Zweite Etappe
Die Fahrt begann mit Problemen: Ich hatte leichten Durchfall, und kurz nach dem Start verspürte ich auch Magenschmerzen. (Darunter leide ich normalerweise nicht.) Ausserdem war die Strecke nicht so flach wie angenommen. Zwischen Gulmit und Pasu zum Beispiel folgt ein derart steiler Anstieg, dass ich erstmals das Velo schieben musste. Ich werweisste, ob ich zu schnell unterwegs war. Aber die Durchschnittsgeschwindigkeit pendelte um 17 km/h. herum, was nicht dafürsprach, dass ich mich verausgabte.
Gartenlandschaften wie in Karimabad begegnete ich nicht mehr, aber die gewaltigen Gebirgsformationen, die das Tal säumen, fingen an mich zu faszinieren. Vom Strassenniveau aufwärts dominieren zwar die Geröllhänge, aber zusammen mit den prachtvollen Baumgruppen dem Hunza River entlang ergaben sich kontrastreiche, ständig wechselnde Bilder.
Geduscht hatte ich am Vortag mit leicht schiefergrauem Wasser. Es war nicht Zeichen einer Verunreinigung, sondern Zeichen mineralischer Anreicherung. Das graue Wasser zeugt von der speziellen Wasserqualität des Hunzatals. Fachleute erklären sich die hohe Lebenserwartung der Menschen hier auch und gerade mit diesem Wasser. Das hiess auch, dass ich auf diesem Abschnitt des KKH das von Brunnen geschöpfte Wasser trinken konnte, ohne es zu desinfizieren.
Als ich im Übrigen am Vormittag kurz vor dem erwähnten Steilstück an einem Quellbrunnen direkt neben der Strasse die Bidons gefüllt hatte, fuhr ich weiter, um nach wenigen Metern erschrocken festzustellen, dass ein Auto direkt auf mich zugefahren kam. Tatsächlich war ich es, der falsch fuhr. Grossbritannien hat Pakistan neben anderem den Linksverkehr als ‘Kulturgut’ hinterlassen. In den ersten Tagen geschah es nicht nur einmal, dass ich aufs Rad stieg und aus lauter Gewohnheit rechts fuhr. Auf der wenig befahrenen Strasse merkte ich das jeweils, bevor Gefahr drohte. (Ab dem Pass würde ich dann sozusagen von einer Radumdrehung zur nächsten wieder auf die rechte Strassenseite wechseln dürfen.)
Sost erreichte ich bereits um die Mittagszeit. Zuvor hatte ich mich gewundert, wie langsam die Distanzanzeigen abgenommen hatten. Die Wahl des Mountain Refuge als Unterkunft traf ich unfreiwillig, denn ich wurde gleich an der Strasse abgefangen und ins Haus dirigiert. Der erste Eindruck war gut. Das Doppelzimmer mit (kalter) Dusche sollte 150, das Abendessen 80 Rial kosten. Warmes Duschwasser gab’s für einen kleinen Aufpreis.
Zimmernachbarn waren zwei junge Deutsche, eine Frau und ein Mann. Sie waren am Vortag angekommen, an diesem Tag nicht weitergefahren, weil die Frau sich unwohl fühlte. Sie gaben mir wertvolle Hinweise bezüglich der Zoll- und Immigrationsformalitäten, die hier, im letzten Dorf vor dem Pass, zu erledigen waren. Ich erfuhr auch, dass man als Velofahrer nach 13 Uhr nicht mehr in Richtung Pass starten durfte. Es war eine Sicherheitsvorkehrung, deren Sinn sich einem auf der Strecke dann ohne Weiteres erschloss.
Sost, auf 3100 m ü. M. gelegen, ist der letzte Warenumschlagplatz vor dem Khunjerab. Entsprechend geschäftig geht es zu und her. War ich zuvor vielleicht pro Kilometer einem einzigen Motorfahrzeug begegnet (hauptsächlich Lastwagen), so parkierten die Autos hier auf beiden Seiten der Strasse dicht an dicht. Wer nach China unterwegs ist, muss hier die Grenzformalitäten erledigen. Allerdings nicht direkt in Sost, sondern in Afiyatabad (oder New Sost) ein paar hundert Meter weiter in Richtung China.
Das Essen im Mountain Refuge war ordentlich, hielt jedoch keinem Vergleich stand mit dem Abendessen im Haider Inn.
Auf den letzten 85 km bis zum Pass sind 1500 Höhenmeter zu bewältigen. Und zwar auf einer für mich ungewohnten Höhe. Unterwegs gibt es nur noch den Military Checkpoint in Dih/Dehi, aber kein Dorf mehr. Deshalb überlegte ich, ob ich am nächsten Tag die Fahrt über den Pass in Angriff nehmen oder einen Ruhetag einschalten sollte. Ich musste zumindest in die Nähe des Passes kommen, wenn ich es tags darauf bis nach Tashkurgan/Taxkorgan, der ersten Stadt auf chinesischer Seite, schaffen wollte. Was den Proviant betraf, war mir nicht bange. Stärker beschäftigte mich die Frage, ob ich einen geeigneten Platz zum Zelten finden würde. Und ich wollte unbedingt vermeiden, mich in grosser Höhe zu verausgaben. Darum war ich entschlossen, am kommenden Morgen nur dann zu starten, wenn ich keine Zeichen physischer Beeinträchtigung spürte.