Nachtrag zum Mittwoch, 25. Januar

27. Januar 2012

Am Mittwochnachmittag wurden wir innerhalb von kurzer Zeit Zeugen von  zwei  Ereignissen wahrhaft kultischen Charakters, die gegensätzlicher nicht sein könnten und von uns trotzdem als Analogien wahrgenommen wurden. Beim Besuch der Kathedrale von Granada* hören wir eigenartig repetitiven und doch betörenden Gesang. Vor einem Nebenaltar knien zahlreiche Frauen und 2, 3 Männer. Die Frauen singen inbrünstig. Angeleitet werden sie von einem Chor, den sie ab Lautsprecher hören und begleiten.  Von Zeit zu Zeit strecken sie ihre Arme gegen den Altar aus. Wem ihre Verehrung gilt, Jesus, Maria oder der von Papst Johannes Paul dem II. selig gesprochenen Nonne aus der Gegend, können wir nicht ausmachen. (Einige Frauen tragen einen Umhang mit dem Bild der Nonne.) Das Ganze ist zwar, sachlich betrachtet, eine Endlosschlaufe, aber es führt die Frauen, wie es scheint, in einen tranceähnlichen Zustand. Beeindruckend auch deshalb, weil sie daraus eine Art Lebenssinn zu gewinnen scheinen!

Wenig später hörten wir aus einiger Distanz Leute etwas enthusiastisch feiern. In einem Strassencafé schauten sie den Fussballmatch zwischen Barcelona und Madrid. Alle waren sie offensichtlich Barça-Fans. Sie erlebten eigentliche Glücksmomente, weil Messi und Co. in der ersten Halbzeit zwei Tore schossen. Ihre Glücks-Eruptionen waren beide Male unbeschreiblich. Die Menge schien jedesmal zu einer einzigen Person zu verschmelzen. Solch ein Strahlen in den Gesichtern! Auch der Kellner war aus dem Häuschen: er kommentierte von der Eingangstür her – dort stand das TV-Gerät – die beiden Goals körpersprachlich. Einfach umwerfend. „Die Madrilenen haben wir im Sack“, wird es wohl gemeint haben. 

Die Menschenmenge erstreckt sich bis auf die Strassenmitte.
Die Menschenmenge erstreckt sich bis auf die Strassenmitte.

Das Verehren der religiösen Idole in der Kathedrale und der sportlichen in der Gartenbeiz hatte beide Male ähnliche kultische Züge. Ist das lateinamerikanische Leidenschaft und/oder Ersatz für fehlende persönliche Perspektiven?    

Übrigens lief der Match auch im Fernseher des Hostels. Dort waren die Reaktionen  verhaltener. Den Normen angepasst eben.  Madrid schoss in der 2. Halbzeit seinerseits zwei Tore, so dass  die Partie 2:2 endete. Leider konnten wir die Reaktionen der Nicaraguaner und Nicaraguanerinnen nicht beobachten.  Vielleicht war es aber gut so; die Dämpfer hätten wir ihnen ja nicht gönnen mögen. 

*Granada soll die älteste europäische Stadt auf dem amerikanischen Kontinent sein. Die Kathedrale wurde offenbar schon fünf Jahre nach der Gründung der Stadt (1524) erstmals erbaut.