Pakistanische Gastfreundschaft in Karimabad
Karimabad, früher Baltit, wurde nach dem Prinzen Karim Aga Khan, dem geistigen Oberhaupt der Schia-Ismailiten-Nizariten-Gemeinschaft umbenannt. (Die meisten Einheimischen nennen den Ort aber bis heute Baltit.) Bis 1974 war Karimabad die Hauptstadt von Hunza. Heute ist das Städtchen Teil der Nordgebiete Pakistans, die seit 2009 Gilgit-Baltistan heissen.
Im Hunzatal wird auf Terrassenfeldern Ackerbau betrieben. Deren Bewässerung erfolgt über Kanalsysteme mit Gletscherwasser aus den umliegenden Bergen. Das heute wieder nachhaltige und ökologisch vorbildliche Landnutzungssystem bringt eine beeindruckende Gartenlandschaft hervor. Kultiviert werden besonders Kartoffeln, Getreide und Gemüse, aber auch Früchte wie Aprikosen, Maulbeeren, Äpfel, Birnen, Kirschen, Mandeln Walnüsse und sogar Weinreben (obwohl Muslime keinen Alkohol trinken).
Mit dem Bau des KKH kam es eine Zeitlang zu schlechten Einflüssen von aussen. Um möglichst viel aus den Terrassen herauszuholen, begann ein Teil der Bauern Kunstdünger einzusetzen und die Felder übermässig zu bewässern. Die Folgen waren Überweidung, einseitige Nutzung, aber auch der allmähliche Verlust des hergebrachten Wissens über die Permakultur.1 Die Hunzakuts, die Einwohner des Hunza, erkannten zum Glück rechtzeitig die Auswirkungen der geänderten Bewirtschaftung. Um die Ernährungsgrundlage für die kommenden Generationen sicherzustellen, nahmen sie auch europäische Hilfe respektive Beratung an.
Die Hunzakuts gehören zu den gesündesten Menschen weltweit; sie erreichen ein überdurchschnittlich hohes Alter. Man erklärt sich diesen Umstand mit Gründen wie Ernährung, Wasserqualität und gesunde Bergluft. Auch während des Winters bleiben die Menschen in einer Art Fastenzeit Selbstversorger, sie essen zum Beispiel getrocknete Aprikosen und Nüsse. Es sind überaus schöne, gastfreundliche und friedfertige Menschen. Damit erklärt man auch, warum es in Karimabad keine Polizeistation gibt.
In Karimabad gibt es eine reiche Auswahl an Unterkünften. Zuerst wollte ich einen Augenschein im Haider Inn nehmen. Gemäss Handbuch war die Herberge kurz zuvor renoviert worden. Das Essen sei hier vorzüglich. Ein bescheidener älterer Mann mit ausgeprägtem Charakterkopf begrüsste mich. Es war Mr. Haider selbst, der Wirt der (wie sich herausstellen sollte) legendären Herberge. Er zeigte mir ein Dreibett-Zimmer mit einem noch freien Schlafplatz. Der war zwar schmal wie ein Feldbett, aber bequem. Der Raum war sauber, hatte frisch verputzte, aber (noch) nicht gestrichene Wände und neue Türen. Eine davon führte ins Badezimmer mit Warmwasser-Dusche und westlicher Toilette. Der Preis – 55 Rial (1$!), mit Vollpension 105 Rial –, selbst für örtliche Verhältnisse fast geschenkt. Hauptsächlich Haiders Charme wegen checkte ich ein, ohne mir noch eine Alternative anzusehen. – Nachdem die Gepäcktaschen im Zimmer deponiert waren, liess mich der Mann im Essraum Platz nehmen, stellte Tee, Brot und Konfitüre auf den Tisch und ermunterte mich zuzugreifen. Das Brot sei selbst gebacken; dem Mehl habe er als Flüssigkeit nur Milch beigegeben. Auch die Aprikosenkonfitüre stammte aus der eigenen Küche.
Da sass ich also, trank Tee und ass frisches, knuspriges Brot. Die Welt kam mir im Vergleich zum Vortag wie ausgewechselt vor. – Ausser mir waren noch ein Genfer und ein Paar aus England im Raum. Der Schweizer war anscheinend seit langem unterwegs; das Paar war eben erst über den Khunjerab gekommen. Sie sprachen positiv über China – die Lebensumstände der Menschen dort hätten sich seit ihrer letzten Reise fünf Jahre zuvor verbessert; das komme auch im Verhalten der Leute zum Ausdruck. Der Genfer gab den Schweiz-Verächter. Seine simplen Statements wirkten unbedacht und gegenüber den Engländern anbiedernd.
Nach dem Duschen nützte ich die Gelegenheit, ein paar Kleidungsstücke zu waschen. Am Nachmittag machte ich einem Spaziergang durchs Dorf und hinauf zum Fort. Die touristische Infrastruktur setzte mich in Erstaunen. Unterwegs hatte ich bisher in keinem der Dörfer Fremde gesehen; hier waren viele, wenn nicht die meisten Passanten Reisende. Entsprechend westlich geprägt war in der bunten Vielfalt der kleinen Läden das Warenangebot. Selbst Ovomaltine sah ich in einer Auslage. Und wie die Aufkleber an Eingangstüren zeigten, konnte man mit Kreditkarte bezahlen.
Ich kam mit verschiedenen Leuten ins Gespräch. Auch mit einem älteren Schweizer Ehepaar. Die Frau erzählte, sie sei eigentlich Reiseleiterin und Journalistin, zurzeit seien sie aber zu zweit unterwegs. Statt über den Khunjerab ins chinesisch-uigurische Xinjiang – den Pass habe sie schon zweimal überquert – wollten sie diesmal in den Iran weiterreisen. Isfahan sei ihr Hauptziel. Auch von zwei Pakistanern wurde ich angesprochen. Sie sahen sie in mir den potenziellen Kunden. Beide bezeichneten sich als Trekking-Guides. Einer lud mich zum Tee in sein Haus ein. Auch als er einsah, dass er mich auf keine Tour würde begleiten können, änderte sich an seinem Verhalten nichts. Besonders entzückt war er, dass wir beide drei Kindern haben. Er meinte, ich solle später mit dem älteren Sohn Manuel, damals im Teenageralter, erneut nach Karimabad kommen. Er würde dann gerne unser Touren-Begleiter sein.
Ich wollte an diesem Nachmittag auch erste Grüsse nach Hause schicken. Es gab in den Läden prächtige Ansichtskarten. Sieben Stück kosteten soviel wie die Vollpension bei Haider. Drei Karten schrieb ich gleich und brachte sie noch vor Schalterschluss zur Post.
Karimabad liegt auf 2500 m ü. M. Erst jetzt realisierte ich, dass ich seit Gilgit 1'000 Höhenmeter gewonnen hatte. Solange die Sonne schien, war es auch hier sommerlich warm, jedoch nicht mehr drückend heiss. Nach Sonnenuntergang wurde es rasch kühl. Ich war jedenfalls froh, dass ich nun zum zweiten Mal in einem Bett schlafen würde und nachts nicht zu duschen brauchte, um mir Abkühlung zu verschaffen. Da sich am Wetter auch in den kommenden Tagen nichts ändern würde, wollte ich am frühen Morgen losfahren. Bis Sost schien es keine nennenswerten Steigungen zu geben, so dass ich davon ausging, die 95 km an einem Tag zu schaffen.
Beim Abendessen waren rund um den grossen Tisch alle Plätze besetzt. Es waren auch Leute gekommen, die ihre Unterkunft anderswo hatten, aber bei Haider essen wollten. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Haider servierte zuerst eine Suppe mit Makkaroni, dann als Hauptgang Reis, Gemüse und Huhn und zum Nachtisch Bananenpudding mit Aprikosenkompott. Alle waren wir des Lobes voll über die Kochkunst des gastfreundlichen Mannes. Wir fühlten uns eher als eingeladene Gäste denn als zahlende Kundschaft.
Schon um fünf Uhr am nächsten Morgen machte Haider für mich Frühstück. Dann half er mir, die Gepäcktaschen zur höher gelegenen Strasse zu tragen. Ich sagte ihm, dass ich auf der Rückfahrt gerne wieder bei ihm wohnen würde. Nach herzlicher Verabschiedung startete ich um halb sechs zur Etappe nach Sost/Sust.
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Permakulturell gestaltete Lebensräume werdenals Systeme aufgefasst, in denen das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen so miteinander kombiniert wird, dass die Systeme zeitlich unbegrenzt funktionieren und die Bedürfnisse aller Elemente so weit wie möglich erfüllt werden. (Quelle: Wikipedia) ↩︎