Da war einmal eine Revolution

22. Januar 2012

In Nicaragua herrscht gegenwärtig und schon länger ein unheilvoller Pakt zwischen dem (ehemaligen?) Sandinisten Daniel Ortega und dem ehemaligen Somoza-Mann Arnoldo Alemán. Es ist in der Tat schwer nachvollziehbar, dass u. wie die sandinistische Revolution unter Daniel Ortega und Ernesto Cardenal, die 1979 die Somoza-Diktatur gestürzt hatte, inzwischen verraten worden ist. Viel zum Destaster beigetragen hat Ronald Reagan, als er 1981 die Contras massiv zu unterstützen begann. (Er tat das illegal.) Den Rebellen fielen bis 1990 beinahe 30000 Menschen zum Opfer. Zuvor hatten die Sandinisten u. A. ein einzigartig erfolgreiches Alphabetisierungsprogramm gestartet, wie es noch nie einem Entwicklungsland zuvor gelungen war. Der Bürgerkrieg verschlang nun all das Geld, das in die weitere Entwicklung hätte gesteckt werden sollen. 1990 war die Wirtschaft am Boden, und Ortega verlor die Präsidentschaftswahlen gegen die rechtsliberale Violeta Chamorro. Bis 2006 sanierte die konservative Regierung die Staatsfinanzen nach Vorgaben des IWF. Nicaragua war wieder auf dem Stand von 1979 und wies eine Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von 835 Dollar im Jahr auf (nach Haiti war es jetzt das zweitärmste Entwicklungsland Lateinamerikas).

Dass Ortega 2006 wieder an die Macht kam, verdankte er dem schon erwähnten Paktieren mit Alemán während dessen Regierungszeit (1997-2006).  Alemán sanierte in dieser Zeit nämlich auch die eigenen Finanzen beziehungsweise die seiner Partei, anders gesagt, er plünderte die Staatskasse. Dafür wurde er später zu 20 Jahren Haft verurteilt, musste aber die Strafe nicht absitzen, weil das von sandinistischen Richtern verhindert wurde. Hoppla! wie soll das gehen? Im Gegenzug senkten Alemáns Liberalkonservative die Verfassungshürde für die Präsidentschaftswahl. So verhalfen sie und nicht die Armen Ortega wieder zur Macht.

Parteiwerbung an einer Fassade in San Carlos.
Parteiwerbung an einer Fassade in San Carlos.

Die Sandinisten treten auch heute vordergründig radikal auf, arbeiten aber in Wirklichkeit mit den korrupten Rechten zusammen. Inzwischen wächst der Unmut über den Pakt, was an der Parteienzersplitterung sichtbar wird. Die ehemaligen Mitstreiter Ortegas, vor allem die Brüder Cardenal, der damalige Vizepräsident Sergio Ramirez und die Gesundheitsministerin Dora Maria Téllez sind längst in Distanz gegangen zu Ortega beziehungsweise aus der Partei geworfen worden. Von den Wahlversprechen beziehungsweise Zielen – Zitat: „Null Hunger, null Arbeitslosigkeit“ – ist Nicaragua weit entfernt. Nahezu die Hälfte der 5 Millionen Einwohner leben in extremer Armut. (Davon haben wir erste Zeugnisse gestern auf der Flussfahrt gesehen: Es stehen da an Ufernähe manchmal Bretterverschläge auf 2-Meter-Stelzen. Oben bloss eine Holzplattform, mit Blech überdeckt. Nicht mal durchgehende Wände. Bewohnt nicht von irgendeinem Outdoor-Freak, sondern von jeweils einer Familie mit Kindern.

Wir reisen durch Nicaragua nicht trotz dieser Umstände, sondern wegen ihnen. Wir wollen selber erfahren, wie die Menschen hier leben.