Ankunft in Esfahan

15. September 2003

Ankunft in Esfahan

15. September

Um vier Uhr in der Früh erreichten wir Esfahan. Die endlos lange Nachtfahrt war nur einmal für eine Essenspause unterbrochen worden. Wir hatten bei der Gelegenheit über den Lastwagenverkehr gestaunt. Eine ununterbrochene Lichterkette hatte sich in beide Richtungen bewegt. Wahrscheinlich hatten wir im Bus darum wenig davon gemerkt, weil wir genug mit uns selbst zu tun hatten. Ständig waren wir damit beschäftigt, die Sitzposition zu verändern. Im an sich supermodernen Bus hatten die Sitze eine Form, dass wir meinten, es würde sich uns ein konvex geformtes Brett entgegenstemmen. Kaum glaubten wir, nun einigermassen bequem zu sitzen, begann schon wieder ein anderer Teil des Rückens zu schmerzen. Längere Zeit zu schlafen gelang uns beiden jedenfalls nicht. Wir waren uns nach der strapaziösen Busfahrt einig, fortan für grosse Strecken das inneriranische Flugnetz zu nutzen.

Leute, die mit einem Nachtbus reisen, sollten am Zielort ein Hotelzimmer reserviert haben. Sonst stehen sie, ähnlich wie wir, morgens um vier Uhr beim Bus-Terminal, mehr als 10 Kilometer ausserhalb des Stadtzentrums, und wissen nur, dass sie ein Hotelzimmer brauchen. Auch mit einem hilfreichen Taxifahrer kann es eine Weile dauern, bis sich irgendwo eine Hoteltüre öffnet bzw. ein freies Zimmer findet. Wir wurden nach rasender Fahrt in die Innenstadt von einem Hotel zum nächsten gefahren. Vorerst ohne Erfolg. Entweder war alles belegt oder auf die Nachtklingel antwortete niemand. Den vierten Versuch machten wir beim Amir Kabir Hostel. Der war immerhin soweit erfolgreich, dass uns der Nachtportier aufnahm, obwohl auch er kein Zimmer frei hatte. Wir könnten uns, meinte er, im Innenhof improvisiert einrichten; gegen Mittag würden wir sicher ein Zimmer kriegen. Das war besser, als noch weiter in der Stadt herumzukurven.

Nach 500 km Busfahrt sich auf einem Steinboden zum Schlafen einzurichten war nicht so toll. Wir waren froh, dass wir wenigstens die Schlafsäcke mitgenommen hatten. Wir reisten jetzt ja fast ohne Gepäck, hatten nur je unseren Velorucksack und dazu eine Gepäcktaschen dabei. Darin fand nur das Allernotwendigste Platz: Toilettensachen, Wäsche, Reservehose, Jacke, Reisehandbücher, Medikamente und eben der Schlafsack.

Wir waren so übermüdet, dass wir es auch ohne Thermomatte schafften, im besagten Innenhof zwei Stunden zu schlafen. Danach bekamen wir zwar noch kein Zimmer, konnten aber das Gepäck einstellen. Dass der Rezeptionist unsere Pässe entgegennahm, bedeutete auch, dass wir sicher ein Zimmer erhalten würden. Bis es soweit war, gingen wir frühstücken und begaben uns anschliessend auf den ersten Rundgang. Er fing mit einem Gang durch den Basar an (wo wir so früh noch kaum Leute antrafen), führte durch eine Koranschule und endete in der grössten und ältesten Moschee Irans, der Jameh Mosque bzw. Freitagsmoschee.

Esfahan. Shaikh Lotfollah-Moschee an der Ostseite des Meydan-é Imam, des Welt-Platzes
Esfahan. Shaikh Lotfollah-Moschee an der Ostseite des Meydan-é Imam, des Welt-Platzes

Geschichte Esfahans

Die Ursprünge der Stadt liegen im Dunkeln; vermutlich existierte sie schon vor dem Reich der Achämeniden. Bereits unter den Parthern war sie Hauptstadt der Provinz. Schon früh war der Ort berühmt für seine Seiden- und Baumwollproduktion. Esfahan muss schon im 10. Jh. mächtig gewesen sein, berichten historischen Quellen doch von einer Stadtmauer mit zwölf bronzebeschlagenen Toren, durch die Elefanten hätten schreiten können.

Der Seldjuke Toghrul Beg eroberte die Stadt 1051 nach einjähriger Belagerung und machte sie zur Hauptstadt des Reiches. Damit setzte eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit ein, von der bis heute Ziegelbauwerke, insbesondere Moscheen, Minarette und Grabbauten zeugen. Den Mongolensturm nach 1200 überstand Esfahan vorerst unbehelligt; erst die Konflikte mächtiger Adelsfamilien führten dazu, dass Timur Leng 1388 durch die freiwillig geöffneten Stadttore marschieren konnte. Berichten zufolge soll er unter den Einwohnern ein Blutbad angerichtet haben. 200 000 Menschen seien getötet und deren abgeschlagene Köpfe zu regelrechten Türmen aufgeschichtet worden.

Die Glanzzeit Esfahans begann mit der Dynastie der Safawiden. Shah Abbas I. machte die Stadt im 16. Jh. nicht nur zu seiner Hauptstadt, sondern liess sie weiter ausbauen und verschönern. Dafür holte er Künstler und Handwerker aus allen Teilen des Landes her und siedelte sie hier an, u.a. die für ihre handwerklichen und künstlerischen Fertigkeiten berühmten Armenier aus dem Nordwesten Persiens. Bereits damals lebten 600 000 Menschen in Esfahan. Der letzte selbstständig regierende Safawiden-Shah wurde 1722 ermordet, als die Afghanen in die Stadt einfielen. Obwohl ab da nicht mehr Hauptstadt, wurden die Prachtbauten Esfahans auch in den folgenden Jahrhunderten regelmässig restauriert und ausgebaut. Esfahans Architektur ist weltweit einzigartig.

Zurück zur Freitagsmoschee: Der Baukomplex, der zwischen dem 11. und 18. Jh. errichtet wurde, umfasst seldjukische, mongolische, timuridische und safawidische Bauteile. Trotzdem wirkt der Bau als Einheit. Ein seldjukischer Sultan liess gegen Ende des 11. Jh.s in der Achse einer bestehenden Moschee eine grossen quadratischen Kuppelhalle bauen, und zwar aus gebrannten Ziegeln statt wie üblich aus Lehmziegeln. Sein politischer Rivale liess wenig später 150 m nördlich davon ein ähnliches Bauwerk errichten, ebenfalls aus Backsteinen, ebenfalls in der Achse des Gesamtkomplexes. Nachdem 1121 ein von den Assassinen gelegter Brand ausser den beiden Kuppelbauten die gesamte alte Moschee zerstört hatte, begann man von diesen wenig beschädigten Bauten aus eine neue Moschee zu errichten. Über die Jahrhunderte entstand nun rund um einen 55 x 65 m messenden Hof herum die älteste und vielleicht grösste Vier-Iwan-Anlage Persiens. (Ein Iwan ist eine auf eine Seite hin offene Halle mit einem Tonnengewölbe. Dieses Bauelement entstand in der Architektur der Parther und der Sasaniden, ist also Teil einer 2000-jährigen Baugeschichte.) Die verbindenden Baukörper zwischen den Iwanen sind zweistöckige Arkaden, hinter denen sich gewaltige Säulenhallen, die Gebetssäle, ausdehnen. Ein Wächter öffnete uns die Eingangstüre zur Halle rechts vom Westiwan. Darin befindet sich die mit verschlungener Stuckornamentik und Kufi-Inschriften versehene 700 Jahre alte Gebetsnische, der sog. Mihrab. Mauern und Decke des erstaunlich niedrigen Gebetssaals daneben sind so mächtig, dass sommers und winters die gleiche Temperatur herrscht. Licht in die beim Freitagsgebet geöffneten Säle dringt von oben herein, durch kleine in die Kuppeln eingelassene Alabasterfenster.

Kufi-Inschriften in der Freitagsmoschee in Esfahan
Kufi-Inschriften in der Freitagsmoschee in Esfahan

Während wir an einem der Iwane die Mosaike studierten, sprach uns ein junger Iraner an. Er sagte, er sei Teppichhändler, aber er wollte uns nichts verkaufen, sondern mit uns ins Gespräch kommen. Zu seinen Bekannten, behauptete er, gehörten auch Leute in der Schweiz. Zum Beweis zeigte er auf dem Handy eine schweizerische Telefonnummer. Wir hielten ihn für einen Bluffer. Nach unseren Informationen waren internationale Verbindungen übers Natel nicht möglich, denn die iranische Telekom hatte bis jetzt keine entsprechenden Vereinbarungen mit ausländischen Telekommunikations-Gesellschaften abgeschlossen. Dass er gleichwohl Verbindungen ins Ausland herstellen konnte, bewies der Mann, indem er uns vom Innenhof der Moschee aus in die Schweiz telefonieren liess. Zu Hause meldete sich zwar nur der Anrufbeantworter, aber die empfangene Stimme war ohne Zweifel die von Margrit Koller. (Dass die Grussbotschaft angekommen war, wurde uns hinterher bestätigt.) Der Mann begleitete uns dann aus der Moschee hinaus. Deutlicher als beim Hineingehen sahen wir jetzt, dass die Moschee gegen aussen keine klare Begrenzung hat, sondern mit den Basargassen und Wohnhäusern rings herum einen einzigen Baukörper bildet.

Esfahan. Stalaktitenverzierungen in einem Iwan der Freitagsmoschee
Esfahan. Stalaktitenverzierungen in einem Iwan der Freitagsmoschee

Zum Eingangsbereich der Freitagsmoschee gehören zahlreiche Läden. Einer davon war der gediegene kleine Teppichladen unseres Gesprächpartners, wohin wir zum Tee eingeladen wurden. Wider Erwarten wollte uns der Mann auch jetzt nichts verkaufen, sondern liess uns die kostbaren Seidenteppiche anschauen und befühlen. Wir erzählten vom bisherigen Verlauf der Reise und den weiteren Plänen. Er empfahl uns, für die Weiterreise einen Privatchauffeur zu engagieren. Wir kämen so mehr herum, könnten bequemer reisen, und der Fahrer werde auch für die Hotelunterkünfte besorgt sein. Er beliess es nicht bei theoretischen Ausführungen, sondern holte übers Handy gleich ein konkretes Angebote herein. Für eine Tagespauschale von 60 Franken würden wir einen Fahrer mit einem neueren französischen Peugeot bekommen. Das klang recht verlockend, aber wir wollten wenige Stunden nach der Ankunft und noch bevor wir überhaupt ein Hotelzimmer bezogen hatten, keine so weitreichende Entscheidung treffen. Auch wenn es nahe lag zu vermuten, dass der Mann einem privaten Taxihalter einen Kunden zuführen wollte, hielten wir die Idee für prüfenswert.

Es war inzwischen Mittag geworden, so dass wir beschlossen, ins Amir Kabir zurückzukehren, um endlich einzuchecken. Der Teppich-Händler fuhr uns zum Hotel. Unterwegs erzählte er einiges über sich und seine Familie. Jetzt wurde auch klar, warum er Zeit gehabt hatte, uns im Hof der Moschee anzusprechen. Der Laden dort werde von einem Angestellten geführt. Seine Familie betreibe in Esfahan mehrere Teppichläden, er schaue bei allen ein- bis zweimal am Tag vorbei. Schon seit über 150 Jahren betreibe seine Familie den Teppichhandel. Er selber beschäftige sich zur Hauptsache mit dem Teppich-Export, v.a. nach Westeuropa und in die USA. Sein Vater sei inzwischen auch als Bauunternehmer tätig, und deshalb habe er ihm, dem Sohn, die Verantwortung für den Teppichhandel übertragen.

Nachdem wir wie versprochen ein Zimmer bekommen hatten (es standen jetzt sogar deren drei zur Auswahl), wollten wir nur noch menschliche Grundbedürfnisse befriedigen: duschen, essen, schlafen. Wir sahen jetzt auch, wie gut wir es mit dem Amir Kabir Hostel getroffen hatten. Seine Zimmer sind alle auf einen hübschen Innenhof ausgerichtet. Dort gibt es einen kleinen Brunnen, Büsche und Topfpflanzen und zahlreiche Tische und Stühle. Trotzdem das Hotel im Zentrum, an der Chahar Bagh-é Abbasi St liegt, der Hauptachse von Norden nach Süden, hört man in den Zimmern keinen Verkehrslärm. Die Zimmer sind einfach, aber zweckmässig eingerichtet und verfügen über fliessendes Wasser. An den Toiletten und Duschen auf den beiden Stockwerken gibt es nichts auszusetzen; sie werden mehrmals täglich geputzt. Zudem ist das Personal im Amir Kabir sprachgewandt und ausgesprochen hilfsbereit. Man bekommt an der Rezeption touristische Informationen und kann sich auch Bus- und Zugsbillette besorgen lassen. In diesem Haus sind auch Fax- und Internetanschluss selbstverständlich. Und trotz dieser für Individualreisende vorzüglichen Infrastruktur sind die Zimmerpreise ausgesprochen moderat. Von den zur Wahl stehenden drei nahmen wir das teuerste; es kostete gerade mal 15 Dollar. (Wen wunderte es da, dass Globetrotter mit Vorliebe hier absteigen und das Hotel darum jede Nacht ausgebucht ist?)

Den Rest des Tages verbrachten wir mit Schreiben, Lesen und Nachschlafen.