Die sozio-ökonomische Situation in den Provinzen Santa Fe und Entre Rios vor der Immigration mitteleuropäischer Siedler

1. Mai 2021

Die Pampa war ursprünglich die Lebenssphäre der indigenen Urbevölkerung. Da Grossgrundbesitzer das Grasland als Weide für ihre Rinder- und Schafherden nutzten, wurden die Indios mehr und mehr zurückgedrängt.

Während sich einfache Soldaten, Entdecker und Abenteurer des 16. und 17. Jahrhunderts des Frauenmangels wegen mit indigenen Frauen zu paaren begannen, legten die in Argentinien geborenen Nachkommen der reichen Konquistadoren Wert auf die Reinheit ihres Blutes. Die kreolische Oberschicht grenzte sich ab von der entstandenen Mischbevölkerung sowie von den Indios. Letztere wurden explizit als minderwertige Menschen bezeichnet. Der Rassismus war die ideologische Grundlage, sie aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben, um diese der landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. (Bei allem Respekt für die Urbarmachung der Pampa durch europäische Einwanderer sollte man diesen Aspekt nicht unbeachtet lassen.)

Die Abqualifizierung der Urbevölkerung zu verkommenen Rassen bzw. zu fortschrittsunfähigen Wilden zeigte sich ausgeprägt in Texten des Autors, Pädagogen und späteren Staatspräsidenten (1868-74) Domingo Faustino Sarmiento. In seinem Werk «Civilización y barbarie» von 1845 reduzierte er die vorkolumbianische Zeit Amerikas zu Indianerhütten verkommener Rassen und bedauerte, dass ein grosser Kontinent fortschrittsunfähigen Wilden überlassen sei. Auch den nomadisierenden Gauchos, den Viehhütern auf den Latifundien der Grossgrundbesitzer, begegnete er mit rassistischen Vorurteilen. So bezeichnete er 1861 das Gauch­oblut als Dünger zum Nutzen des Landes und forderte auf zur Jagd auf die zweifüssigen Tiere von solch perversem Charakter. Nordamerika dagegen charakterisierte er als Teilkontinent, bevölkert von der vollkommensten, klügsten, schönsten und fortschrittlichsten Rasse der Erde. Es möge ungerecht erscheinen, hielt er fest, Völker zu erobern, die im Besitz wertvollen Landes seien, aber dank dieser Ungerechtigkeit sei Nordamerika zu wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Blüte gelangt.

Argentinien begann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Immigration nach dem Vorbild Nordamerikas staatlich zu fördern. Ziel war es, wie gesagt, Teile der ansässigen Bevölkerung zu verdrängen, ja auszurotten und durch europäische Einwanderer zu ersetzten. In der Verfassung von 1853 – sie ist im Wesentlichen bis heute gültig – steht, dass die Bundesregierung die Einwanderung zu fördern hat. Tatsächlich gelang dies; Argentinien wurde ab 1878 zum Weizenexportland und konnte wie angestrebt das infolge der Einfuhren von europäischen Industriegütern gross und grösser gewordene Handelsdefizit verringern. In der Folge gehörte Argentinien während über einem halben Jahrhundert zu den weltweit reichsten Ländern.

Von 1852 an wurden in den Provinzen Santa Fe und Entre Rios eigentliche Kolonisationsprojekte initiiert. Jeder Siedlerfamilie sollten zu günstigen Bedingungen 33 ha Land, eine sog. Konzession, abgegeben werden. Als Starthilfe konnte der Staat finanzielle Unterstützung gewähren. Überdies wurden die Siedler auf Staatskosten dorthin transportiert, wo sie sich niederlassen wollten, und in der Anfangszeit mit Lebensmitteln versorgt. Auch durften sie zollfrei ihre persönliche Habe einführen sowie Gegenstände und Geräte für die künftige Tätigkeit.

Auf diese Situation trafen die Brüder Johannes und Lorenz Bodenmann aus Grengiols, als sie am 11. Juli 1857 mit den ersten Oberwalliser Auswanderern in Argentinien eintrafen. Wie im Einführungskapitel erwähnt, reiste Johannes mit einer Gruppe nach Entre Rios weiter, während sich sein Bruder mit einigen Leute in die Provinz Santa Fe begab. Vermittelt wurde letzteren der Boden von Ricardo Forster, einem gebürtigen Engländer. Sein Schwiegervater war argentinischer Grossgrundbesitzer mit Ländereien im Südwesten von Santa Fe. Als Mitglied der Kommission für freiwillige Einwanderung stellte Forster den Wallisern ein Territorium 40 km westlich der Stadt zur Verfügung. Er resp. sein Schwiegervater hatte es im Tausch gegen andere Ländereien der Provinzialregierung überlassen. Dass es zur Biosphäre der indigenen Urbevölkerung gehörte, war damals aus den bereits genannten Gründen kein Hindernis. Obwohl Weideland verloren ging, war die Kolonisierung der Pampa auch im Interesse der Latifundienbesitzer; es wertete ihre Territorien auf.

Gemäss der argentinischen Statistik kamen zwischen 1857 und 1900 um die 9000 Schweizer ins Land. Ob diese Daten stimmen, lässt sich nicht verifizieren. Was das Wallis betrifft, so weiss man, dass zwischen 1850 und 1910 jährlich durchschnittlich 213 Personen auswanderten, insgesamt 18'500 Leute. Besonders gross war die Abwanderung in den Jahre 1868, 1872 und 1883. Die meisten Oberwalliser liessen sich im neugegründeten San Geronimo (dem späteren San Jerónimo Norte) sowie in den umliegenden Kolonien Esperanza, San Carlos und Humboldt nieder.