Sponsorengelder der Emigranten für den Kirchenbau in der Heimatgemeinde

12. Mai 2021

San Jerónimo Norte von der Gründung bis zum Ersten Weltkrieg, ein Resümee. Die ersten Walliser Argentinien-Auswanderer erreichten am 11. Juli 1857 Buenos Aires. Die Gruppe um Lorenz Bodenmann fuhr weiter in die Provinz Santa Fe, derweil sein Bruder Johannes mit einer grösseren Zahl von Familien und Einzelpersonen in die Kolonie San José in Entre Rios reiste.1 Die Mitglieder beider Konvois liessen sich in der ihnen zugewiesenen Gegend als Pioniersiedler nieder. Die Kolonie 40 km westlich von Santa Fe bekam den Namen San Jerónimo Norte. In der Umgebung entstanden weitere, von europäischen Einwanderern besiedelte Kolonien wie San Carlos, Esperanza, Humboldt, Nuevo Torino, Felicia oder Rafaela. Daher stand den einzelnen Kolonien nur ein begrenzter Siedlungsraum zur Verfügung. Das bekamen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Nachwanderer zu spüren; sämtliche Konzessionen waren im Besitz von Migranten, die früher zugewandert waren. Die besonders erfolgreichen unter ihnen hatten inzwischen Land von weniger erfolgreichen zugekauft; einige wenige besassen ganze Ländereien. Den meisten Neuankömmlingen blieb nur die Wahl, entweder den Lebensunterhalt kümmerlich als Knecht, Landarbeiter oder (Teil)Pächter zu verdienen oder aber in der etwa 80 km nördlich gelegenen Sekundärkolonie Ambrosetti Land zu erwerben.2 Auf dem fruchtbaren Boden in topfebenem Gelände erarbeiteten sich zahlreiche Siedler und deren Nachkommen einigen Wohlstand. Da die Walliser vorerst kaum Ackerbau betrieben, waren sie von den Heuschreckenplagen weniger stark betroffen als die Getreidebauern in den Kolonien ringsum. Allerdings liessen in manchen Jahren Trockenperioden das Viehfutter knapp werden. Jedenfalls konnten es sich trotzdem viele bald einmal leisten, für Verwandtenbesuche ins Wallis zu reisen. Der eine oder andere Unverheiratete tat dies auch, um eine Lebenspartnerin zu finden und mit ihr nach Argentinien zurückzukehren.

Weil die Walliser in den Anfängen mit der Viehzucht hauptsächlich für den Eigenbedarf produzierten, blieben sie weitgehend autark. Das war möglich, weil sie für die Konzession nichts hatten bezahlen müssen. Nicht zuletzt wegen der Mechanisierung wurde gegen Ende des Jahrhunderts der Ackerbau allmählich bedeutender. Gleichzeitig wurde die Milchwirtschaft zu einem marktfähigen Produktionszweig fortentwickelt. (Noch heute ist SJN ein bedeutendes Milchwirtschaftszentrum.) Entsprechend kam nun die Integration in den argentinischen Markt voran.

Die jahrzehntelange wirtschaftliche wie kulturelle Abkapselung manifestierte sich darin, dass viele Kolonisten (vermutlich die Mehrheit) auch nach Jahren kein Spanisch sprachen und in der Pfarreisschule bis 1900 auf Deutsch unterrichtet wurde. Die Verbundenheit mit dem Herkunftsland kam ausserdem in der Vereinskultur zum Ausdruck, z.B. im 1872 gegründeten Schiessverein. Aufwändig gefeiert wurde weiterhin der 1. August. Besonders ausgeprägt 1891, anlässlich des 600. Geburtstags der Schweiz.

[Hier sollte ein Bild aus Google maps zum heutigen SJN eingebaut werden; falls vorhanden auch eines mit dem Dorfplan aus der Zeit der Gründung. Wir haben auch ein Bild vom Jahr 2008 von SJN.]

> San Geronimo, a 6 de Enero 1911 > > V D ist Prov. de Santa Fé > > Zit. Kirchenkomission in Grengiols

Weil ich am 30. Dezember von Esperanza aus ein[en] Schek geschickt habe, so möchte ich Sie ersuchen / wenn Sie mir u den Übrigen, die mir ihr Geld zum schicken gaben / eine Quittung schicken würden, damit die Betreffenden sehen, daß ich die Sache erledigt habe.

Volgende Herren haben mir gegeben:

Alois Ambort 113.50

Elias Ambort 22.70

Ser[a]phin Imhof 22.70

Auxilius Perren [90.10]{.ul}

total 249.00

Ich hoffe, daß der Brief Alle gesund antreffen wird u wünsche auch Allen aus weiter Ferne ein gutes neues Jahr. Mit Gruß

Das Geld könnt Ihr in der Bank in Brig erheben.

Auxilius Perren

Mit dem kurzen Brief und der beigefügten Liste von vier Geldspendern begann eine Korrespondenz zwischen einigen aus Grengiols stammenden Migranten und dem dortigen Pfarrer3. Das Konvolut mit nahezu 20 Briefen deckt eine Zeitspanne von 15 Jahren ab (1911 bis 1926). Zu den Absender gehörten Auxilius Perren, nach seinem Tod dessen Witwe Maria sowie Elias Ambord, Franz Schallbetter und Josefine Imhof, die Ehefrau von Serafin Imhof. Drei der Genannten werden in der obigen Liste als Spender genannt. Damit sind wir beim Thema, den Geldspenden für den Bau der Pfarrkirche und später für die Kirchenglocken.

Pfarrkirche St. Peter in Grengiols (Quelle: Landschaftspark Binntal)
Pfarrkirche St. Peter in Grengiols (Quelle: Landschaftspark Binntal)

Auf der Flucht vor den Franzosen brannten 1799 österreichische Soldaten das Dorf und die Kirche nieder. Beim Wiederaufbau entstand auf dem gleichen Platz eine einfache Notkirche; sie diente der Bevölkerung während über einem Jahrhundert als Gotteshaus. Als der junge Pfarrer Gregor Mathier 1909 nach Grengiols kam, ergriff er die Initiative für einen Kirchenneubau. Bereits im Jahr darauf begann man zu bauen, und im Mai 1915 erfolgte die Einweihung. Während man die Männer des Dorfes zu Fronarbeiter verpflichtete, wurden die aus dem Dorf Ausgewanderten bis weit über die Bauzeit hinaus angehalten, sich finanziell an den Kosten zu beteiligen. Die Bettelbriefe, die Gregor Mathier regelmässig nach SJN schickte, sind zwar – soweit mir bekannt – nicht erhalten, aber zumindest ein Teil der Antwort-Briefe ist vorhanden. Ihnen lässt sich entnehmen, wie hartnäckig und wie erfolgreich der Grengjer Pfarrer die Ausgewanderten zum Spenden nötigte. Die Texte geben aber auch Auskunft über das soziale und wirtschaftliche Leben in der Kolonie. Ganz besonders, weil die Korrespondentin Josefine Imhof über die notwendige Kommunikationskompetenz ebenso verfügt wie über das Selbstbewusstsein, dem Pfarrer zumindest auf Augenhöhe zu begegnen. Aber ich will nicht vorgreifen und stattdessen mit einem Brief des Kolonisten Franz Schallbetter beginnen. Ihm sind wir in der Geschichte von Rosalia Heimen schon begegnet. Ich gebe den Text orthografisch in der Originalform wieder, setze aber zur besseren Lesbarkeit wiederum zwischen Sätzen, Teilsätzen und Appositionen Schrägstriche und einige wenige Worterklärungen in eckige Klammern.

Sant Geronimo den 11. Abril 1916

Geachteter Herr Pfarrer in Grengiols

Ich habe auch einen antrag zu melden, nemlich folgendes / der Elias Ambordt / mein alter Onkel / ist gesint gutes werk zu verrichten und der Kirche in Grengiols mit etwas Geld bei zu stehen / Weil aber durch die Welt erschütrenten Krieg der Geld wechsel gefärdet ist, so habe ich Ihm mein guthaben von meinen Eltern selig angeboten. Sie mein werter Pfarrer Mathier möchte die güte haben und im nahmen der Kirche in Grengiols mein guthaben in entpfang nehmen (über welches meiner Schwester Maria Josefa Schalbetter verwalterin ist) und mir einen entpfangsschein senden, daß ich dem verwalter von Elias Ambordt / nemlich dem Euxilius Perren den Entpfangsschein vorlegen kann. Eines möchte ich auch / mein werter Herr / noch bitten, meine Schwester ist eine betagte kränkliche Person, die vermutlich auch schohn schwach von gedächtnis ist und somit unterstüzung notwendig hat, so sollten sie sogut sein und Ihr auf mein verlangen vom 30 Juli 1912 kein zins verlangen und hundert Franken von dem Kapital zurück laßen. und fünfzig sollte sie zurück behalten für unseren Eltern selig Messen zu lesen, oder lesen laßen. Bis auf daß obgenante tatum hat das Waisenamt dank Ihrer aufrichtigkeit genaue und befridigende rechnung abgestatet. Das Waisenamt4 könnte euch auch dieses mahl vielleicht gute auskunft geben damit kein unrecht geschehe. Auch währe gut / meine Schwester etwas zu trösten und ihr zu sagen / ich werde sie auch für weiter nicht vergeßen.

Meine Schwester Maria Josefa hat durch die Bank Gelt an mich gesant / welches meiner Schwester Maria gehört / damit ich es hier Ihr einhändige. Etwa vor 3 Wochen habe ich einen guten teil davon erhalten und daß übrige habe ich heute erhalten, so daß sie darüber keine sorge zu tragen hat.

Wenn man etwas neues schreiben will / da geht das Klageliet los, durch die anhaltende trokenheit / woh es hier hat und kein Futer vorrat vorhanden ist / schauen die Vichbesitzer besorgt dem Winter entgegen. Durch die traurige lage in Europa ist hier alles sehr teuer, viele artikel kosten jetzt daß topelte gegen den früheren preis. Zum beispil Steinkohlen früher 5 bis 5.50 Pesos kosten jetzt wirklich 15 P.s. die 100 Kilo. Der Staldrat [Stahldraht] die rolle früher 12.50 $ [für den Peso wurde damals derselbe Kürzel verwendet wie für den Dollar] und jetzt 23 bis 24 $. Möge Gott dem grösten elend der Welt ein baldiges ende schaffen, im äuseren fühlen es die wohl begabten der ansicht nach noch nicht, daß es für die arme betrefende Menschen so traurige zeiten gibt. Hier in Sant=Geronimo und nächsten umgegend gibt's beinahe 30 Automobile zu zählen welche mit wenig ausnahm und mit großem luxus in hellem tempo der zukunft entgegen fahren mitunter auch dem elend. Und trotz dem daß die Nasta so hoch im preis gestigen / wird Tag und Nacht gekoldert (?) und gefahren, ungefär die helfte von dem Brennmaterial könnte erspart werden ohne den Komers zu verhindern. Hier hört man viele Hantwerker und arbeits Leute sagen / wen in Europa wider friden hersch[t] / werden sie nach Europa auswandern. Solange das ich mich erideren [erinnern] kann habe ich noch nie so viele arme arbeitslose Menschen auf den Straßen mit dem Wanderstab gesehen.

Im algemeinen befindet sich hier die die Befölkerung gesund und wohl, auch der 80 Jährige Elias Ambordt befindet sich noch zimlich gut und munter.

Mit aufrichtigen Glückswünschen

verpleibe ich euer euch untergebener Freund

Franz Schalbetter Nellen

Dem Brieftext angefügt ist eine Zusammenstellung von «Einnahmen» und «Ausgaben». Auf der Einnahmenseite stehen mit 3'470 Franken der Verkaufspreis des geerbten Landguts Jerjenhaus und die aufgelaufenen Zinsen von knapp 500 Franken. Als Ausgaben sind ebendieser Zins und hundert Franken für die Schwester aufgeführt sowie die Kosten für die Verpflegung und das Begräbnis der Mutter (177 Franken), ausserdem 50 Franken für Messen für die Eltern. Der Saldo beträgt 3'141 Franken.

Es geht, kurz zusammengefasst, um eine Spende von Schallbetters Onkel Elias Ambord in der Höhe von 3'141 Franken. Statt die Summe über eine argentinische Bank ins Wallis transferieren zu lassen (Unsicherheit während des Weltkriegs), soll Schallbetters Erbschaft, die von seiner in Grengiols lebenden Schwester Maria Josefa verwaltet wird, als Spende an die Kirche gehen. Vom ursprünglichen Betrag erhält sie den Zins sowie weitere hundert Franken. Zudem seien Beträge fürs Verpflegen der Mutter während zweier Jahre, für deren Begräbnis sowie für Messen für die Eltern vom Erbe abzuziehen. (Ob auch die Mutter schon verstorben ist, bleibt offen.) Um Unrecht auszuschliessen, soll der Pfarrer den Sachverhalt vom Waisenamt beglaubigen lassen. Schallbetter erwartet vom Pfarrer einen Empfangsschein, damit er die leicht geminderte Erbschaft bei Ambords Vermögensverwalter Auxilius Perren einkassieren kann. Ausserdem lässt Schallbetter den Pfarrer Informationen an die betagte kränkliche Maria Josefa überbringen, und er ersucht ihn auch, sie seiner brüderlichen Verbundenheit zu versichern.5

Die zweite Briefhälfte nutzt Schallbetter für ein Klagelied über die wegen des Krieges gestiegenen Preise. Im gleichen Atemzug kritisiert er diejenigen Kolonisten, die ein Automobil besitzen und damit unnötig Brennstoff verbrauchen. Er wirft ihnen darüber hinaus vor, zu viel Geld für Luxus auszugeben. Demgegenüber gehe es den Handwerkern und (Land)Arbeitern erbärmlich, so dass viele arbeitslos auf den Strassen unterwegs seien. Manche trügen sich mit dem Gedanken, nach Europa «auszuwandern» [!], sobald der Krieg vorbei sei.

Was fällt in Schallbetters Brief auf? Er legt Wert auf die korrekte Abwicklung des Geldtauschs, überlässt der altersgeschwächten Schwester einen Fünftel seines Erbes und erfüllt den Spendenwunsch seines Onkels. Das spricht für Seriosität und Hilfsbereitschaft. Auch die Äusserungen über die auf zu grossem Fuss lebenden Migranten machen angesichts des seit August 1914 tobenden Weltkriegs Sinn. (Allerdings: Argentinien ist insoweit ‘betroffen’, als die Agrarexporte stark zunehmen, da die kriegführenden Staaten Getreide brauchen. Von den gestiegenen Agrarpreise profitieren sowohl die Grossgrundbesitzer als auch die Kolonisten.) Aber wie ist es um Schallbetters persönliche wirtschaftliche Situation bestellt? Und warum spendet er selber kein Geld? Ich verweise auf den Brief von Rosalia Wenger6, wonach der Mann um 1912 gegen tausend Stück Vieh besass. Er dürfte ihm demnach mehr Land gehören als die 33 ha einer ursprünglichen Konzession. Grund für die Annahme, dass sein Besitz in der Zwischenzeit kleiner geworden wäre, gibt es nicht. Wenn er über den hohen Preisanstieg für Kohle und Zaundraht klagt, könnte er das in der Absicht tun, in Grengiols als eher Notleidender denn als Wohlhabender zu gelten. Auch und gerade beim Pfarrer. Und wie seriös der Kapitaltausch auch durchgeführt wird, Schallbetter kann auf diese Weise seine Walliser Erbschaft ins sichere Argentinien holen.

Wie auch immer, Schallbetter wird uns weiterhin beschäftigen. Bevor ich einen Blick auf das Antwortschreiben des Pfarrers (einer der wenigen Texte von ihm) richte, will ich mich Elias Ambord, dem bedeutendsten Kirchen-Sponsor, zuwenden.

Elias Ambord

Elias Ambord7 gehörte 1857 (vermutlich zusammen mit seinem Bruder Alois) zur ersten Gruppe der Argentinien-Auswanderer. Unterwegs nach Antwerpen erkrankte er in Basel. Schliesslich traf er drei Monate später als die Gruppe um die Brüder Bodenmann in Südamerika ein. (Genaueres findet man im Einführungskapitel). Der damals 21-Jährige war unverheiratet; er blieb auch in Argentinien Junggeselle. Aus den vorliegenden Briefen erfährt man zwar nichts über seinen Werdegang, sie erlauben aber einige Rückschlüsse. Was die Zeitspanne bis 1916 betrifft, wissen wir, dass Ambord bis dahin zuhanden der Kirche von Grengiols zweimal Geld spendete. Zwei weiter zurückliegende Briefe vom Juli 1907 zeigen, dass er sich zu dieser Zeit bereits eineinhalb Jahren in Brig aufhielt und dort bei einer Witwe Franzen wohnansässig war. Über den Grund für den Aufenthalt im Wallis ist nichts bekannt. In Brig musste er nach einem Schlaganfall ins Spital eingeliefert werden. Dort machte sich mit Otmar Nanzer eine ihm anscheinend vertraute Person an ihn heran, entnahm seinem Koffer nebst Schriften einen Schuldschein und liess den 71-Jährigen eine Vollmacht unterschreiben.

Ambord schreibt am 10. Juli seinem Bruder Alois, er sei noch immer im Spital. Zwar gehe es ihm besser,

aber [ich] habe Schlechter Sinn u Gedächtniß u kann keine Zeilen mehr Schreiben.

Das Otmar Nanzer mein Geld und den Schultschein aus der Bank genomen ist / das Buch von der Bank hat er mir aus dem Kofer gestohlen wen mich der Schlag getrofen hat am 21, Jänner / jetzt steht er im Gericht / Es ist bereits 3. Tausend u 5 hundert Fr. an Geld. Wen Otmar Nanzer schreibt für Geld, so Sende Ihm dan gar keines / Otmar ist ein Lausbub.

Mehr erfahren wir nicht, denn es folgen die Grussformeln, gerichtet an den Bruder sowie an Franz und Alois Schallbetter. Drei Tage später wird ein weiterer Brief aus dem Wallis an Alois Ambord in SJN adressiert, verfasst von Ferdinand Imesch in Mörel. Wenn er den Brief erhalte, werde er, Alois Ambord, wohl im Besitze eines Telegramms sein, das ihn auffordere, dem Otmar Nanzer in Brig kein Geld zu senden für [den] Bruder. Hier erfährt man, wie lange dieser schon in Brig weilt und bei wem er wohnt. Was die Erkrankung betrifft, so schreibt Imesch, Ambord sei anfangs dieses Monats durch einen Schlaganfall heimgesucht worden (also nicht im Januar, wie der Patient selber schreibt). In der Folge schildert er in kurzen Worten den Vorfall mit Nanzer. Er berichtet (ähnlich wie Ambord), dieser habe sich einer Unterschrift und der Papiere bemächtigt und werde sich inzwischen vielleicht an ihn gewandt und weiteres Geld verlangt haben. Das Waisenamt von Grengiols und Verwandte hätten ihn, Imesch, als Verwalter des Patienten eingesetzt. Dieser habe sein Einverständnis mit einer Vollmacht bestätigt. [Ich] werde nun diese Tage mit H. Nanzer darüber sprechen u nöthigen falls denselben vor Gericht laden. Bis die Sache aufgeklärt sei, solle der Briefempfänger mit niemandem über Nanzer sprechen.

Das Ganze bleibt rätselhaft; weitere Texte zum Geschehen existieren nicht bzw. sie sind mir nicht bekannt. Die Zeitdifferenz bezüglich des Schlaganfalls (21 Januar vs. anfangs Juli) lässt sich mit Ambords physischer und psychischer Beeinträchtigung erklären. Ebenso die Unterschiede in den Schilderungen. Ambord schreibt vom Verlust eines Schuldscheins und von 3'500 Franken, die ihm abhandengekommen seien. (Eine beträchtliche Summe zur damaligen Zeit!8) Bei Imesch steht nichts von einem gestohlenen Schuldschein. Darüber, warum beide davon ausgehen, dass Nanzer versucht, auch über Alois Ambord an Geld heranzukommen, lässt sich nur spekulieren. Sie vermuten anscheinend, Nanzer gebe sich als Beistand des Patienten aus, der sich auch um dessen (Spital)Kosten kümmere. Imeschs Warnung, kein Geld zu senden für Ihren Bruder, lässt sich jedenfalls so verstehen. Seltsam ist schliesslich, dass Ambord den Dieb trotz dessen krimineller Energie und der Höhe der Deliktsumme Lausbub nennt. Aber das ist wahrscheinlich bloss eine unglücklich gewählte Formulierung.

Wie lange Elias Ambord nach der Entlassung aus dem Spital noch in Brig blieb, lässt sich nicht sagen. Jedenfalls kehrte er nach SJN zurück. Aus Schallbetters Brief von 1916 geht hervor, dass er sich gut erholte und auch als 80-Jähriger noch zimlich munter war. Was die Antwort des Pfarrers auf diesen Brief angeht, so fällt die äusserliche Form auf. Sie ist als «Mittheilung» überschrieben, und der Absender ist vorgedruckt. Es ist ein Standardbrief; nicht unähnlich denen, die heute von Spendenorganisationen am Jahresende verschickt werden. Hier schreibt Mathier, er habe mit Maria Josefa abgerechnet und lege die Rechnung u ebenso eine Quittung bei. Wir erfahren noch, dass die 3'470 Franken der Erlös sind aus der Versteigerung der von Schallbetter geerbten landwirtschaftlichen Fläche. Auch eine Voralpe habe zum Erbe gehört. Die Verkaufssumme sei Schallbetter schon früher überwiesen worden. (Der genannte Geldbetrag und der Hinweis auf die Voralpe belegen, dass Schallbetter grosse Landgüter geerbt hat. Das erstaunt umso mehr, als im Wallis die Frauen an den Gütern ihrer Familie gleichberechtigt beteiligt sind, d.h. dass auch Landbesitz und Gebäude an alle Kinder zu gleichen Teilen vererbt werden – sog. Realteilung. Auch Schallbetters Schwestern müssten ebenso viel bekommen haben wie er. Diesen Eindruck vermitteln die Briefe allerdings nicht.) Dem Wohltäter unserer neuen Kirche Herrn Elias Ambord solle er bei der Übergabe der Quittung danken. Im Übrigen sei Schallbetters Schwester noch ziemlich gesund; sie freue sich über das Versprechen des Bruders, sie nicht zu vergessen. Mit der priesterlichen Ermahnung, er werde auch in St Geronimo den Herrgott vor Augen haben, endet die «Mittheilung».

Die nächsten drei Briefe aus der Sammlung stammen aus den Jahren 1918 (Dezember) und 1919 (März und Mai). Der dritte ist zwar nur auf einen 7. Mai datiert, die fehlende Jahresangabe hätte aber höchstwahrscheinlich 1919 gelautet. Alle sind unterschrieben von Auxilius Perren. Der erste Brief trägt als zweite Unterschrift diejenige von Elias Ambord. Es geht erneut um dessen Spenden. Da Perren sein «Schaffner», d.h. sein Vermögensverwalter ist, werden die Beträge von ihm (mittels Bankcheck) überwiesen. Diesmal sind es 14'565.70 und 6'444 Franken. (Dass Perren die erste Spende auf Rappen genau bezeichnet, dürfte an der Umrechnung von Pesos zu Franken liegen.) Bei der 3. Spende haben wir eine analoge Situation wie 1916. Die Geschwister Adolf, Johan und Teres Hetner erbten von ihrer in Niederernen verstorbenen Tante Geld in nicht genannter Höhe. Es soll direkt nach Grengiols gehen, zum besten der Pfarrkirche. Perren fügt einen Nachtrag hinzu: Dieses Geschenk macht der Kirche in Grengiols der Herr Elias Ambort, der die Erben hier auszahlt.

Ambords bisherigen Spendensumme von ungefähr 25'000 Franken – ohne die Erbschaft der Geschwister Hetner – lässt Fragen offen: Wie kam Elias Ambord zu derart beträchtlichen Vermögenswerten, und wie soll man sich seine Spendierfreudigkeit erklären? Schlüssige Antworten fehlen. In den weiteren Briefen erfahren wir immerhin einiges mehr über den wahrscheinlich bedeutendsten Geldgeber für die Kirche seines Herkunftsortes.

In der Chronologie folgt ein nun Brief von Maria Perren, der Ehefrau von Ambords Vermögensverwalter. Am 10. November 1920 schreibt sie an Sr. Hochwürden Herrn Pfarrer G. Mathier Grengiols, ihr Mann sei am 6. November im Alter von 60 Jahren verstorben. Der Bitte um einige Trostworte folgt eine weitere Botschaft, fortan seien etwaige Schreiben die Sache Elias Ambord betreffend, an Franz Schallbetter zu richten. Er verwalte ab sofort das Geld seines Onkels. Im Auftrag ihres Schwagers bringt sie eine weitere Bitte vor: Der Pfarrer solle für diesen einen Taufschein schicken. Präzisierend fügt sie hinzu, es handle sich um Fridolin Perren, den Sohn des Alexander und der Katharina Zurbriggen, 1859 in Grengiols geboren und getauft. Das zeigt uns, dass die beiden Söhne des Ehepaars Perren-Zurbriggen – von weiteren Kindern erfährt man nichts – im Abstand von einem Jahr in Grengiols geboren wurden. Auxilius war der jüngere. Die Familie muss wenig später nach SJN ausgewandert sein. Alexander Perren starb jedenfalls in SJN – höchstwahrscheinlich nach seinem Sohn Auxilius. Dass die Söhne des Ehepaaars Perren-Zurbriggen in der Kolonie aufwuchsen, erklärt auch die soziale Stellung und das Ansehen zumindest von Auxilius Perren in SJN. (Von dessen Bruder Fridolin ist in den Briefen nur im obigen Zusammenhang sowie im Januar 1911 als Spender die Rede.)

Von einem weiteren, ebenfalls von Maria Perren stammenden Brief ist nur der Nachtrag vorhanden. Darum fehlt das Datum. Er muss vor September 1922 geschrieben worden sein. Der «NB.»-Text enthält wichtige Informationen über Elias Ambord:

NB.

Beiliegend erhalten Sie Information betreff der Sache deß Ambord Elias / wie es gegenwärtig steht. Seinen 4 Paten Kindern / denen er jedem 4 Consesionen Land verschenkt hat / ist nun der Eigentumstitel ausgestellt worden. Sein rechtmäßiger Erbe Franz Schallbetter / dem er das ihm Zukommende schon längst in die Hand gab, zahlt ihm per Jahr 850 Pesos / wovon er lebt.

Nun hat er aber noch 7000 Pesos Kapital / welches zu 7% angelegt ist u nur bei etwas Unvorhergesehenem angegriffen werden kan / Wie z.B. lange Krankheiten u dergleichen / Was aber nach seinem Tode noch [an] Kapital vorhanden ist, soll / nachdem der Regierung 20 – 25% abgegeben ist (nach dem hiesigen Gesetze) an die Kirche von Grengiols verabfolgt werden. Nun ist aber immer noch nicht ausgeschlossen daß er noch einmal der schönen Schmeichelworten einer gewissen Witwe die die Unterstützung gar nicht nötig hätte / So wie anno dazumal - - .. Also nun dann wissen Sie / wie es mit der Sache gestanden / als mein seliger Gatte dieselbe aus den Händen gab. Was nun von jetzt an vorkommt / müssen Sie / wie ich schon bemerkte / mit Herrn Franz Schallbetter verhandeln.

Nun Ende für heute / nochmals freundlichen Gruß

Witwe Maria Perren

Hoppla! Nicht nur die dokumentierte Spendierfreudigkeit des Pioniersiedlers Ambord macht uns staunen, noch mehr verblüfft sein Grundbesitz. Die ihm in den späten 1850er-Jahren zugeteilte Konzession hat er gemäss Maria Perren um 15 Konzessionen erweitert. Wenn das stimmt, hätte er jedem seiner vier Patenkinder 1.32 km² Land geschenkt. Oder anders, er hätte 5.28 km² Land besessen, was fünf Prozent der ganzen Siedlungsfläche von SJN entspräche.9 Das ist schwer vorstellbar; eine solche Fläche zu bewirtschaften, hätte Ambord eine grosse Anzahl Knechte beschäftigen müssen, selbst wenn das Gelände ausschliesslich als Weideland genutzt worden wäre. Möglicherweise liegt hier ein Schreibfehler vor, und Ambord besass ‘nur’ vier Konzessionen.10 Wie auch immer, selbst dieser Bodenbesitz war mehr als beachtlich. Ambord hatte keine Familie und ausser seinem Bruder und dem Neffen keine nahen Verwandten. Das bestätigt auch Frau Perren, wenn sie Schallbetter als seinen einzigen Erben bezeichnet11. Demnach konnte er im Unterschied zu anderen Siedlern weder Söhne noch Töchter zur Arbeit heranziehen. Vermutlich erwarb er Konzessionen von Migranten, die in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, weil sie mit den Anforderungen nicht zurechtkamen. Als Kolonist der ersten Stunde sah er, wer reüssierte und wer nicht, was ihm erlaubte, zu tiefen Preisen zusätzliches Land zu kaufen. Es ist bekannt, dass erfolglose Kolonisten ihre weitere Existenz oftmals als Teilpächter, als Knechte oder als Wanderarbeiter fristeten. Auf diese Weise könnte auch Ambord das Land bewirtschaftet haben. Das ist zwar Spekulation, würde jedoch seinen Wohlstand erklären.

Was sonst noch unter «NB.» steht, bedarf an sich keiner Erläuterung. Und doch will ich darauf hinweisen, dass Schallbetter offenbar das ihm Zukommende schon längst in die Hand bekommen hatte und ausserdem eine grössere Geldsumme des Onkels verwaltete, wovon er ihm eine jährliche Pension ausrichtete. (Mit 850 Pesos liessen sich, nebenbei bemerkt, die jährlichen Lebenshaltungskosten einer Einzelperson bestreiten.) Ambord erhielt den Betrag wohl nur wenige Male ausbezahlt, denn er verstarb am 2. September 1922 im Alter von 86 Jahren. Die verbliebene Summe dürfte als weiteres Erbe an seinen Neffen gegangen sein (während die von Frau Perren erwähnte Schmeichlerin erfolglos blieb). Was Maria Perrens Schlusssatz betrifft, so ist eine gewisse Schadenfreude nicht zu überhören. Schon der Hinweis über die potenzielle Erbschleicherin bedeutete für den Pfarrer, dass er womöglich nicht mit weiteren Spenden rechnen konnte. Wir werden jedenfalls schon bald sehen, dass man in SJN der Bettelei aus Grengiols allmählich überdrüssig war.

Das Ableben von Elias Ambord teilte der Seelsorger in SJN, Pfarrer Kandelbinder, in einem mit Schreibmaschine geschriebenen Brief mit:

Hochwürdiger Herr Pfarrer!

Im Auftrag der Familie Ambord muss ich Ew. Hochwürden die Mitteilung machen, dass der Wohltäter Ihrer Pfarrkirche, Elias Ambord am 2. September dieses Jahres gestorben ist. Der Tod ist zwar nicht plötzlich eingetreten, aber er starb doch unerwartet an einem Hustenanfall, so dass er nur mehr die heilige Oelung empfangen konnte. Gebe ihm der gute Gott die ewige Ruhe und den Lohn für seine Wohltaten. Der gute Elias hat auf dieser Welt nicht viel Gutes gehabt. Indem ich mich mit meinen lieben Schweizern hier sehr Ihrem Gebete empfehle zeichne ich mit erfurchtsvollem [!] Gruss

Miguel Kandelbinder Pfarrer

Neben der eigentlichen Nachricht wecken zwei Aussagen die Aufmerksamkeit. Die eine, dass er im Auftrag der Familie Ambord schreibe, die andere, Elias Ambord habe auf dieser Welt nicht viel Gutes gehabt. Da der Neffe des Verstorbenen sein Alleinerbe war, es also keine anderen nahen Verwandten gab, ergibt der Bezug zu einer Familie Ambord als Auftraggeberin keinen Sinn. Franz Schallbetters Mutter war die Schwester von Elias Ambord. Dass sie mit ihm (allenfalls als Ehefrau Schallbetter-Ambord) zur ersten Auswanderergruppe gehörte, ist denkbar, jedoch wenig wahrscheinlich. Eine von Schallbetters Schwestern lebt in Grengiols, und ihm fiel dort, wie schon festgestellt, ein grösseres Erbe zu. Wenn das Land seinen Eltern gehört hätte, wäre es vor dem Auswandern verkauft worden. (Das Erbe kann ihm auch von einem anderen Verwandten vermacht worden sein. Das würde erklären, warum seine Geschwister nicht Teilerben waren.) Vor allem aber hätten sie kein Kind zurückgelassen. In einem späteren Brief erfahren wir, dass Schallbetter um 1885 bereits in Argentinien lebte. Vermutlich wurde er in den 1860ern geboren und wanderte – ähnlich wie sein Onkel (aber zwei Jahrzehnte später) – als junger Mann zusammen mit der Schwester Maria und dem Bruder Alois nach Argentinien aus.

Zurück zu Elias Ambord. Ich habe weiter oben seinen Wohlstand mit der beruflichen Tüchtigkeit erklärt. Dieser Vermutung scheint Kandelbinders Schlussbemerkung zu widersprechen. Wie kann ein erfolgreicher Kolonist als jemand bezeichnet werden, auf dieser Welt nicht viel Gutes gehabt hat? Kann es sein, dass der Pfarrer die Ehelosigkeit und damit verbundene emotionale Defizite anspricht? Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass er von den übrigen Walliser Migranten seines Vermögens wegen ausgegrenzt wurde. Immerhin hatten es in SJN inzwischen zahlreiche Walliser zu Wohlstand gebracht. Möglicherweise nahm man es ihm übel, dass er abgesehen vom Land sein ganzes Geld für die Grengjer Kirche spendete, statt einen Teil davon für soziale Einrichtungen in SJN bereitzustellen. (Darüber später mehr.)

Zwei Monate danach erhält Gregor Mathier von Franz Schallbetter den folgenden Brief:

San Geronimo den 19 November 1922

Geachteter Herr Pfarrer!

Ich habe den an mich gerichteten Brief von euch erhalten. u. das ansinnen oder fragen von wegen dem Testamentarischen Erbschaft hinterlasenen Geld anbelangt, will ich wen[n] nicht gut, so doch aufrichtig erkleren, daß Geld ist aus gelihen zu 6% Jährlich. Der semtlich betrag mit samt zins bis am 11 Ab[ril] 1923 ist 7230.10 $ Pesos12. Wen es nich[t] auf eine od[er] andere art hinterniße gibt, von den Erben, nem[lich] von den Söhnen des Alexander Perren.

Meiner Ansicht nach hats keine gefar dazu. Von wegen der Regierung / glaube ich / ist nichts zu fürchten. Ich habe nach dem Tode den Richter berufen u der hat an die Regierung geschriben, u die hat eine Schrift zurück geschickt, welch[e] ich bezahlt habe.

Weil es so veror[d]net gewesen ist zu schicken, habe ich natürlich nicht gesagt / ich wolle es schicken / sondern ich habe es geschickt, u für ihn zu sorgen sind wier [!] bezahlt worden.

Das Kapital habe ich unter meinen Händen u verpflichte mich dafür gewisenhaft zu sorgen, aber einen teil davon möchte ich auf ein Jahr zu meiner alfälligen sicherheit zurückbehalten u auf 6% von hunderten zins bezahlen, oder 7% wen sie das ganze Kapital stehen laßen. Für der sache ein sicheres zutrauen zu schenken, können sie einen gewissenhaften Man ersuchen, um bei mir die Rechnung zu untersuchen, dazu wäre meiner ansicht nach der Serafin Imhof geeignet, dieser ist ein Freund von mier, u auch ein treuer Freund von euch. Wen sie das Kapital stehen lassen wollen zu 7% dan könnte ich den schuldschein bei dem Serafin I. hinterlegen.

Hier haben wier daß letzte ein sehr trokenes Jahr gehabt, u darauf ein nasser u warmer Winter, dadurch haben wir jetzt im algemeinen eine gute Ernte in follen gange. Daß Vich hat einen nidrigen preis, somit bekomt man das Kilo Fleisch u Brot zu 30 sentavos. Im algemeinen ist hier die Befölkerung gesund u wohl, u gehen mit luxus u. aufwand dem wohlstand oder Elend entgegen.

Mit einem aufrichtigem Gruß an Sie

verbleibe ich euer auch unterworfen[e]r Freund,

> Franz Schallbetter N[ellen]

Hier wird Franz Schallbetter als Person zum ersten Mal fassbarer, auch wenn weiterhin Rätsel bleiben. Dass Alexander Perren sein Vermögen der Kirche in Grengiols vermacht hat, wird bestätigt, aber der Pfarrer kann vorderhand nicht mit einer Überweisung rechnen. (Man beachte, dass es hier nicht um Ambords Erbe geht, sondern über dasjenige von Alexander Perren, dem Schwiegervater von Maria Perren. Das zeigt, dass Schallbetter auch andere Vermögenswerte verwaltet, nicht nur das Erbe seines Onkels.) Das Geld sei gegen Zins ausgeliehen. Schallbetter sichert nicht nur die gewissenhafte Verwaltung zu, sondern zeigt sich bereit, falls Mathier es verlangt, zum Kapital ein Prozent mehr Zins dazuzuschlagen, als er selbst einnimmt. Dieser letzte Punkt macht stutzig, weil verschwiegen wird, wem und für wie lange das Geld ausgeliehen ist, und weshalb er bereit ist, dafür einen höheren Zins zu bezahlen. Schallbetter betätigt sich anscheinend als Geldverleiher, d.h. er nimmt wie eine Bank Geld entgegen und leiht es gegen Zins aus.

Noch etwas anderes wirft Fragen auf: Wir wissen von Maria Perren, dass in Argentinien (zumindest in der Provinz Santa Fe) Erbschaftssteuern in der Höhe von 20 bis 25 Prozent fällig werden. Schallbetter deutet an, dass diesbezüglich nichts zu [be]fürchten sei, weil er anscheinend über einen Richter an die Regierung gelangt ist und die üblichen Steuern nun entfallen. Das hört sich wie Mauschelei an. Man erhält den Eindruck, dass der Staat mit falschen Angaben ausgetrickst wurde. Im Übrigen scheint es, dass in Argentiniern Eltern nicht verpflichtet sind, Teile ihres Nachlasses den Kindern zu vererben. Immerhin deutet der Schreiber an, dass Perrens Söhne gegen das Testament ihres Vaters protestieren könnten. Dass diese Gefahr (für Mathier) nicht besteht, dürfte sich auch daraus erklären, dass die Nachkommen wohlhabender sind, als der Vater es war. Im Übrigen wissen wir, dass Auxilius, einer der Söhne, schon 1920 verstarb.

Übers Ganze gesehen, muss man feststellen, dass Schallbetter bezüglich der Überweisung des Erbes das alleinige Hindernis ist. Mit dem Brief will er Zeit gewinnen, um mit dem Geld weiterhin Zins zu generieren. Um Misstrauen zu vermeiden, präsentiert er sich als Garant, was er mit dem Vorschlag untermauert, bei Serafin Imhof den Schuldschein zu hinterlegen.

Josefine Imhof und Franz Schallbetter

Bis zum April 1925 liegen zum eben ausgeführten Sachverhalt keine weiteren Briefdokumente vor. Das nächste Schreiben an Pfarrer Mathier stammt von Josefine Imhof, der Schwägerin von Maria Perren und Ehefrau des eben genannten Serafin Imhof. Im selben Jahr folgen weitere Briefe von ihr. Ihr erstes Schreiben präsentiere ich hier im ganzen Wortlaut:

San Geronimo Norte, den 14. April 1925

Hochw. Herr Pfarrer!

Erst heute komme ich dazu Ihnen Ihr wertes Schreiben zu verdanken. Wollte dies schon längst tun aber bis jetzt war es immer so heiss / daß man zu allem u jedem unaufgelegt war, zu schweigen den daß man einen vernünftigen Gedanken hätte auf Papier bringen können.

Für ganz geschickte Briefe zu schreiben wird mir, sollte man glauben / immer daß rechte Wetter fehlen, den gewöhnlich fallen dieselben unter Normal aus.

Und nun zur Sache. Damals beim Tode des Elias Amb[ord] beauftragte mich Franz Schallbetter Ihnen zu schreiben / daß er Ihnen daß fragliche Geld daß er Ihnen resp. der Kirche von Grengiols vom Hinterlasse[r] deß Ersteren schulde auf unbestimmte Zeit nicht bezahlen wolle [!] könne / sei aber gewillt Ihnen einen Schuldschein auszustellen u daß Kapital zu verzinsen. Damals gaben wir Ihnen auch aus eigener Überzeugung berichte daß die Zeiten momentan sehr schlecht u daß Geld rar sei. Da aber inzwischen die Zeit verstrich ohne daß Sie, so weit wir unterichtet sind / von Kapital oder Zins etwas gesehen, u auch bis heute noch nicht im Besitze eines Schuldscheins sind, fühlen wir uns verpflichtet Ihnen zu berichten / daß jetzt die Zeit geeignet ist Schallbetter ans zahlen zu mahnen[.]

Die Zeiten sind jetzt wieder viel besser. Alle landwirtschaftlichen Produkte sind im Preise gestiegen, u auch die Viehpreise haben sich wieder gebessert / allerdings stehen sie noch in keinem Vergleich zu denjenigen während deß Krieges oder gleich nacher. Wen der Krieg nicht so viel Menschenblut gefordert hätte, mancherorts hätte er doch noch rentiert.

Wir glauben / daß das einzig Richtige ist ihn recht dringend zu mahnen / daß Sie daß Geld haben müssen.

Und nun zum zweiten Teil. Wir haben auch den B[e]richt in Betreff Ankauf neuer Glocken erhalten. Was sollen wir Ihnen darüber antworten. Mein erstes Wort ist: Hapt nicht zu große Hoffnungen auf die Hilfe aus Argentinien / sonst köntet Ihr leicht groß[e] Enttäuschung erfahren. Ich sage Ihnen im Voraus / wir selbst wollen Ihnen etwas schicken u auch unsere Schwägerin Frau Maria Perren wird daßselbe tun u hat auch schon bei einigen ihrer Verwandten u Bekanten etwas zusammengebracht / aber viel kommt auf alle Fälle nicht heraus / den man stößt überall auf Wiederstand. Ich will Ihnen eines sagen. Mit der Vaterlandliebe daß ist so eine Sache. Diejenigen Wallisser oder Grengier / die vor 50 u mehr Jahren hier her wanderten mit ihren Familien / sind todt u deren Kinder auch wie großer Teil u die dritte Generation

ist gar nicht mehr so patriotisch. Die lachen einem ins Gesicht. Daß ist denen zu dumm u zu ordinär [als] Wallisser zu gelten. Und diejenigen / die jetzt die letzten Jahre von drüben kamen oder kommen, bei dem Arbeitssi[nn] bei solch verdrehten Lebens=Anschauungen / die sie mitbringen / ist daran nur gar nicht zu denken / daß sie in die Lage kämen für die Heimat etwas übrig zu haben. Wen diejenigen die vor 50 u mehr Jahren hier herkamen u jetzt wohlhabende Leute sind, sichs auch so bequem hätten gemacht wie die jetzigen Einwander[er] Ach Gott / wie stünde es wohl jetzt mit ihrem Familien[?] Die armen Leute haben arbeiten müssen / schwer arbeiten[.] Hier ist aber nicht daß Gold-Amerika. Hier wird einer nicht zufällig reich. Eben darum werden dann [so] viel entäuscht / weil sie hier anstatt den erhofften Goldgruben ein weitschichtiges Arbeitsfeld finden / daß viel mehr Dornen als Rosen trägt.

Doch nun wieder ins Geleise. Ein zweiter Grund warum [bei] einer diesbezuglichen Sammlung nicht viel zu erhoffen ist, ist weil hier die Wohltätigkeit der Leute viel zu sehr ausgenützt oder möchte fast sagen missbraucht wird. Sie glauben nicht / was man hier [a]ngebettelt wird. Es vergeht kein Tag / daß nicht [j]emand in diesem Sinn ins Haus kommt.

[B]ald für ein Spital / für ein Alter=Asyl / für ein

Waisenhaus / dan für ein Schulhausbau / dan für ein Blinder / für eine arme Witwe mit Kinder. In alle[n] Zeitungen u in allen öffentlichen Lokalen wird man angebettelt. Dreimal sind nun schon Sammelpriester von drüben gekommen für die armen verhungerte[n] Kriegsländer. Einmal ein Deutscher / einmal ein Türke u einmal ein Schweizer für ein Deutsches Kinder heim. Ich sage Ihnen / man wird müde / auf die Dauer auch unwirsch. Ich habe jetzt b[l]oß nur noch erwähnt / was von auswärts gesammelt wurde u daß noch lange nicht alles. Es würde mich zu weit führen daß alles aufzuzählen u könnte ich auch nicht mehr[.] Aber dan haben wir hier in unserer Kolonie für so vieles zu steuren. In den letzten Jahren wurde hier eine neue Kloster=Kappelle gebaut samt Ausschmückung auf 100.000 Pesos. Alles gesammeltes Geld. Dan wieder daß Alter=Asyl / dieses Jahr wieder neue [K]irch Glocken u schon spricht man davon die Kirche zu vergrößern was wieder an die 100.000 geht u wie[der] muß der Kolonist herhalten. Daß hat schon manche Schräfung (?) gegeben u wird noch manche geben. Sie sehen also / Her. Pfarer / daß es unter solchen Umständen sehr schwer gehen wird noch etwas heraus zupressen für ihre Glocken. Wie gesagt / was wir tun könen / soll gewiß geschehen /

Muß Ihnen aber auch sagen daß Ihr Schreiben wenig geeignet ist die Leute zum helfen anzuspornen. Nehmt Ihr mir es nicht übel / daß ich Ihnen daß schreibe aber ich denke (..) den Sie kennen mich schon von meinen früheren [Br]iefen her u haben gewiß schon oft gedacht (..) müsse ganz gewiß ein aufrichtiges Beichtkind sein / Und mir wird es dan immer so recht wohl / wen ich dann wieder so alles von der Leber weggeschrieben habe. Nun mit dem beichten ists dan eine andere Sache / Daß wird wohl auf etwas anderes u nicht auf die Leber wirken. Also zur Sache um fertig zu werden / Hier ist man allgemein der Ansicht daß die vorgesehenen Glocken viel zu teuer sind, u nicht selten bekommt man zu hören / wen die Grengier so großartige Glocken haben wollen / so werden sie dieselben auch bezahlen können. San Geronimo ist wohl 4 mal so groß u wohl daß 4 – 5 fache reicher wie Grengiols u hatten dieses Jahr auch neue Glocken angeschafft [wi]e schon bemerkt) aber so groß artig konten wir hier nicht vorgehen. Hier sind 3 neue Glocken die größte wiegt 800 u eine 400 Kilo / die dritte 250 Kilo u kosten 6000 Pesos / macht daß im höchsten Fall 12200 Franken u keine 21000 Fr. Daß hätten wir uns nicht leisten könen / Wie gesagt / allseitig wird nun schnippisch empfangen /

Es sind auch welche / die es nicht leicht verbringen könen / daß der Ambord Elias daß ganze Geld nach drüben schickte / Man hätte davon hier auch gut verwenden könen / daß es ihm selbst zu Gute gekommen wäre. Wie gerade die Alter Heim Baufrage aktuel wurde / hatte man bei ihm angeklopft aber leider umsonst. Und wie wäre ihm doch daß so zu Gute gekomen / wen er da ruhig hätte seine alten Tage beschließ könen / gut versorgt u sauber anstatt wie ein blutarmer Man bald hier bald dort um Aufnahme bittend / nirgens gern aufgenommen weil er erstens sehr eigen u wunderlich u auch noch sehr mißtrauisch war u dan auch fast nichts bezahlen wollte.13

Jetzt werd ich nun wohl fertig sein mit meiner Beichte / an Ihnen ist es nun / mir die Buße aufzuerlegen / Und zwar auch ohne Umschweife. Ich bin auf alles gefaßt.

Und nun Schluß. Wollten Sie sich gütigst nach dem Befinden meines Vater[s] erkundigen. Man schrieb mir heute / daß er sehr schwer krank sei. Möchte auch sehr bitten / seiner beim hl Meßopfer zu gedenken. Gebe Gott / daß er wieder gesund wird u wir ihn noch einmal in diesem Leben sehen können. Für heute ist zu spät / mehr darüber zu schreiben u ich bin auch zu bewegt dazu / Noch einmal beten wir! Also Gruß den u nicht für ungut

Serafin u Josefine Imhof

Darunter, offenbar mit Bleistift hinzugefügt:

Bitte achtet nicht der schlechten Schrift u vielen Fehler. Mir sollte ein guter Geist auch eine Schreibmaschine besorgen.

Am linken Rand vertikal – in derselben Schrift wie der Brief:

Möchten aber sehr bitten niemand zu sagen daß u was wir Ihnen wegen Schallbetter geschrieben haben.

Der Brief von Josefine Imhof ist sowohl inhaltlich als auch rhetorisch-formal ein aussergewöhnliches Dokument. Zum einen zeigt er ihre Fähigkeit, unabhängig von der priesterlichen Autorität zu denken und persönliche Überzeugungen zu vertreten, zum andern ihre sprachliche und insbesondere rhetorisches Kompetenz.

Die Einleitung schillert zwischen Selbstironie und Sarkasmus. Frau Imhof schreibt da fast ein wenig überdreht. Das mag am Entschluss liegen, den Pfarrer in den Senkel zu stellen. Er soll zur Kenntnis nehmen, dass die ehemaligen Grengjer der Kirchenglocken-Bettelei überdrüssig sind und sich inzwischen darüber ärgern, dass einzelne Alte ihr Erbe nach drüben vermachen, statt es ihren Kindern zu vererben und/oder damit gemeinnützige Investitionen wie den Bau eines Altersheims vor Ort zu unterstützen. Aber nun scheint sie über die frisch von der Leber weg gesetzten Formulierungen selber zu erschrecken. (Diese sind auch Ausdruck des Ärgers, dass sie und ihre Verwandten sich vom Pfarrer wieder haben breitschlagen lassen.)

In der Hitze von SJN sei man eben unaufgelegt und könne auch keinen vernünftigen Gedanken zu Papier bringen. Geschickte Brief zu schreiben, dafür fehle das rechte Wetter immer. Das ist schon mal eine Art Entschuldigung für das, was folgen wird.

Zuerst äussert sie sich zu Schallbetters Rolle in der Angelegenheit Ambord. Nach dessen Tod habe sie in dessen Auftrag mitgeteilt, er könne das der Kirche vermachte Erbe auf unbestimmte Zeit nicht nach Grengiols überweisen.14 (Aufschlussreich ist der Verschreiber: Er wolle es nicht, statt er könne es nicht überweisen!) Weil Geld damals rar gewesen sei, hätten auch sie und ihr Mann das nachvollziehen können. Trotz der inzwischen deutlich besseren Wirtschaftslage habe Schallbetter weder das Geld überwiesen noch einen Schuldschein nach Grengiols geschickt. Er solle, wird Mathier ermuntert, den Mann auffordern, seiner Verpflichtung nachzukommen.15

Was die besseren Zeiten betrifft, so verweist Frau Imhof auf die gestiegenen Agrarpreise. Während des Krieges seien sie allerdings noch höher gewesen. Der Krieg, schreibt sie, hätte für sie rentiert, wenn er nicht so viele Menschenleben gefordert hätte.

Das Hauptthema ist der Glockenkauf der Grengjer und der Versuch, die Ausgewanderten zur Finanzierung heranzuziehen. Die Schreiberin spricht Klartext: Der Pfarrer solle sich da keine grossen Hoffnungen auf die Hilfe aus Argentinien machen. Selber würden sie durchaus etwas schicken. Auch ihre Schwägerin Maria Perren werde dies tun und habe überdies bei Verwandten und Bekannten etwas zusammengebracht. Viel werde es aber nicht sein. Mit der Vaterlandsliebe16 sei es nicht weit her. Die erste und zweite Auswanderergeneration sei zum grossen Teil tot, und die nachfolgende Generation lache einem geradezu ins Gesicht, wenn man sie mit diesem Ansinnen konfrontiere. Als Walliser wollten diese nicht mehr gelten; sie hielten das für dumm, ja für ordinär. Und was endlich die jüngste Auswanderergeneration betreffe, so sei diese gar nicht in der Lage, für die Heimat etwas übrig zu haben.17 Schon deshalb nicht, weil sie mit falschen Hoffnungen aus dem Wallis weggezogen seien. Wer es in Argentinien zu etwas bringen wolle, müsse hart arbeiten. Hier sei kein Gold-Amerika; es werde keiner zufällig reich. Frau Imhof zeigt sich über die Neuzuwanderer enttäuscht; sie kritisiert deren auf schlechter Arbeitsmoral beruhende Illusion auf schnellen Wohlstand. Gleichzeitig zeigt sie auch die sozialen Unterschiede auf. In SJN seien viele zu Wohlstand, ja zu Reichtum gelangt.

Als weiteren Grund für die nachlassende Spendierfreude nennt sie das ständige Angebettelt-Werden. Die Leute würden richtiggehend ausgenützt und reagierten entsprechend. Man werde müde, auf die Dauer unwirsch. Ihre Beispiel-Liste lässt in der Tat bezüglich Deutlichkeit keine Wünsch offen. Sogar Sammelpriester aus Deutschland, der Schweiz und der Türkei kämen her und bettelten für die armen verhungerten Kriegsländer. Dabei müssten sie in SJN selber für Sakralbauten und Sozialeinrichtungen Geld bereitstellen. Er werde wohl einsehen, dass es unter den geschilderten Umständen schwierig sei, aus den Leuten noch mehr für neue Glocken in Grengiols herauszupressen.

Anschliessend kommt sie zum Grundsätzlichen. Dafür platziert sie vorerst eine explizite Beziehungsbotschaft: Sein Schreiben sei überhaupt wenig geeignet, die Leute zum Helfen anzuspornen. Bevor sie die scharfzüngige Aussage näher erläutert, macht sie den Adressaten darauf aufmerksam, er kenne sie ja inzwischen und wisse, dass sie schreibe, was sie denke.18 Und sie fügt ironisch hinzu, er werde sie gewiss schon oft als aufrichtiges Beichtkind eingestuft haben. Die Bedeutung der Metapher wird noch vertieft mit der expliziten Ich-Botschaft, ihr sei es dann recht wohl, nachdem sie sich alles von der Leber weggeschrieben habe. Aber mit dem Beichten sei das (was sie hier tue) nicht zu verwechseln, denn das wirke ja nicht auf die Leber.19

Nun folgt das Eigentliche: Man halte die Grengjer Glocken für viel zu teuer. In SJN herrsche die Meinung vor, die Grengjer, wenn sie denn ein so grossartiges Geläut haben wollten, könnten dieses bestimmt auch selber bezahlen. (Viele reagierten offenbar mit Hohn und Spott auf die Bettelbriefe.) Hier in SJN habe man auch drei neue Glocken angeschafft, dafür aber umgerechnet nicht mehr als 12'200 Franken bezahlt. Wenig mehr als die Hälfte der 21'000 Franken, die man in Grengiols für neuen Glocken ausgeben wolle. Solche Ausgaben könnten sie sich in SJN nicht leisten, obwohl sie viermal grösser als Grengiols und bestimmt vier- bis fünfmal wohlhabender seien.

Es folgt – als weitere Zuspitzung – das, was am Ort offenbar viele Leute empört, dass nämlich der Ambord Elias sein ganzes Geld nach drüben geschickt habe. Er hätte es gescheiter so verwendet, dass es ihm selber zugutekäme. Ihn zu einer Spende fürs Altersheim in SJN zu bewegen, sei erfolglos gewesen. Dabei hätte gerade er dort gut versorgt seine alten Tage verbringen können. Stattdessen habe er nun als blutarmer Mann bald hier, bald dort um Aufnahme gebeten. Den wunderlichen, misstrauischen und auch geizigen [!] Mann habe niemand gerne aufgenommen. (Ich erinnere an die frühere Aussage von Kandelbinder, der Mann habe auf der Welt nicht viel Gutes gehabt. In Tat und Wahrheit stiess er mit seiner bizarren Spendertätigkeit viele Leute vor den Kopf.)

Dem allem fügt Frau Imhof eine weitere sarkastische Bemerkung hinzu: Nach der Beichte werde sie sich nun wohl auf die ausgesprochene Busse einstellen müssen; jedenfalls sei sie auf alles gefasst. Pfarrer Mathier muss ihre Ausführungen als Anklage verstehen. Ältere Leute dazu zu verleiten, ihr Erbe testamentarisch der Kirche in Grengiols zu vermachen, kommt, so gesehen, einem Missbrauch der klerikalen Autorität gleich. Auf diese Weise hereingeholten Spenden haftet zumindest ein Makel an.

Am Schluss des Briefes wechselt sie die Tonlage. Allerdings nicht wirklich zum Versöhnlichen hin. Der Pfarrer wird auf seine ureigene Aufgabe, auf die Seelsorge, aufmerksam gemacht (was vielleicht die deutlichste Kritik an ihn ist). Er wird darum gebeten, ja geradezu aufgefordert, sich nach dem Befinden ihres schwer erkrankten Vaters zu erkundigen und seiner beim Messopfer zu gedenken. Sie hofft, den Vater in diesem Leben noch einmal zu sehen. Mehr darüber schreiben will sie nicht. Dafür sei die Zeit zu fortgeschritten, und sie sei jetzt auch zu bewegt.

In einem Nachtrag fügt sie noch an, Schallbetter gegenüber sei Stillschweigen zu bewahren; er dürfe nicht wissen, was sie über ihn geschrieben hätten.

In diesem Brief stehen drei Personen in der Kritik: Gregor Mathier, Elias Ambord sowie dessen Neffe Franz Schallbetter.

Über sich selber hat (uns) Frau Imhof noch kaum etwas verraten; weder kennen wir ihr Alter, noch wissen wir, ob und wie viele Kinder sie und ihr Mann haben. Alles weist darauf hin, dass sie zu den etablierten Kolonisten gehören. Allerdings leben Josefines Eltern in Grengiols. Das legt die Vermutung nahe, dass erst sie nach Argentinien ausgewandert ist, womöglich als künftige Ehefrau von Serafin Imhof, der selber in SJN aufwuchs. Nicht auszuschliessen ist, dass sie Grengiols erst nach 1910 verliess und den jungen Pfarrer noch persönlich kennenlernte.

Im gleichen Jahr schreibt sie weitere Briefe von ihr an Gregor Mathier. Der nächste bereits drei Wochen später:

San Geronimo, den 7 Mai 1925

Hochwürdiger Herr Pfarrer!

Also komen wir wider einmal mit einem Schreiben an Sie. Inliegend erhalten Sie auch den Gutschein vom Ergebniß der Sammlung für die neuen Kirchenglocken in Grengiols.

Serafin's Schwester / Frau Maria Perren / hat sich, wen auch schweren Herzens, doch in Gottes Namen dazu hergegeben unter ihren Verwandten u Bekanten so eine kl. Sammlung zu veranstalten. Wie ich Ihnen schon letztes Mal schrieb / ist so etwas keine leichte Sache u muß man dabei auf allerlei Unannehmlichkeiten / sogar auf Grobheiten gefaßt sein, u ist zu wünschen / daß ein solches Ver[g]nügen nicht öfters wiederkehrt. Gründe hierfür sind viele u verschiedene u zum größten Teil sind Ihnen dieselben schon von meinem letzten Schreiben her bekannt. Zum größten Teil hat sie daß Gesammelte von ihren eigenen Kindern / Schwiegersöhnen u andern nahen Verwandten gekriegt. Sind aber unter den Gebern auch noch von anderen Nationen dabei. Argentiner / Deutsche / Italiener u auch noch Türken. Am allerwenigsten gebrorene [!] [Grengier]{.ul} / Serafin u seine Geschw Imhof u Stiefgeschwister Imwinkelried sind nun auch uberein gekommen / daß Geld welches für ein ewges Totenamt bestimmt war, für die Glocken zu schenken / was ja wohl auch ein gutes Werk ist u der Verdienst den Abgestorbenen zugewendet werden kann. Wie Sie an der beigelegten Liste ersehen / beträgt daßselbe die Summe von Pesos 256. Sage zweihundertsechsundfünfzig Pesos, daß Ubrige ist Ergebniß der Sammlung / alles in allem Pesos 550 / welches wir heute auf der Bank in Esper[anza] einbezahlten / wofür wir einen Gutschein erhielten im Betrage von Fr. 1089 / sage eintausend neunundachzig Franken / welches Sie auf der Bank in Brig abholen können. Die Fahrt mit dem Automobil nach Esperanza zu fahren u die sonstigen Unkosten wie Spesen für Ausstellung deß Gutscheins u a m haben Serafin u seine Schw. Fr. Maria Perren je die Hälfte bezahlt. Also so den Schluß für heute. Ich habe Ihnen letztes mal geschrieben, was wir in dieser Hinsicht tun können / sollte gewiß geschehen u daß haben wir nun a[uch] getan, fast noch mehr. Wir hoffen nun / daß, wen es auch nicht eine so große Summe ist / daß Sie doch den guten Willen ansehen werden u einiger Maßen zufrieden sind u hoffe[n] wir / daß Sie es nicht als unbescheiden aufnehmen / wen wir die Bitte beifügen / daß Sie für sämtliche Wohltäter eine hl Mes[s]e lesen würden.

Nun muß ich doch noch eine weitere Seite anfangen. Möchten Sie nun noch bitten / uns resp. dem Serafin für daß Geld / daß er u seine Geschw. für die Kirchenglocken schenken / eine Quittung zu schicken, damit er im Falle der Fälle eine solche vorzuweisen hat, da er derselbe ist, der bis dahin darüber Verwalter war. Auch daß Ubrige Ergebniß der Sammlung sollte von Ihrer Seite bestätigt werden. Wie wäre es / wen S[ie] daßselbe im Briger Anzeiger veröffentlichen wür[den?] Sie verstehen mich wohl / es ist nicht etwa wegen uns oder wegen Schwg. Maria, Sie sollen nicht etwa denken / daß wir ehrsüchtig sind, aber es ist uns daran gelegen / daß die Geber wissen / wo ihr Geld ist u zu welchem Zwecke daßselbe verwendet wird. Also will ich hoffen / daß wir uns nun richtig verstanden haben.

Mochte nun noch uns Alle Ihrem priesterlichen Gebet u dem Gebete Ihrer Pfarr=Angehörigen besonders der Kinder empfehlen.

Unser lieber Vater / von dem ich Ihnen letztes Mal schri[eb], liegt nun schon / wie ich aus den Zeitungen erfahren / mehr als ein Monat in der kühlen Erde. Wollten Sie se[iner] im Gebete gedenken. Ach / der gute liebe Vater / Möge er nun ausruhen von den vielen Müh[en] u Sorgen, fast sein ganze[s] langes Leben hier.

Er war nun schon sehr alt u weiß man ja, einmal komt die Stunde für alle. Immer kann ja der Mensch nicht a[uf] Erden bleiben u ist auch besser so. Was gäbe den doch (..) für ein Jammerthal. Ich war auch darauf vorbereitet. Als man mir schrieb / daß er schon krank sei / ahnte ich schon / daß er wahrscheinlich schon tot sei.

Gleichwohl hat es mich tief ergriffen / als ich den Ber[icht?] in der Zeitung sah. Ich hatte immer noch Hoffnung / d[ie] lieben Eltern noch einmal lebend zu treffen. Leider ist es nun anders geworden. Ein großer Trost ist mir / daß ich weiß / daß der gute Vater selig in der Krankheit gute Pflege hatte. Wen die Mutter a[uch] alt ist, so hat sie doch gewiß noch manches für ihn getan (..) ihn getröstet u mit ihm gebetet u Bruder Robert ist auch nicht zurückgestanden u Schw Paulina / ach die Gute / War ja von jeher eine Opfer=Seele. Gott möge es ihr vergelten / was die schon alles für uns alle getan hat.

Und nun noch einmal Schluß / Empfangen Sie / Hochwgr. Herr Pfarrer / unser aller Grüß[e] / schreiben Sie bald Bericht u entsprechen Sie meiner Bitte / indem Sie den Empfang deß Gel[des] bestätigen, am besten wie schon bemerkt in der Zeitung, in gleicher Weise wie die beigelegte Liste

Maria Perren I. Serafin u Josefine Imhof

NB.

Noch eins: Bei dieser Gelegenheit kann ich nun noch einmal daran Sie anmahnen / den Taufschein von Fridolin Perren zu schicken / Habe Ihnen in dieser Hinsicht schon vor ein paar Jahren, gleichzeitig mit der Nachricht von dem Tode dessen Bruders Aux[ilius] Perren geschrieben u nacher noch einmal, aber bisher ohne Erfolg. Er ist einer von den drei Grengier[n] / die auf fraglicher Liste stehn / u wird nun / da man so gut weiß / daß er ein Grengier ist / wohl auch von dort einen Taufschein zu verlangen haben. Er hat sich auch in dieser Weise ausgedrückt / Ergebniß der Sammlung zu Gunsten der neuen Kirchenglocken in Grengiols Wallis / veranstaltet von Witfrau Maria Perren gebr Imhof in San Geronimo Norte Argentinien

Mit dem Brief wird der «Gutschein» nach Grengiols geschickt, der es dem Pfarrer erlaubt, das Sammelergebnis von 1089 Schweizer Franken bei der Bank zu abzuholen. Frau Imhof macht darauf aufmerksam, wie unangenehm das Sammeln für ihre Schwägerin war. In der beigefügten Spenderliste sind neben der Gemeinschaft der Geschwister und Stiefgeschwister von Serafin Imhof insgesamt 27 EinzelspenderInnen aufgeführt, darunter Maria Perren mit 50 und Serafin Imhof mit 22 Pesos. Die Höhe der Spenden bewegt sich von 20 bis zu einem Peso abwärts. Bestätigt wird die im vorangegangenen Brief prognostizierte negative Reaktion der Walliser Migranten. Die Gemeinschaftsspende von 256 Pesos sei denn auch nur deshalb zustande gekommen, weil der für ein ewges Totenamt bestimmte Betrag für die Kirchenglocken abgezweigt wurde. Frau Imhof hält mit Nachdruck fest, man habe mehr getan als ursprünglich beabsichtigt und hoffe, dass der Pfarrer trotz der kleinen Summe ihren guten Willen anerkenne und es nicht als anmassend empfinde, wenn man darum bitte, für die Wohltäter eine Messe zu lesen. Darin vermittelt sie auch implizite Botschaften. Sie stuft die Spende vermutlich absichtlich zur «kleinen Summe» herab, um kundzutun, dass die Leute durchaus in der Lage wären, tiefer in die Tasche zu greifen, aber der Bettelei überdrüssig sind. Kommt dazu, dass sie jetzt auch im Namen der «Wohltäter» Wünsche formuliert. Sie verlangt mehr als eine Quittung und eine Messe; der Pfarrer soll die Spende im «Briger Anzeiger» bekanntmachen. Was für eine Absicht verfolgt sie, wenn es nicht darum geht, geehrt zu werden? Mit der Veröffentlichung sollen zum einen den Spendern bestätigt werden, dass das Geld am Bestimmungsort angekommen ist, zum andern will sie auch die Oberwalliser über die Unterstützung aus Argentinien informiert sehen. (Der «Briger Anzeiger» wird in SJN ebenso gelesen wie im Oberwallis.) Wenn Mathier darauf eingeht, muss er den Sachverhalt auch gegenüber der Öffentlichkeit offenlegen. Das wäre für die Leserschaft in vielerlei Hinsicht informativ. Nicht auszuschliessen ist, dass sich die Leute Gedanken machen über die klerikalen Ansprüche in Grengiols.

Übers Ganze gesehen läuft im Brief unterschwellig ein Tonfall des Ärgers mit. Und mit dem Satz Also ich will hoffen / dass wir uns nun richtig verstanden haben setzt Josefine Imhof ein unmissverständliches Zeichen. Sie hat es satt, nicht ernst genommen zu werden. Der Kontext zeigt, dass der Pfarrer ein auffälliger Bettelbriefschreiber ist, aber bezüglich klerikaler Dienstleistungen als Minimalist betrachtet wird. Wie wäre es sonst zu erklären, dass fünf Jahre nach der ersten und inzwischen zwei weiteren Bitte um einen korrekten Taufschein für Fridolin Perren dieser noch immer nicht eingetroffen ist? Josefine Imhof formuliert das Anliegen denn auch energisch. Sie findet es eine Zumutung, die Sache erneut anmahnen zu müssen.

Der Brief vermittelt auch Informationen über die Walliser Angehörigen. Dass ihr Vater vor über einem Monat verstorben ist (also schon beerdigt war, als sie den letzten Brief an den Pfarrer schrieb), erfährt sie nicht von der Familie, sondern aus dem «Briger Anzeiger». Dass die Zeitung früher in Argentinien eingetroffen ist als die briefliche Nachricht, mag zwar erstaunen, bedeutet jedoch nicht, dass kein Briefkontakt mit der Familie besteht. Immerhin wusste sie um die Krankheit des Vaters. Ihre Geschwister sind, wie sie einmal bedauernd feststellt, nicht so schreibfreudig wie sie selbst. Später vernehmen wir, dass sie in brieflichem Kontakt steht mit dem Bruder Auxilius. Vollends klar wird, dass sowohl ihre Eltern als die beiden Geschwister Robert und Pauline im Wallis leben, was belegt, dass sie – vielleicht abgesehen von Auxilius – als Einzige ausgewandert ist. Was ihr Alter betrifft, so lässt sich dieses nach wie vor bloss ungefähr bestimmen, vor allem über den Hinweis, dass die Schwägerin verheiratete Töchter resp. Schwiegersöhne hat.

Einen Monat später erhält Pfarrer Mathier einen weiteren Brief aus Argentinien; diesmal nicht von Frau Imhof und auch nicht aus SJN, sondern von Abraham Volken aus San Carlos Norte, einer südlich gelegenen Kolonie. Das zeigt der Briefkopf [!]: Abraham Volken / Sauce / San Carlos Norte / F.C.S.F. / Rep. Argentina

Sauce, den 7^ten^ Juni de 1925

Hw., Herrn Pfarrer Gr. Mathier Grengiols!

Den Empfang Ihres Schreibens hiermit bestätigend, bin ich in der Lage Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihrer Bitte entsprechend einen kleinen Beitrag für das zu errichtenden neue Geläute geschenkt habe / was Ihnen jedenfalls auch Herrn Serafin Jmhoff schon übermittelt worden ist. Möchte Sie darauf aufmerksam machen, mich nicht etwa als reichen Amerikaner zu betrachten sondern meinen kleinen Beitrag meinen Verhältnissen entsprechend zu würdigen. Anschließend möchte ich eine kleine Bitte an Sie richten. Ich besitze nämlich eine Schwester / von der Sie doch sicher gehört haben. Sie heisst Maria Volken ist vor ungefähr 20 Jahren nach California ausgewandert u hat sich daselbst verheiratet. Da ich seit Jahren ohne Nachricht von ihr bin, so wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn sie in der Lage wären mir solche mitzuteilen / Sie mögen sich in der Angelegenheit nur an meinen Vetter wenden, herrn Jos. Marie Jensch od. an andere Angehörige von Verwandten in Californien. Es herscht doch immer ein reger Briefwechsel drüben mit Nordamerika u ich denke, es müßte sich doch etwas über Ihr20 Schiksal ermitteln lassen. Eine dahin gehende Anfrage an meinen Vetter Jensch ist von demselben ausweichend beantwortet worden. Ich nehme doch die Gelegenheit wahr einen letzten Versuch bei Ihnen zu unternehmen. In der hoffnung / daß Sie die Mühe nicht scheuen werden, diese Zeilen einer Antwort zu würdigen / verbleibe ich

Ihr Ergebenster

Abraham Volken

In der Provinz Corrientes gibt es den Ort Sauce. Um diese Kolonie handelt es sich bei Volkens Angabe nicht; er lebt im südlich von SJN gelegenen San Carlos Norte. Womöglich bezeichnet Sauce die genauere Adresse innerhalb der Kolonie. – Der Brief verrät verschiedenes, zum Beispiel, dass Mathier auch jene Grengjer Migranten anschreibt, die nicht in SJN wohnen. Abraham Volken ist sicherlich ein Nachwanderer, den es – vermutlich um die Jahrhundertwende – in eine entferntere Kolonie verschlagen hat. Das ergibt sich aus dem Hinweis, seine Schwester Maria sei seit zwei Jahrzehnten in Kalifornien verheiratet. Dass er davon ausgeht, die nach Nordamerika emigrierten Grengjer pflegten fleissigen Briefkontakt mit den Familienangehörigen, erklärt sich aus dem Umstand, dass es sich häufig um Arbeitsmigranten handelte, um Leute, die wieder ins Wallis zurückkehrten, sobald sie genügend Erspartes hatten. Unter ihnen gab es Ehemänner und Familienväter, die regelmässig Geld ins Wallis überwiesen. Dass Volken im Übrigen darauf Wert legt, nicht als «reicher Amerikaner» zu gelten, wirft erneut ein Licht auf den umtriebigen Spendensammler.

Am 9. Juni 1925 greift Frau Imhof ein weiteres Mal zur Feder:

San Geronimo Norte, den 9 Juni 1925

Hochwürdiger Herr Pfarrer!

Sie werden sich wundern schon wieder ein Schreiben von uns zu erhalten. Es haben sich noch nachträglich noch einige diesmal zum Teil Grengier, dazu entschlossen etwas für die neu anzuschaffenden Glocken, herzugeben / Serafin hat nun wieder den Betrag bei der Bank einbezahlt u dafür eine Gutschrift von Fr. 206.28 Ct. erhalten welcher wir Ihnen hiermit beilegen u welchen Betrag Sie bei der Bank in Brig abheben können. Wir legen Ihnen auch die Liste der diesmaligen Geber bei u erwarten auch eine diesbezügliche Empfangsbestätigung u zwar wie schon letzthin bemerkt wen es die Umstände erlauben in der Zeitung mit Namen und Betrag eines jeden Gebers / so wie ich es Ihnen auf den Listen eingesandt. Auch möchte ich auch diesmal um eine hl Messe für die Wohltäter bitten / Sie werden verzeihen wen mein Schreiben heute kurz ausfällt / Es ist schon spät u ich muß noch Bruder Aux[ilius] ein langes [u] ein Breites schreiben.

Noch eins. Sie werden es wohl nicht als unbescheiden nennen / wen wir gerne wissen möchten wie es jetzt mit Schallbetter steht. Ob er Ihnen jetzt wohl bezahlt oder wenigstens einen Schuldschein geschickt [hat?]

[2. Seite; evtl. fehlt dazwischen eine Seite.]

Nun Ende für heute. Sind gesund u wohl / Machen immer Pläne um nach Europa zu kommen / dieselben aber werden wohl nicht so schnell Wirklichkeit. Herr Briggeler wird heute wohl schon wieder in Mörel bei den Seinen sein.

Grüßen Sie uns bitte unsere Leute in Grengiols / Schw. Jentsch hat sich aber wieder vergessen zu schreiben. Empfangen Sie Hochw. Unsere besten Grüße u bitten wir Sie unser im Gebet zu gedenken.

Serafin u Josefine Imhof u Kinder

Das ist einer der wenigen ihrer Briefe, der wenig mehr als die notwendigsten Informationen enthält. Bemerkenswert ist, dass ehemalige Grengjer inzwischen doch noch Geld gespendet haben, vermutlich wegen des entstandenen sozialen Drucks. Dass Nicht-Schweizer sich grosszügiger zeigten als sie selber, dürfte sie beschämt haben. Die im Zusammenhang mit der aktuellen Mörel-Reise des Herrn Briggeler genannten eigenen Reisepläne sprechen von einem gewissen Wohlstand, aber auch von der Sehnsucht nach den Familienangehörigen und dem Herkunftstort. Dass Frau Imhof am selben Tag ein langes [u] ein Breites an den Bruder schreiben will, zeigt dem Adressaten, wie sie die Schreib-Prioritäten setzt. Und endlich erfahren wir, dass das Ehepaar Kinder hat. Es ist anzunehmen, dass sie noch nicht erwachsen, also tatsächlich noch Kinder sind. Wenn die Annahme zutrifft, ist der Altersunterschied zwischen ihr und der Schwägerin Maria Perren grösser als bisher angenommen.

Im September des gleichen Jahres wendet sie sich erneut an den Pfarrer:

San Geronimo Norte den 2. September [Die Jahreszahl fehlt; wahrscheinlich 1925.]

Hochwürdiger Herr Pfarrer!

Sind nun schon seit längerer Zeit im Besitze Ihres ersten u seit einiger Zeit Ihres zweiten Schreibens. Hätten auf ersteres schon eher geantwortet / wollten aber immer abwarten / bis wir Nachricht erhalten / ob Sie auch unsern zweiten Brief mit dem darin befindlichen Gutschein erhalten haben. Also hätte insoweit alles seine Richtigkeit / nur möchten wir Sie nochmals darauf aufmerksam machen, daß wir unbedingt einen Empfang[s]schein im Besonderen haben müssen für das Geld, welches bei der ersten Sammlung von Serafin u seinen Geschw[istern] unter dem Namen Geschw u Stiefgeschwister Imhof u Imwinkelried gespendet wurde / Serfin will u muß einen solchen haben um im Fall der Fälle dieselbe (?) nachweisen zu können / was bei Rechnungsabgabe einer Verwalterschaft (..) zu geschehen hat. Man kann nie wissen / wozu es ein oder daß andere Mal noch kommen kann. Wir haben Ihnen daß in unserm vorigen Schreiben auch schon ausdrücklich bemerkt, wissen aber nicht / ob Sie es übersehen oder ob Sie uns nicht richtig verstanden haben. Also hoffen wir daß Sie daßselbe noch nachholen werden. Daß Sie von einer Veröffentlichung aller Namen der Geber abgesehen / ist gar nicht so übel u zeugt daß von Ihrem Geschäfts u Sparsamkeitssinn, immerhin hätte uns wenigstens so ein kleiner Artikel / was so wie eine Empfangsbestätigung oder wie ein Dank an die Geber klingen sollte, u Sie doch gewiß nicht viel gekostet hätte, gefreut; heißt daß nicht wegen uns, sondern um der Andern willen / wie wir Ihnen schon angedeutet haben. Ferner möchte ich Ihnen auch mitteilen daß der Taufschein von Hr Fridolin Perren nur zum Teil richtig ist, daß heisst sein Name ist richtig aber derjenige der Eltern nicht u auch daß Alter stimmt nicht. Also die verlangte Auskunft[:] Fridolin Perren ist geboren im Jahre 1859 in Greng[iols] / ehlicher Sohn deß Alexander Perren u der Katharina gebr. Zurbriggen. Also hoffen wir auf eine nochmalige Zustellung u diesmal deß [Richtigen]{.ul} Taufscheins. Inzwischen unsern Dank für Ihre Mühe u Sie wollen uns auch gütigst mitteilen / was er zu zahlen habe.

So / nun wär ich schon am Ende deß Geschäftlichen u da Papier u Zeit zu Ende gehen u ich ohnehin nicht viel deß Intresante[s] weiß / so denk ich für diesmal Schluß zu machen. Wir sind so zimlich gesund u hoffen es auch von allen in Dorten [!]. Grüßt (..) auch unsere Leute. Es sind nun schon Jahre her daß wir von denen nichts Geschriebenes mehr erhalten haben. Traurig aber wahr.

Also will ich Ende machen / empfangen Sie Hochwg. Hr Pf[arrer] unser aller aufrichtigsten Grüße

Serafin u Josefine Imhof u Kinder

Gregor Mathier hat also reagiert, sogar schon zweimal, jedoch nicht so, wie gewünscht. Weder lag die Empfangsbestätigung für die Spende (von immerhin 1089 Franken) bei, noch erhielt Fridolin Perren einen Taufschein mit korrekten Daten. Frau Imhof übermittelt dieselben Informationen wie ihre Schwägerin fünf Jahre früher (vgl. oben). Möglicherweise habe er etwas überlesen oder sie nicht richtig verstanden. Wenn Mathier selbstkritisch genug ist, muss er merken, dass dieser Satz kaum wörtlich zu verstehen, sondern genauso gut das Gegenteil meinen kann. Und weil er weder die Spendernamen noch die Spenden öffentlich macht, erntet er Spott. Ihnen eine kleine Freude zu machen, hätte doch gewiss nicht viel gekostet, reibt ihm Josefine Imhof unter die Nase. Perren, der erneut gespendet hat, lässt zudem ausrichten, der Pfarrer solle doch gütigst mitteilen, was ein ‘richtiger’ Taufschein koste. Die Formulierung dürfte Frau Imhofs eigener Kommentar sein. Damit schliesst sie das «Geschäftliche» ab. Was die fehlende Kommunikation mit ihren Verwandten betrifft, so verzichtet sie auf jede Form von Rhetorik. Sie ist enttäuscht und macht mit der Wendung Traurig aber wahr ihrem Unmut Luft.

Gegen Ende Jahr folgt nochmals ein Brief, diesmal ein vier Seiten langer:

San Geronimo Norte, den 19 November 1925

Sr. Hochwürden Herrn Gregor Mathier Pfarrer in Grengiols

Werden sich wohl wundern mal wieder etwas Schriftliches von uns über den Ozean zu erhalten / Im Auftrage meines Gatten u seiner Schwester Frau Maria Perren, geb. Imhof, kome ich Sie anzufragen / ob in Grengiols noch ewige Totenämter angenommen werden können u zu welchem Preise / Mein Gatte Serafin Imhof beabsichtigte in Gemeinschaft mit den Geschw. für die verstorbenen Eltern Vater / Mutter u Stiefvater insgesamt, ein ewiges Seelenamt zu stiften. Frau Perren hat vor, ein solches für seinen [!] verstorbenen Gatten Aux Perren u einige Kinder / welch[e] ihnen jung gestorben sind. Würden Sie hochw. Herr Pfarrer also die Güte haben uns baldmöglichst Ant. zu kommen zu lassen / wären wir sehr dankbar.

Wir haben den Gruß / den Sie uns mit Herr Briggeler über sendet haben / mit Dank erhalten u erwiedern [!] denselben aufs herzlichste. Ja (?) empfange unsere herzlichsten Grüße u Wünsche fürs komende Jahr u für alle Tage Ihres Lebens. Gott wolle Sie stehts beschützen u stärken daß Sie geduldig ausharren auf Ihrem manchmal recht dornenvollen Pfaden. Gebe Gott daß Sie in Ihrem Seelen Eifer recht viele verirte Schäfflein wieder auf den richtigen Wege in seinen Schafstall führen können was gewiß auch Ihr sehnlichster Wunsch ist.

Von uns weiß ich Ihnen nichts Besonderes zu schreiben / Wir haben immer nur noch zwei Buben. Emil 9 Jahre u Conrad 5 Jahre alt. Emil der stille bescheidene brave Junge. Von Pfarrer / Lehrer / Mitschüleren u allen geliebt u Conrad der kleine Zwingheer (?) geweckt und ausgelassen, immer zu allen losen Streichen bereit. Man weiß manchmal nicht / soll man sich ärgern oder lachen. Beides sind am Platze. Daß Töchterchen daß so sehr erwünscht wäre läßt immer noch auf sich warten.

Obs nicht vielleicht besser so ist? Wie es heute in der Welt aussieht braucht man sich von der Jugend nicht mehr viel zu versprechen.

Und nun zu etwas anderm: Wie uns Briggeler sagt / hat Hr. Franz Schallbetter die Sache in Betreff deß Geldes noch im Alten. Daß ist nun doch etwas zu bequem u möchten wir Ihnen nun doch raten bei ihm darauf zu dringen daß die Sache reguliert wird. Es ist nicht etwa daß er nicht zahlen will oder kann / er ist wie ich Ihnen schon damals schrieb, enorm reich / auch ist er ein ehrlicher braver Mensch aber furchbar [!] nachlässig ist er. Es muß daß so eine Art extra Erbsünde sein. Also wie gesagt wenigstens einen Schuldschein sollten Sie kriegen. Der Man könnte auch plötzlich sterben u in solchen Fällen wird hier, wo minderjährige Kinder sind, alles gerichtlich reguliert u da könnte es eventuell dan schon noch Schwierigkeiten geben daß Geld herauszukriegen. Am besten ist / Sie schreiben ihm noch einmal aber veraten Sie ja nicht daß wir Sie geheißen haben. Uns würde er d[as] sehr übel nehmen. Wir haben geglaubt / daß das längstens geregelt ist. Letztes Jahr hat mich mal die Neugierde getrieben ihn zu fragen ob jetzt der Herr Pfarrer in Grengiols nicht mehr geschrieben habe - - - Da hat er mit Nein geantwortet, u sonst tat er kein Muxer - - Wir glaubten aber doch daß er die Sache in Ordnung gebracht habe. So oder so. Für so gleichgültig u nachlässig haben wir ihn nicht gehalten.

Und noch eins. Wollten Sie vielleicht mal unsern Schwg. Jose Marie ein bischen am Arm packen u wach stüttlen / daß er uns mal schreiben würde. Da warten wir nun schon Jahr und Tag daß eine gewisse Antw in einer gewissen Angelegenheit / Aber behüt dich Gott / „Es wär zu schön gewesen / es hat nicht sollen sein."

Nun so Schluß den. Bin Ihnen ohnehin schon langweilig geworden mit meinem eintönigen Gekritzel / Bitte mich zu entschuldigen.

Wollten Sie auch unsere Grüße ubermitteln an unsere Leute in Dorten. Beat wird wieder im Kanton Schwyz sein. Ob der wohl ein Priester wird? Indem ich mich u die meinigen Ihrem priesterlichen Gebet empfehle grüßen wir Sie alle noch einmal herzlich

Serafin u Josefine Imhof u Kinder

Der frühere Ärger scheint verflogen. Bei den betont bildhaften Wendungen vom «dornenvollen Pfad» und den «verirrten Schäflein», die wieder in den «Schafstall» zu führen wohl sein «sehnlichster Wunsch» sei, schwingt allerdings Ironie mit. (Bisher bekam man von Frau Imhof das Bild eines Priesters vermittelt, dessen Hauptanliegen der Kirchenbau sowie die Anschaffung der Glocken sind.) Dass sie insgesamt versöhnlich schreibt, hat auch mit den zu übermittelnden Neujahrswünschen zu tun. Überdies hat der Wallis-Rückkehrer Briggeler Grüsse des Pfarrers und neue Informationen mitgebracht, was Mathier insgesamt in ein besseres Licht gerückt haben dürfte. Was das nicht überwiesene Ambord-Erbe betrifft, droht das Ehepaar in eine unangenehme Lage zu geraten. Bisher vermittelten sie zwischen dem Pfarrer und Ambords Neffen, auch wenn sie Mathier rieten, Schallbetter gegenüber energischer aufzutreten. Nun wird er sowohl als «furch[t]bar nachlässig», als auch als «ehrlicher braver Mensch» beschrieben, gleichzeitig aber auf seinen Reichtum aufmerksam gemacht. Frau Imhof will, dass Schallbetters Verzögerungstaktik nicht als böse Absicht gedeutet wird. Gleichwohl solle der Pfarrer sie nicht akzeptieren. Die Schreiberin und ihr Mann befinden sich in einer Zwickmühle; zum einen möchten sie, dass Schallbetter seiner Verpflichtung nachkommen muss (auch wenn sie die Absichten des Erblassers eigentlich nicht gutheissen), zum andern wollen sie vermeiden, mit dem Säumigen in Streit zu geraten. Je nachdem, wie Schallbetter zur Geldüberweisung aufgefordert wird, kann er Rückschlüsse ziehen auf die Informationen, die über ihn nach Grengiols geflossen sind. Er könnte den Imhofs Intrige vorwerfen. Darum kann es sein, dass das Bild des Mannes nun schöngeredet wird. Mit dem Verweis auf Schallbetters minderjährige Kinder erhält man im Übrigen eine ungefähre Vorstellung von seinem Alter. Bestätigt wird aber auch, dass es bezüglich des Ambord-Erbes keine schriftlichen Belege gibt.

Und endlich erfahre wir, dass Josefine eine junge Mutter ist, die nach den beiden Knaben Emil und Konrad sich noch eine Tochter wünscht. Wenn sie 1916 das erste Kind zur Welt brachte, dürfte sie in den frühen 1890er-Jahren geboren worden sein. Nach Argentinien kam sie wohl um die Zeit, als der Erste Weltkrieg begann. Das stützt auch die Vermutung, dass sie Gregor Mathier persönlich kennt.

San Geronimo Norte, den 4 April 192(..)

Sr. Hochwürden Herr Pfarrer Mathier!

Sind nun schon längere Zeit im Besitze Ihres Schreibens u kome erst heute dazu die selbe zu beantworten. Gründe sind verschiedene. Gleich nach Empfang deß ersten Briefes vom 8 November ging Serafin zu Schallbetter hin, um ihn über den Inhalt deßselben in Kenntniß zu setzen. Er erklärte aber daß er gleichfalls ein Schreiben von Ihnen erhalten habe u daß er Ihnen auch schon Antw u diesbezügliche Aufklärung habe zu kommen [!] lassen. Darüber daß Sie uns beauftragten die Sache in die Hand zu nehmen, hat er sich nicht gerade beleidigt gefühlt, u sagte er auch gleich daß sei ja leicht begreiflich. Sie / Herr Pfarrer / können ja nicht wissen / wie er sei u s w.

Gleichwohl hat er sich geäusert daß es keinen Zweck habe Ihnen wieder zu schreiben / da Sie sein Schreiben wohl aufklären u beruhigen werde, u sind wir auch ganz u gar der Meinung daß die Sache von Schallbetter redlich verwaltet wird, den der Man ist rechtschaffen u ehrlich durch und durch. Und daß derselbe im Interesse der Kirche seiner Heimatgemeinde handelt, daß können Sie daraus ersehen daß er, erstens verhütet hat, daß die Regierung von der Hinterlassenschaft deß Elias Ambord selig noch ihren Teil davon gekriegt hat, wie es sonst hier üblich ist wen einer unverheiratet stirbt. Dagegen hätte keine irdische Macht etwas tun können / wen Schallbetter als Schaffner die Papiere nicht in guter Verwahrung gehabt hätte. Und zweitens: „Hat er den Schuldschein von 7'230.10 Pesos selbst in den Händen gehabt u wen er es Ihnen nicht selbst geschrieben hätte / wo hätten Sie hier denselben suchen wollen, u wer hätte dem Schallbetter beweisen wollen daß er daß schuldig ist / wen nirgens ein Schuldschein vorläge" Also sehen Sie daß die Sache nicht so übel steht u müßte es mindestens frostig wirken / wen er sehen müßte daß bei allem seinem guten Willen man ihm durch die Finger sehen will.

Betreff Ihres zweiten Briefes von 1 Januar haben wir nun wieder mit ihm gesprochen. u beauftragt er mich nun Ihnen so ungefähr folgendes zu berichten. Er hoffe in ein paar Monaten daß Geld schicken zu könen / Momentan sei er nicht in der Lage daß Geld flüssig zu machen. Die Zeiten seien jetzt schlecht / sehr schlecht / besonders für den Landwirt u Viezüchter. Alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse haben keinen Preis / zudem war die Ernte nicht gerade die beste / dazu die furchtbare Trokenheit / daß ganz Jahr hindurch Heuschrecken u wie die Plagen alle heißen mögen / so daß noch manchen in Verlegenheit ist / der es sich nicht träumen lassen. Trotzdem hofft er Ihnen in ein paar Monaten daß Kapital zuweisen zu lassen / Wen es ihm aber nicht möglich sein sollte / so will er dan auf der Bank fragen / wie es dan mit dem Kurs steht u läßt Ihnen dan einen Schuldschein in Schweizer Währung ausstellen, von dem hiesigen Richter u Schweizer Konsul in Santa Fee gutheißen und unterschrieben. Vom Tage des Todes deß Elias Ambord selig verzinst er Ihnen daß Kapital zu 7% / [am Rande vertikal unleserliche drei Wörter, mit einem Pfeil an diese Stelle verweisend; nicht von Frau Imhof geschrieben] Hoffen wir also / daß Sie nun so einverstanden u zufrieden sind.

Sie können ganz beruhigt sein. Wir sind überzeugt daß Schallbetter redlich bemüht ist die Sache baldmöglichst zu regulieren / Ubrigens ist daß ein schwer reicher Mann / hat große Ländereien u zu tausende Stück Vieh u / wie schon wiederholt bemerkt / ehrlich u redlich u auch tief religios.

Daran daß er momentan wie die Dinge liegen daß Geld nicht flüssig machen u schicken kann, daran würden auch wir nichts ändern könen u sonst sind Sie sicher daß alles seinen richtigen Weg geht. Also hoffen wir daß Sie uns nicht übel nehmen / daß wir Ihrer Bitte nicht entsprochen haben /

Und nun Schluß . In Hier [!] geht so alles seinen alten Gang. Haben eben wieder einen recht warmen Sommer hinter uns. Man war Tag u Nacht in Schweiß gebadet. Wieder ein Grund meines langen Nichtschreibens / Bei solcher Hitze u Schweiß bringt man kein vernünftiger Gedanke u kein ordentlicher Buchstabe au[f]s Papier. Nun den dieser Briefschreiberei nach zu urteilen, werden Sie denken, müsse es auch noch recht warm sein - - -

Am Carfreitag in der Frühe ist hier Serafins Schwester / Frau Josefine Lagger / nach langem schweren Leiden gestorben. Gott habe sie selig. Sie war uns eine lb gute Schw. u Schwägerin. Im nächsten Juli wird's dann zwei Jahre daß ihr der Gatte Alpfons Lagger im Tode vorausgegangen ist. Bitte den Todesfall unser Schw. Mathilde Jentsch zu melden / Die Verstorbene war eine Base von ihrem verstorbenen ersten Gatten / Sie soll es auch den andern Verwandten mitteilen / wie Witwe Lauber / Aux Jänsch von Auserbinn u a m. Nun denke ich doch Schluß zu machen /

Indem wir uns u unsere Kinder ihrem priesterlichen Gebet empfehlen

> zeichnet

Serafin u Josefine Imhof

Es kam wie erwartet, der Pfarrer hat die Botschaft, dass Herr und Frau Imhof in der Erbangelegenheit Ambord nicht weiter aktiv sein wollen, nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. Nach den zwei Briefen vom November und Januar – es kann sich nur um die Jahre 1925 und 1926 handeln – fühlten sie sich erneut genötigt, als Briefträger aufzutreten. Weitere Aktivitäten in der Sache weisen sie jedoch zurück. Interessant ist die Formulierung, Schallbetter habe sich «nicht gerade beleidigt gefühlt». Das lässt Interpretationsspielraum zu, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Situation für beide Seiten unangenehm war und weiterhin ist. Tatsächlich steht ja die Vorstellung einer betrügerischen Absicht im Raum. Dass sie daran nicht unschuldig sind, macht es für die Vermittler schwierig. Darum sind sie erleichtert, dass Schallbetter sich in der Zwischenzeit selber bei Mathier gemeldet hat. Um weitere Konflikte mit Schallbetter zu vermeiden, wiederholt Frau Imhof das im letzten Brief skizzierte Bild des Mannes, ja, sie setzt zu einer eigentlichen Verteidigungsrede an. Der Mann sei ein redlicher Verwalter des ihm anvertrauten Geldes; er sei «ehrlich durch und durch». (Später fügt sie noch hinzu, wie «tief religiös» er sei.) Und wie sehr er im Interesse der Kirche handle, zeige sich zum einen, dass er verhindert habe, dass der Staat seine üblichen 20 – 25% des Erbes einziehe, zum andern, dass er es gewesen sei, der ihn, den Pfarrer, über die Kirchenglocken-Spende von Elias Ambord informiert habe. (Was sie zugunsten von Schallbetter erstaunlicherweise auch vorbringt, ist dessen offensichtliches Steuervergehen gegen den argentinischen Staat!) Tatsächlich existieren keine Beweise, dass der Grengjer Kirche eine Erbschaft geschuldet ist, es gibt nur die Information von Schallbetter selbst, und die scheint für seine Aufrichtigkeit zu sprechen. – Unverhohlen provokativ ist die Frage an den Pfarrer, wie er, in Grengiols lebend, den Schuldschein hätte finden wollen. (Dass dieser, falls er existiert, nicht dorthin geschickt wurde, lässt sich allerdings auch mit grösstem Wohlwollen nur schwer erklären.) Bemerkenswert ist Frau Imhofs Zwischenfazit: Bei all dem guten Willen des Angeschuldigten würde es «frostig» wirken, wenn man ihm nun «durch die Finger sehen» wollte.

Als sie nach dem Januar-Brief des Pfarrers nochmals das Gespräch mit Schallbetter suchten, versicherte dieser, den Betrag in wenigen Monaten überweisen zu wollen. Auch die weiteren Erklärungen – oder sind es Ausflüchte? – des Mannes werden referiert, und danach wiederholt Frau Imhof das Plädoyer für ihn. Daraus sticht hervor, er sei ein «schwer reicher Mann», besitze grosse «Ländereien u tausende Stück Vieh». Die Ausführungen sind nicht widerspruchsfrei. Wie kann man dem Mann redliches Bemühen attestieren, nachdem er während Jahren Geld, das als Kirchenspende vererbt wurde, dem Empfänger nicht zugestellt hat? Und weshalb übernimmt sie Schallbetters dürftige Erklärung, er verfüge momentan über kein flüssiges Geld? Das steht in deutlichem Kontrast zu seinem Reichtum. Wie schon weiter oben vermutet, möchte das Ehepaar Imhof sich der unangenehmen Aufgabe entledigen, in die es sich mit den kritischen Bemerkungen über Schallbetter selber manövriert hat. Der Ärger gegenüber dem ständig drängenden Pfarrer ist unüberhörbar. „Schauen Sie selber zu, wie Sie zu Ihrem Geld kommen!", dürfte die Botschaft sein, die ankommen soll.

Und endlich folgen die Stellungnahmen von Franz Schallbetter selber. Allerdings erst im Juni 1926 – nicht wie von ihm behauptet um die Jahreswende 1925/26. (Dass ein entsprechender Brief verlorenging, ist nicht auszuschliessen, aber wenig wahrscheinlich.)

Sant Geronimo den 27 Juni 1926

Geachteter Herr!

Ich setze euch hie mit in Kentnis das beiliegende Folmacht von Franz Zurbrigen hier in meinem Hause von mir u dem Zeugen Julius Walker unterzeichnet worden ist. Der Zubrigen hat mier gesagt das legalisieren sei nicht notwendig, damit könne er ein par Pessos ersparen. Im fall das sie sagen daß erlaube ihnen die amtspflich nicht, sollten sie so gut sein u die Folmacht sogleich zurück senden / wird sie angenommen, so entpfehle ich mich bei euch daß sie mir die ganze rechnung ausfürlich aufertigen u mier übersenden, der zinsfus zu 7%. Auch für die Zeit / wo fast ein Jahr lang den mietzins dem Kapital von Alexander zu gerechnet worden ist, können ohne umstende zu den übrigen Zins rechnen. Der Geldkurs können sie so nehmen wier [wie er] dazumal wahr / darum lege ich den Zeitungsausschnit hinzu / welcher Ihr mihr dazumal übersendet haben.

Ich bitte um entschuldigung für meine hieläslichkeit [Nachlässigkeit], welche mit etwas schwirigkeit verbunden war. ich verlange von euch gegenseitige achtung / ich wünsche unsere arme Gemeinde redlich zu bezahlen, wen ich hatte schwindlen wollen, dan hatte ich es gemacht wen wen [!] ich den Elias auf meinem Auto nachdem ungfär 25 Kilometer entfernte S. Garlo [San Carlos] gefahren bin um das Geld zu holen u auf der rükreise mier das sämtliche Geld in die Hände gegeben hat ohne daß es ein einziger Mensch gesehen hat u auch der richtige Erben gewesen währe. Das macht mier mein Blut nich um einen eizigen grat wärmer.

(Lobhudelen u schimfha(..)sen (?) hat es zu jeder zeit gegeben.) Hier haben wir ein feuchtes Jahr bis dahin u nur noch kaum bemerkbare 3 Reifen gegeben. Hier hat es in einigen orten 150 milimeter geregnet. Rafaela ist ungefähr 65 Kilometer von hier entfernt / vor 41 Jahren war ich das erste mal dort / war war [!] es ein anfang von 4 oder 5 kleinen Häuschen u jetzt ist es als Stadt ernant worden u hat durch die 3 verschidene Eisenbahn großen Komers. Susanna [gemeint ist Susana; 50 km nordwestlich von SJN] hat keine Bahn, liegt 10 Kilometer sütlich von Rafaela u hat derweilen auch keinen Pfarrer u besteht auch schon 44 Jahre. Mit einem gutgesinten Gruß an Euch u der Gemeinde Vorstan (?) verpleibe ich euer untergebener Freund Franz Schalbetter

Der erste Brief ist eine Entschuldigungs-, besonders aber eine Rechtfertigungsrede. Im gleichen Satz, in dem Schallbetter vom Pfarrer die ihm zustehende Achtung fordert, spricht er Grengiols als arme Gemeinde an, der er kein Geld schuldig bleiben will. Das klingt gönnerhaft bzw. wie von oben herab formuliert. Der Schreiber definiert sich über seinen Wohlstand als Überlegener. Besonders auffällig ist der Satz, das mache sein Blut um kein Grad wärmer. Was er damit meint, ist nicht so eindeutig, wie es zuerst scheinen mag. Worauf bezieht sich das Pronomen „das"? Meint er mit dem Satz, Kritik beeindrucke ihn nicht, oder will er sagen, es mache ihm nichts aus, dass er einen (vermutlich) beträchtlichen Teil vom Erbe seines Onkels weitergeben muss, obwohl er der „richtige Erbe gewesen wäre"? – Unmittelbar davor schildert er die Umstände, wie ihm Elias Ambords vor Jahren im Auto sämtliches Geld, das dieser noch besass „in die Hände" gab, dass es demnach ohne Zeugen geschah und Ambord ihm ohne schriftlichen Beleg vertraute. Zweifellos soll das Beweis sein für seine Ehrlichkeit, ähnlich wie bereits Josefine Imhof argumentiert hat. In der Kolonie wussten die Leute, dass Elias Ambord nahezu sein gesamtes Barvermögen der Kirche in Grengiols vermachte. Wie viel Geld er jedoch um 1920 herum auf der Bank in San Carlos noch liegen hatte, als er von seinem Neffen dorthin gefahren wurde, konnte niemand wissen. Wenn Schallbetter hätte „schwindeln" wollen, hätte er das gefahrlos tun können. Dass er es tat, ist nicht anzunehmen. Der oben diskutierte Verteidigungsrede von Frau Imhof darf man durchaus Glauben schenken. Wenn an seiner Ehrlichkeit Zweifel bestanden hätte, wäre entsprechende Vermutungen in den Briefen thematisiert worden. Ausserdem ist zu festzustellen, dass es hier nicht nur um das Ambord-Erbe geht, sondern auch um das von Alexander Perren, dem Schwiegervater von Maria Perren. Auch dieses nach Grengiols vererbte Geld wurde von Schallbetter verwaltet resp. ausgeliehen; im Juni 1926 war es noch immer nicht an den Empfänger weitergereicht worden. Wie wir wissen (Brief vom 19.11.1922) geht es auch hier um eine beträchtliche Summe, inzwischen um mindestens 15'000 Franken.

Aus all dem geht zweifelsfrei hervor, dass Franz Schallbetter ein geschäftstüchtiger Mann ist, einer, der auch Steuern und Gebühren zu vermeiden versteht. Wie er am Briefanfang ausführt, wird statt eines amtlich beglaubigten Schuldscheins nur ein von Franz Zurbriggen angefertigtes und von einem Zeugen unterschriebenes Papier – Vollmacht genannt – ins Wallis geschickt.

Was trotz allem rätselhaft bleibt: Warum kann jemand, von dem es heisst er sein «furchbar nachlässig» in Erbsachen die dargestellte Rolle spielen? Darüber lässt sich nur spekulieren. Vermutlich spielen sowohl seine Kompetenz in Geldsachen als auch verwandtschaftliche Beziehungen eine Rolle.

Wenn man Schallbetters Hinweis, er sei vor 41 Jahren in Rafaela gewesen, und Frau Imhofs Information vergleicht, er habe minderjährige Kinder, fragt man sich, wie alt Schallbetter eigentlich ist. Weiter oben äusserte ich die Vermutung, er sei als junger Mann mit Bruder und Schwester nach Argentinien ausgewandert. Wenn er damals 15-jährig oder etwas älter gewesen war, müsste er nun über 55 sein. Wenn er trotzdem noch minderjährige Kinder hat, wie Josefine Imhof schreibt, dann hat er entweder erst sehr spät geheiratet, oder er ist Vater von einer grossen Zahl von Kindern, von denen einzelne noch nicht erwachsen sind. (Bekannt ist, dass zahlreiche Walliser Familien mit mehr als zehn Kindern nach Argentinien auswanderten, aber dass auch Kolonisten, die sich erst in Argentinien verheirateten, ähnlich viele Kinder hatten, lässt sich aus den Briefen nicht belegen.)

Und hier nun der letzte Brief von Franz Schallbetter, mit dem die Angelegenheit abgeschlossen wird (auch von Josefine Imhof sind keine weiteren Briefe vorhanden):

Sant Geronimo den 20 Ocktober 1926

Geachteter Herr u Freund!

Ich habe die von euch an mich übersante rechnung am 16 Ocktober erhalten. Ich habe Ihnen für die viele mühe u genaue ausfürung besten dank / auch der Franz Zurbrigen hat sich für unseren wechsel u umstende mit voller zufridenhei bedankt. Ich bitte um entschuldigung daß ich die sache erst nach 5 Tagen entrichtet habe, am 16 bin ich von einer reise von 200 k.m. entfernung zurückgekommen. Am anderen Tag wahr es Sontag, am Montag bin ich wieder aus wichtigen ursachen 100 k.m, weit mit dem Auto ausgefahren u am abend zurück, am Dienstag bin ich auf den Bank gefahren u unverrichteter sache nach Hause / heute Mitwoch bin ich wider hin u ist endlich ausgefertiget worden. Somit ligt das wechsel Papier n. 1 in diesem Brief um das Geld in den Bank in Brig zu entheben.

Hier haben wier jetzt die H Mision / Mit Gruß an euch u meine Ortsleute

Franz Schalbetter

Dazu bedarf es keinerlei Erläuterungen. Schallbetters Ausführungen sprechen für sich selbst.


  1. Über die Brüder Johannes und Lorenz Bodenmann aus dem Oberwalliser Dorf Grengiols sie das Einführungskapitel «Die Walliser Auswanderung ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Auskunft (letztes Drittel). ↩︎

  2. Ausführlicheres darüber erfährt man in der Lebensgeschichte von Johann Christian Theler, der 1892 mit seiner Familie von Ausserberg nach Santa Fe auswanderte und schliesslich in Ambrosetti Land erwerben konnte. ↩︎

  3. Basisinformationen über die Gemeinde, besonders zur Geografie, zur Geschichte und zur Bedeutung des Ortsbildes findet man im Wikipedia-Eintrag. ↩︎

  4. Das Waisenamt war eine Zuständigkeit der Gemeindebehörde. Sie klärte auch die Erbansprüche von Ausgewanderten und deren Nachkommen. ↩︎

  5. Die Schwestern des Schreibers unterscheiden sich anscheinend bezüglich ihres Vornamens nur dadurch, dass die im Wallis lebende mit Josefa einen zweiten Vornamen hat. ↩︎

  6. Vgl. das Kapitel «Enttäuschte Erwartungen: Rosalia Heimen aus Grengiols». ↩︎

  7. In den Briefen finden sich drei verschiedene Schreibweisen des Namens: Ambort, Ambordt und Ambord. Ich halte mich an die heutige Schreibweise. ↩︎

  8. Es sei zum Vergleich nochmals auf das damalige Lohnniveau im Wallis hingewiesen. Der Tageslohn eines Arbeiters betrug je nach Qualifikation zwischen zwei und vier Franken. ↩︎

  9. Zur Erinnerung: um 1857 umfasste die Kolonie 6'400 ha, die später um 3'800 ha erweitert wurde. ↩︎

  10. Allerdings ist zu bemerken, dass Maria Perren bemerkenswert schreibkompetent ist. ↩︎

  11. Was den Schluss zulässt, dass sein Bruder Alois um 1920 schon verstorben war. ↩︎

  12. $ Pesos = argentinische Pesos ↩︎

  13. Elias Ambord verstarb am 2. September 1922. ↩︎

  14. Dieser Brief ist nicht erhalten. ↩︎

  15. Man vgl. Schallbetters Brief vom 19.11.1922. Dort geht es ums Erbe von Alexander Perren, das ebenfalls testamentarisch der Grengjer Kirche vermacht ist. Auch dieses will er verzinsen, vorläufig aber nicht nach Grengiols überweisen. ↩︎

  16. Pfarrer Mathier dürfte davon die moralische Verpflichtung zum Spenden abgeleitet haben. ↩︎

  17. Das ist Sarkasmus im besten Sinne des Wortes. (Mit „etwas übrig haben für" meint Frau Imhof sowohl das Materielle wie die Denkart.) ↩︎

  18. Von den vermutlich zahlreichen Briefen an den Pfarrer sind demzufolge einige nicht erhalten geblieben. ↩︎

  19. Der Empfänger dürfte sich an dieser Stelle gefragt haben, ob er das als weitere Provokation oder als Beschwichtigung verstehen soll. ↩︎

  20. In den Migrantenbriefen werden die Formen dieses Pronomens häufig grossgeschrieben, auch wenn sie nicht als Höflichkeitspronomen gemeint sind. ↩︎