also handelten wir einen angemessenen Zimmerpreis aus: 18 Dollar.

In Van wollten wir uns gleich erkundigen, ob ein Grenzübertritt auf der direkten Route nach Khoy möglich sei. (Zwischen Van und der iranischen Grenze ist Kurdengebiet, also potenzielles Krisengebiet.) Wir bekamen Informationen, die gegensätzlicher nicht hätten sein können. Die einen meinten, der direkte Weg sei kein Problem, andere behaupteten, zwischen Van und Khoy gebe es zwar eine Strasse, aber keinen Grenzposten, anders als über Dogubayazit könnten wir nicht in den Iran gelangen. Ein weiterer Türke behauptete, nur als Zugspassagiere könnten wir dort die Grenze passieren. Interessanterweise war keiner von den Leuten, die uns Auskunft gaben, je an dieser Grenze gewesen, geschweige denn, dass er sie passiert hätte, obwohl sie kaum 70 km entfernt liegt. – Wirklich brauchbare Informationen bekamen wir vorerst nicht, selbst auf dem Polizeiposten nicht; es schien uns, dass die Grenze sporadisch passierbar ist, aber niemand weiss, wann. (So erstaunlich das Nichtwissen scheint, es lässt sich einfach erklären: Türken aus Van fahren nicht in den Iran.)

Von einem Studenten bekamen wir dann später Infos, die wenigstens sinnvoll zu sein schienen: Es gebe Lastwagen und Busse, die täglich die direkte Strecke Van – Iran fahren würden; wir sollten doch morgen am Busbahnhof nachfragen. Oder falls ein Grenzübertritt mit dem Zug möglich sei, könnten wir ja auch mit dem Zug fahren.

Inzwischen hatten wir uns darauf eingerichtet, über Dogubayazit zu fahren. (Einfach mal hinzufahren dünkte uns zu riskant; im schlechten Fall wären wir dann nach einer (kupierten) Strecke von 140 km wieder am Ausgangspunkt: in Van. Die Strecke nach Tabriz würde zwar so um etwa 300 km länger werden; dafür würden wir aber eine längere Strecke dem Van-See entlang fahren können. Und mehr vom türkischen Grenzgebiet zum Iran zu sehen war ja auch nicht ohne. Am frühen Abend setzten wir uns nochmals auf die Räder; wir wollten an den See. Das war aber leichter gesagt als getan, mussten wir doch lange über Viehweiden holpern, kurze Sumpfgebiete durchqueren, um endlich an einem Seeufer anzukommen, das uns Morast und Unrat bot. Wenigstens wussten wir jetzt, dass an unseren Velos alles in Ordnung war. Und am kommenden Tag konnte es ja nur noch besser kommen.

Abendstimmung am Van-See
Abendstimmung am Van-See