Rückreise über Tashkurgan, Khunjerab-Pass nach Sost
Am Montagmorgen des 31. Mai stand ich ebenso früh auf wie am Tag zuvor. Ich wollte um sieben Uhr am Busterminal sein. Die Radtaschen waren schon am Vorabend gepackt, so dass ich nach einem improvisierten Frühstück kurz nach halb sieben das Seman-Hotel verliess. Am Terminal konnte ich das Ticket kaufen, aber sonst lief lange gar nichts. Erst gegen neun fuhr der Bus vor, worauf wir mit dem Beladen begannen. Wir, das waren ausser mir zwei Briten, einer von ihnen ein Schotte, und ein weiterer Radtourist.
Dass wir die Räder und die Taschen selber auf den Dachträger laden und dort festmachen konnten, war von Vorteil. Beim Gerumpel unterwegs waren wir später froh zu wissen, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchten wegen möglicher Defekte an den Velos. Die Taschen packten wir so zwischen und unter die Räder, dass sie nicht verloren gingen und zugleich als Polsterung dienten.
Zehn Uhr war vorbei, als der der Bus mit dem Tagesziel Tashkurgan endlich losfuhr. Zuvor war ich während des Wartens mit einem US-Amerikaner ins Gespräch gekommen. Sein Reiseziel war Kirgisistan. Ein Visum für dieses Land zu bekommen war schwierig, aber schliesslich hatte man ihm das Dokument ausgestellt. Das war jedoch erst die halbe Miete. Es gab zwar eine Busverbindung von Kashgar nach Kigisistan, aber am Terminal wusste niemand, wann ein Bus dorthin fahren würde. Er sei nun schon tagelang vertröstet worden, aber an diesem Montag sollte es klappen. Und tatsächlich, eine Stunde später winkte er uns aus einem altertümlichen Car zu, der sich eben in Bewegung setzte. Zuvor hatte er erzählt, dass er sein Softwareunternehmen verkauft habe und sich nun ein Jahr Zeit nehme, um durch Asien zu reisen. Inzwischen sei er schon mehrere Monate unterwegs. Zwischendurch schreibe er an einem Buch mit dem Arbeitstitel «Philosophie der Naturwissenschaften».
Den schlechten Zustand des KKH zwischen Kashgar und Tashkurgan hatte ich auf dem Velo nicht so intensiv wahrgenommen wie jetzt im Bus. Ich wähnte mich in einem Rüttelsieb. Auch unser Bus hatte seine guten Tage lange schon hinter sich, aber jedenfalls sassen wir drin. Später, auf dem Abschnitt durch die Schlucht hinauf in Richtung Karakol-See, war ich jedoch froh, die Höhendifferenz nicht selber bewältigen zu müssen. Das wäre nicht ohne Schiebepassagen zu schaffen gewesen. Und die Fahrt danach auf der Hochebene war einfach spektakulär. Es herrschten diesmal andere Lichtverhältnisse. Wir fuhren durch eine sanft gewellte Landschaft, vorbei an nach rückwärts gestaffelten Hügeln. Sie sahen aus wie mit Schnee überzuckerte Dünen. Farblich in ein milchiges Grau hineinspielend. Hinzu kamen die spätnachmittäglichen Lichtverhältnisse bei leicht bedecktem Himmel. Die Luftspiegelungen machten alles irgendwie unwirklich. Oder bildete ich mir das bloss ein? Wie auch immer, jedenfalls schien im Bus niemand ausser mir davon beeindruckt zu sein. Der Versuch, durch die Fensterscheiben zu fotografieren, schlug leider fehl.
Da wir in Tashkurgan nur die Nacht verbrachten – wieder im selben Hotel –, gibt es darüber nichts zu berichten. Am Morgen mussten wir Velos und Gepäck vom Dachträger herunternehmen, um nach dem Zolldurchgang alles wieder hinaufzuhieven. Vor uns wurden zwei Reisegruppen abgefertigt. Nach einer Stunde hatten auch wir die Formalitäten hinter uns. Auch diesmal blieb der Gepäck-Scanner unbenutzt, wir brauchten nur die Pässe stempeln zu lassen.
An diesem Tag dünkte mich das Gerüttel im Bus noch unangenehmer. Darum beschlossen die Briten und ich, ab der Passhöhe wieder auf die Velos zu wechseln. Wir baten den Fahrer anzuhalten und nahmen Räder und Gepäck herunter. Trotz hoher Sonneneinstrahlung war es empfindlich kalt, so dass wir Pullover und Jacken überziehen mussten. Bevor wir auf die Velos stiegen, kam’s zu einem Begrüssungs-Hallo mit den Männern, die mich acht Tage vorher für eine Nacht in Koksil beherbergt hatten. Dass wir uns diesmal auf dem Pass begegneten, war für mich wie für sie eine freudige Überraschung.
Die Talfahrt war anstrengender als erwartet. Bis zur jeweils nächsten 180°-Kurve liessen wir es sausen, aber die vielen groben Unebenheiten zu passieren war nicht ganz ungefährlich. (Bei der Bergfahrt eine Woche zuvor hatte ich davon nichts bemerkt. Viel schneller als mit doppeltem Marschtempo war ich ja auch nicht vorwärtsgekommen.) Schon kurz nach Koksil brauchten wir uns die warmen Kleider nicht mehr. Das machte uns auch beweglicher. Etwa acht Kilometer vor Sost fuhren wir auf eine stehende Sattelschlepper-Kolonne auf. Wir zwängten uns vorbei und sahen dies:
Ein Geröll-Rutsch hatte die Strasse auf einer Länge von 200 m verschüttet. Der Komatsu-Trax, der auf der Herfahrt hinter dem Haus in Koksil parkiert gewesen war, schob nun den Schutt in den Fluss. Warum man hier einen Trax dieser Grösse brauchte, war jetzt beantwortet, und meine frühere Vermutung, dass dieser Streckenteil schnell unpassierbar werden konnte, bestätigte sich. Der Hang ist derart instabil, dass schon ein kurzes Gewitter oder eine seismische Erschütterung viel Material in Bewegung setzen kann.
Eine halbe Stunde mussten wir warten, bis man uns Radler passieren liess. Bis Sost hatten wir nun freie Fahrt. Es düfte noch längerer Zeit gedauert haben, bis auch die Lastwagen wieder fahren konnten.
Am späten Nachmittag erreichten waren wir da. Hier, beim Check-Point vor Sost, hätten wir an sich den Einreisestempel holen müssen. Meine zwei Begleiter hielten das für überflüssig; sie meinten, die Grenzpassage könne ohnehin nicht kontrolliert werden. (Vor der Weiterfahrt anderntags holte ich mir den Stempel dann doch; ich wollte bei der Ausreise keine Schwierigkeiten haben.) Wir trennten uns hier, weil ich wiederum das Mountain Refuge als Unterkunft wählte, während auch die Briten wieder zu ‘ihrem’ Hotel fuhren. Am anderen Tag wollten wir jedoch gemeinsam weiterfahren.