Tabriz

29. August, 2003

29. August

Tabriz, die ProvinzhauptstadtOstazarbaidjans, liegt auf 1340 m ü.M. und hat etwa 1,4 Millionen Einwohner. Wer auf dem Landweg von Europa her anreist, bekommt in Tabriz den ersten umfassenden Eindruck vom Iran. Charakteristisch ist das angenehm warme und trockene Klima. Die Ursprünge der Stadt liegen im Dunkeln; vermutlich wurde Tabriz vor 2000 Jahren von den Sasaniden gegründet, möglicherweise haben das aber auch erst die Araber getan. Jedenfalls gibt es die Legende, wonach Zubaideh, die Gemahlin Harun al-Rashids, 791 die Stadt gründete. Im 13. Jh. war Tabriz eine Zeitlang Hauptstadt Persiens. Krieg und Fremdherrschaft begleiten ihre Geschichte wie ein Leitmotiv. In wüster Regelmässigkeit machten Osmanen, Russen und noch früher Mongolen die wichtige Handelsstadt zum Angriffsziel. Zudem wurde Tabriz mehrmals durch Erdbeben teilweise zerstört. Zeuge dafür ist bis heute die im 15. Jh. erbaute Blaue Moschee, das bekannteste Bauwerk der Stadt. Weltberühmt sind die Teppiche aus der Region; seit Jahrhunderten sind Tabriz im Nordwesten und Kerman im Südosten Irans die bedeutendsten Knüpfzentren des Landes.

Es war djomé, Freitag, also islamischer Sonntag. Traf sich gut; wir wollten ja einen Ruhetag geniessen. Das veranlasste uns auch, erste Zwischenbilanzen zu ziehen. Über das Reisen auf iranischen Strassen zum Beispiel. Dass die Verkehrswege nicht nur in gutem Zustand sind, sondern in der Regel einen sehr feinkörnigen Asphaltbelag aufweisen, war eine der vielen positiven Überraschungen. Darum konnten wir auf den weiten Ebenen im Schnitt gute 30 km/h fahren, ohne uns körperlich zu verausgaben. Ausserhalb der Städte ist das Verkehrsaufkommen nicht annähernd so hoch wie bei uns. Das gilt allerdings nicht für den Schwerverkehr. Lastwagen fahren in einer Dichte, wie wir sie von der Transitachse durch den Gotthard kennen. Da die Hauptstrassen breiter sind als in der Schweiz und meistens zusätzlich Randstreifen haben, störten uns die Trucks bisher nicht besonders, im Gegenteil, ihr Schub liess uns kräfteschonender pedalen.

Mit den hohen Temperaturen kamen wir gut zurecht. Trotzdem machte uns der Umstand etwas Sorge, dass es, seit wir im Iran waren, jeden Tag zwei bis drei Grad wärmer geworden war. Was verhiess das für die Etappen, auf denen wir uns nur noch nach Süden bewegen würden? Bis jetzt hatten wir die hohen Tagestemperaturen auch darum gut ertragen, weil es im Iran sehr trocken ist. Einheimische meinten, es sei zur Zeit eher wärmer als üblich, aber wir hätten den Reisebeginn gut gewählt, denn zwei Wochen früher sei es deutlich heisser gewesen.

Begegnungen mit Frauen

Wie waren uns bis jetzt eigentlich die Iranerinnen begegnet? Im Unterschied zum Nachbarland Pakistan, das Gerold wenige Jahre zuvor bereist hatte, verhüllen hier die Frauen ihr Gesicht nicht. Und sie schauen auch den Männern offen in die Augen. Die Kleiderregeln, so schien uns, werden von den iranischen Frauen sehr unterschiedlich und gar nicht immer eng ‚interpretiert’. An sich müssen die Frauen über der Kleidung einen Umhang tragen; er soll insbesondere verhindern, dass ihre Körperformen das Begehren der Männer wecken. (Iranische Mullahs machen die Frauen dafür verantwortlich, wenn Männer ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben.) Das traditionell schwarze Tuch wird auch über den Kopf gezogen, und zwar bis zum Haaransatz. Das Kopftuch, der Hedjab, kann aber auch vom Körpertuch getrennt getragen werden. Viele, v.a. junge Frauen und Frauen in der Stadt, nützen diese ‚Freiheit’. Sie gestattet ihnen, die an sich rigorose Regel einzuhalten und gleichwohl attraktiv gekleidet zu sein. Viele tragen darum leichte, farbige (oder zumindest helle) Dreiviertel-Mäntel und verhüllen die Haare mit einem nahezu durchsichtigen Tuch . Gerade hier, so scheint es, lässt die Vorschrift ein wenig Spielraum offen: Besonders die jungen Iranerinnen lassen den Hedjab sogar weit nach hinten rutschen, so dass er den Haaransatz frei lässt.

Am ersten Abend in Tabriz kamen wir in einem Restaurant auch mit einer Frau ins Gespräch. Sie war mit ihrem Mann da und sprach mit uns ebenso offen wie er. Sie sind beide gut ausgebildet - sie ist Computerfachfrau, er Ingenieur - und sie sprechen ausgezeichnet Englisch. Zu unserer Verblüffung verabschiedete auch sie sich von uns am Schluss mit einem Händedruck. Sie tat das wie selbstverständlich, obwohl sie so gegen das strenge Berührungsverbot verstiess. – Tags darauf sprach uns im El-Gholi-Park eine Gruppe junger Frauen sogar direkt an. (Stadtluft macht frei – oder zumindest keck!) Möglich war das deshalb, weil wir ihnen an einem sichtgeschützten Ort begegneten und sich keine einheimischen Männer in der Nähe befanden. Mehr als ein paar Standard-Fragen und -Antworten tauschten wir allerdings nicht aus. Das kurze Erlebnis entsprach aber dem bisher gewonnenen bzw. sich in Konturen abzeichnenden Bild: Die moderne, gebildete Iranerin tritt selbstbewusst auf. Wie sie sich zu kleiden und zu benehmen hat, liegt zwar nicht in ihrem freien Ermessen, aber sie versteht die Regeln so zu interpretieren, dass sie ihre Individualität zum Ausdruck bringen kann. Iranerinnen kleiden sich gut und geschmackvoll. Viele von ihnen umgehen Kleidervorschriften mit einem raffinierten Spiel. Dass sie aufwändiges Make-up tragen und Parfums nicht verachten, ist augen- und nasenfällig

In Maku hatte die Frau des Lehrers kein Wort direkt an uns gerichtet. Es machte den Anschein, dass sie die meiste Zeit zu Hause verbringt. In der Grossstadt Tabriz dagegen sind Frauen und Männer, Junge und Alte abends draussen; sie flanieren auf den breiten Trottoirs, in den Parks, essen Eis oder trinken Früchteshakes. - Auch in der Kleinstadt Marand sind die Leute vom frühen Abend an in grosser Zahl unterwegs. Hier kleiden sich die Frauen aber strenger nach Vorschrift. Fast alle hüllen sich in die schwarzen Tücher. Trotzdem hatten wir auch in Marand den Eindruck, selbstbewussten Frauen zu begegnen. Beim Werweissen über die Rolle der iranischen Frau stellten wir die These auf, dass das Land rascher eine Zukunftsperspektive hätte, wenn die Frauen echten gesellschaftspolitischen Einfluss bekämen. (Zur Rolle der Frau siehe auch letztes Kapitel des historischen Überblicks.) Im Unterschied zu ihnen dünkten uns Männer träger und mutloser. Zu viele liessen sich treiben in trüben Tümpeln des Selbstmitleids.

Sprachbarrieren

Was die Kommunikationssprache betraf, so wendeten wir unser bisschen Farsi von Beginn weg an. Wenn wir selbst angesprochen wurden, dann aber meist auf Englisch. Besonders die jungen Gesprächspartner nahmen die Gelegenheit wahr und testeten ihre Sprachkenntnisse. Inhaltlich ging es den meisten zuerst darum, in Erfahrung zu bringen, woher wir kamen, wer wir waren (ob wir z.B. tatsächlich Vater und Sohn waren, wie sie vermuteten). Und Manuel wurde gleich zu den neuen Entwicklungen im Computerbereich befragt. Zuvor aber mussten wir die zwei Hauptfragen beantworten: «Wie denkt man in der Schweiz über den Iran?» und «Akzeptiert Europa die Behauptung des amerikanischen Präsidenten, der Iran sei ein ‚Schurkenstaat’?» Englisch war das unzensierten Medium der Kommunikation. Leider stand schon jetzt zu befürchten, dass wir wenig Fortschritte in Farsi machen würden.

Shakes aller Art: Bananen, Melonen, Datteln, Granatapfel, Rüebli, ...
Shakes aller Art: Bananen, Melonen, Datteln, Granatapfel, Rüebli, ...

Warum sind so viele Iraner Klein- und Kleinsthändler - oder studieren englische Literatur?

Am Freitag Vormittag fuhren wir zum El-Gholi-Park, dem riesigen Naherholungsgebiet im Südosten der Stadt. Dorthin gehen die Leute flanieren, Sport treiben und natürlich picknicken. Wir schlenderten herum und schauten da und dort beim Training zu. Es dominierten Kampfsportarten, Ballspiele, Inline-Skating und Akrobatik-Tanz. Später tranken wir an einem Tisch mit Iranern Tee und versuchten uns mit ihnen in Farsi zu verständigen. Auf einmal mischte sich ein junger Mann in deutscher Sprache ins Gespräch ein. Kein Tourist, sondern ein Iraner, aber er sprach Deutsch nicht als Fremdsprache. Verblüffung bei uns. Er heisse Ali Reza, stellte er sich vor, habe bis vor wenigen Wochen bei seiner (deutschen) Mutter in München gelebt, sei dort nach der mittleren Reife von der Schule abgegangen und lebe jetzt bei seinem Vater in Tabriz.

Seine Mutter hatte während des Irak-Iran-Krieges (1980-1988) mit ihm den Iran verlassen und sich in München niedergelassen. Seinem Vater, einem wohlhabenden Basar-Händler, gehören zwei Elektro-Fachgeschäfte. Er fahre, erzählte der Sohn nicht ohne Stolz, als einziger in Tabriz einen Chevrolet Impala aus den 60er-Jahren. Der junge Mann meinte, wir sollten nicht mit dem Taxi, sondern mit ihnen in die Stadt zurückfahren. Das schien uns ein gewagtes Angebot, waren doch etwa acht Familienmitglieder da, die alle ins Zentrum zurückgebracht werden wollten. Das Oberhaupt sollte mit dem Auto erst eintreffen. Die Sache war uns nicht geheuer. Wie würde der Mann reagieren, wenn er zwei Fremde mitnehmen sollte? Und wie die Vorurteile so spielen, wir erwarteten einen Patriarchen. Umso erstaunter waren wir, auf einen kultivierten, feinsinnigen Mann zu treffen, der uns warmherzig begrüsste.

Der Platz im Wagen reichte aus. Acht Leute fanden darin bequem Platz, zwei setzten sich für eine kurze Strecke auf den Kofferraum und stiegen dann in ihr eigenes Auto, das sie da stehen hatten. Im dichten Vorabendverkehr nahm der Chevy sich aus wie eine englische Dogge unter Strassenkötern. Uns war inzwischen ganz wohl hinten auf der bequemen Sitzbank. Ob wir noch Geld wechseln müssten, fragte uns Herr Reza; er könne zu einem Geldhändler in der Nähe des Basars fahren, der zu einem besseren Kurs wechsle als die Bank Melli (die staatliche Bank; offiziell Geld wechseln kann man einzig hier). Wir hatten noch zwei Hunderter-Bündel «Khomeynis» (die grösste im Umlauf befindliche Note; Wert: 10 000 Rial, d.h. weniger als 1.70 sfr.) , aber gelegentlich würden wir ja auch im Iran Geld wechseln müssen. Deshalb kam uns das Angebot gelegen. Und tatsächlich bekamen wir die neue Rial-Million zu einem noch besseren Kurs als in Dogubeyazit.

Wir hätten gerne die Blaue Moschee besucht, aber es war Freitag. Herr Reza wollte uns trotzdem hinführen; wir könnten sie ja von aussen anschauen. Wir trafen zur grossen Überraschung auf arbeitende Bauhandwerker, die uns in die Moschee hineingehen liessen. Auf unser Klopfen wurde die Eingangstür von einem Arbeiter geöffnet. Er liess uns eintreten, verlangte von Manuel und mir aber 40 000 Rial, das übliche Eintrittsgeld für Fremde. Wir nahmen an, dass er und seine Kollegen das Geld später unter sich aufteilten. So konnten sie ihren bescheidenen Lohn an diesem Tag ein wenig aufbessern.

Auch für Ali Reza war es der erste Besuch in der Moschee. Gemeinsam mit uns bewunderte er das bedeutendste Zeugnis sakraler Architektur in seiner Vaterstadt. Auch Herr Reza beschaute sich die Reste der Fliesenmosaiken aufmerksam. War er überhaupt schon mal hier gewesen? (Die Moschee war wegen der schweren Zerstörung durch ein Erdbeben lange Zeit nur noch Ruine gewesen und wurde dann wieder aufgebaut. Dabei mussten und müssen die berühmten blaugrundierten Mosaiken aus den Trümmern geborgen und auf die neuen Wände aufgetragen werden. Bis die Restaurierungsarbeiten an und in der Kabud Mosque beendet sein werden, dürften noch Jahre vergehen.)

Aussenwände mit Überresten der Fliesenmosaiken
Aussenwände mit Überresten der Fliesenmosaiken
Bilder vor dem Wiederaufbau der Moschee
Bilder vor dem Wiederaufbau der Moschee
Wieder aufgetragene Fliesen nach der Restauration
Wieder aufgetragene Fliesen nach der Restauration

Auf der Fahrt zurück zum Hotel lud uns Herr Reza zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Es hole uns um 19 Uhr beim Hoteleingang ab. (Er spricht noch immer gut Deutsch, obwohl er seit zwanzig Jahren von Alis Mutter geschieden ist.) Natürlich nahmen wir die Einladung an; uns interessierte die Geschichte dieser Familie, und wir wollten erfahren, warum Ali statt in Deutschland nun hier im Iran leben will.

Der Abend bei der Tabrizer Familie übertraf unsere Erwartungen. Die Rezas wohnen in einem komfortablen, grossen Einfamilienhaus. Allein das Wohnzimmer ist mehr als 60 Quadratmeter gross und mit seinen Perserteppichen, den vier Polstergruppen und ebenso vielen Kristallleuchtern überaus reich ausgestattet. Das Haus daneben gehört Herrn Rezas Schwester. Dazwischen befindet sich ein grosse Innenhof mit einem prächtigen Garten.

Herr Reza, sein Sohn Ali und Manuel vor der Blauen
Moschee

Herr Reza wohnt hier mit seiner zweiten Frau, den beiden Töchtern (elf- und einjährig), seiner Mutter und neuerdings mit Ali. Wir fühlten uns da sofort wohl. Auch die alte Frau hiess uns willkommen. Selbst sie begann lebhaft Fragen zu stellen. Verblüffte waren wir besonders von der jungen Ehefrau. Wir kannten sie bereits vom El-Gholi-Park her, aber da war sie nach Vorschrift gekleidet gewesen. Im Haus nun trug sie keinen Hedjab und verhielt sich wie eine Europäerin. (Welch ein Kontrast zu Lehrersfrau in Maku!)

Bei Tee, Patisserie und Früchten kamen wir ins Gespräch. Wir erzählten über uns und erfuhren einiges über die Familie Reza. U.a. dass der Vater all die Jahre, seit seine erste Frau mit Ali nach Deutschland umgezogen war, keinen Kontakt zu seinem Sohn hatte. Ali hatte in Deutschland nach dem Schulabgang anscheinend wenig Perspektiven, hatte weder als Iraner noch als Deutscher eine richtige Identität gewonnen. Irgendwie ahnte der Vater das oder hatte davon erfahren. Jedenfalls reiste er im Frühjahr 2003 zu Ali bzw. zu seiner ehemaligen Ehefrau nach München und kehrte schliesslich drei Monate später zusammen mit seinem Sohn nach Tabriz zurück. Eigentlich holte er ihn heim in seine Sippe. Er wolle ihm hier eine berufliche Perspektive eröffnen, d.h. er möchte ihn zum Nachfolger machen als Basarhändler. In Tabriz müsste sich Ali aber zuerst integrieren, und dieser Prozess gestalte sich schwierig. Wurde er in München nicht als Deutscher akzeptiert, so wurde er in Tabriz bis zu diesem Zeitpunkt nicht als Iraner wahrgenommen. Auch nach drei Monaten sprach er kaum Farsi. Täglich, erzählte er, bekomme er (in einer Primarschulklasse!) Sprachunterricht, aber er sei nicht besonders motiviert, Persisch zu lernen. Er könne sich im Übrigen auch nicht vorstellen, die Fachgeschäfte des Vaters zu übernehmen. Viel lieber würde er eine Kleiderboutique führen.

Uns schien Ali ziemlich desillusioniert zu sein. Über iranische Männer seines Alters redete er z.B. mit Verachtung. Besonders mit der Doppelmoral der Männer tue er sich schwer. Einerseits wollten auch junge Iraner den Frauen immer noch vorschreiben, wie sie sich zu kleiden hätten, andererseits würden sie sich sexuelle Übergriffe auf sie erlauben. Er wies auf seinen verbundenen Arm. Kürzlich habe er sich für eine junge Verwandte gewehrt, die von einem Kerl ungeniert am Po berührt worden sei. Als Quittung habe ihm der Mann ein Messer in den Arm gerammt. – In einer Gesellschaft aufgewachsen, wo individuelle Freiheit nicht nur gross geschrieben, sondern oft exzessiv gelebt wird (z.B. an der Zürcher Street Parade, die Ali nicht bloss vom Hörensagen kennt), konnte Ali im Iran kaum rasch heimisch werden. Zum Glück fühlte er sich in der Familie des Vaters geborgen. Auch mit der jetzigen Frau seines Vaters verstand er sich gut. Und sein liebenswürdiger Papa formulierte seine Erwartungen an ihn so zurückhaltend, dass er sich nicht unter Druck gesetzt fühlte. (Wahrscheinlich hatte uns Herr Reza auch darum zum Abendessen eingeladen, damit Ali sich mit Manuel unterhalten und sich so für einmal in seiner gewohnte Sprach- und Wertewelt bewegen konnte.)

Herr Reza hatte uns nicht nur zu Tee, Kaffee und Kuchen eingeladen; wir sollten auch in den Genuss echter iranischer Küche kommen. Bei der Vorbereitung des Dinners wollte die junge Frau aber keine Männer im Haus haben. Darum wurde Ali aufgefordert, Manuel den Ort zu zeigen, wo sich am Freitag Abend die Tabrizer Jugend trifft, und Herr Reza nahm Gerold mit auf eine Fahrt zum südlichen Stadtrand. Er zeigte ihm Tabriz aus der Vogelperspektive.

Die Stadt liegt am Nordabhang des Gebirgszuges Kuh-é Sahand. Um an ihr südliches Ende zu gelangen, fährt man bergauf. Wieder war es beinahe übergangslos Nacht geworden. Das Lichtermeer vermittelte jetzt einen Eindruck von der grossen Ausdehnung der Stadt. Auch von der wilden Urbanisierung an den Rändern. Die Behörde ist nicht in der Lage, die Immigration zu kontrollieren. Ebenso wenig vermag sie die notwendige Infrastruktur für die (wahrscheinlich illegalen) Siedlungen bereitzustellen. Man sieht oben am Berg zwar kein Meer von Hütten wie am Rande einer Dritte-Welt-Stadt, aber es bedarf einiger Fantasie, die an den Hängen klebenden gemauerten Horste als Wohnbauten wahrzunehmen. Steilhangarchitektur vom Gröbsten. Wenig Fantasie braucht es, sich die Folgen kräftiger Regengüsse vorzustellen

Wieder zurück im Haus der Familie Reza manifestierte sich deren gehobene Wohnkultur noch deutlicher. Das Abendessen zog nun aber so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass wir nicht weiter grübelten über das soziale Gefälle, das der kurze Ausflug in die Oberstadt offenbart hatte. – Raffiniert dünkten uns die zum Essen (Safranreis, frittierte Kartoffeln, Kebab und Gurkensalat) gereichten kleinen Spezialitäten, besonders die köstlich schmeckenden Knoblauchzehen. Wie sie das machen würden, Knoblauch zu solcher Konsistenz und solchem Gout zu verfeinern, wollten wir wissen. Die Zehen würden in eine Flüssigkeit eingelegt; das Rezept dafür sei einfach, aber bis zur richtigen Reife brauche es Zeit. Was uns wie Trüffeln schmeckte, stamme aus einem Knoblauchtopf, den Herrn Rezas Mutter vor 20 Jahren angesetzt habe. Dazumal sei er noch ein junger Mann gewesen. Wir erfuhren an diesem Abend noch anderes über das Zubereiten geheimnisvoller iranischer Speisen. Als wir schliesslich ins Hotel zurückgefahren wurden, hatten wir eine Menge kleiner Köstlichkeiten dabei, darunter auch ein Glas getrocknete Rosenblüten.