Ausbildung, Militärdienst, erste Berufserfahrungen

5. Juni 2021

Der Vater erkannte schon früh das Geschick des Sohnes, mit einfachstem Werkzeug Holz zu bearbeiten. Als dieser einmal auf die hauseigene Schnapsbrennerei aufpassen musste, vertrieb er sich die Zeit, mit dem sägebestückten Sackmesser aus Kistenbrettern eine Spielzeug-Kommode mit drei Schubladen zu ‘schreinern’. Vom Ergebnis beeindruckt, entschloss sich der Vater, ihn nach Ried-Mörel zu einem Schreiner, einem älteren Junggesellen, in die Lehre zu geben. Viel lernte er dort nicht. Wir erfahren wenig über den kurzen Aufenthalt, z.B. dass der Lehrling für sich selber kochen musste und dass der Meister dem Kaffee-Schnaps leidenschaftlich zugetan war. Als der Bursche wenige Monate später die Weihnachtszeit zu Hause verbrachte, vertrug er das dortige Essen nicht mehr, worauf er fünf Wochen krank im Bett lag. In solchen Verhältnissen, schreibt er, habe man auf weitere Lehrzeit verzichtet. Beim nächsten Lehrmeister ein Jahr später in Visp ging es ihm kaum besser. Statt in der Werkstatt zu lernen, musste der Junge im Sommer tagsüber heuen und emden, im Herbst Kartoffeln ernten und im Winter im Wald holzen. Abends nach dem Nachtessen wurde er dann noch in die Werkstatt geschickt. Dort musste er Holz sägen und grobe Bretter hobeln. Und so ging die meiste Zeit 6 Monate lang, ohne etwas Ordentliches als Schreiner zu erlernen.

In der Rückschau beschreibt er, wie er das Lehrverhältnis beendete:

Ausserdem war ich noch traktiert vom Dienstmädchen, welches wahnwitzig obendrein noch weinte, wenn [der] Schreinermeister, der Witwer war, [sagte], er werde sie heimführen. Wenn der Meister abends nach dem Nachtessen, als wir müde aus dem Wald kamen, mich noch am Tisch einnickten liess, so polterte die Dienstmagd und sagte mir barsch: «Weisst du nicht, was zu tun ist in der Werkstatt?»

Eines Abends folgte ich wie immer diesem Befehl. Mit hängendem Kopf ging ich in die Werkstatt und sollte Bretter zurechtschneiden. Aber ohä, anplatz [statt] Bretter zurechtzuschneiden, schreibe ich auf 2 gehobelten Brettchen mit Bleistift einen Brief vor, denn vom Meister hatte ich nichts zu fürchten, dass er etwa in die Werkstatt komme, weil in solchen Abenden nach strenger Arbeit der Meister ganz gut wusste, dass Ausruhen am Platz war.

Um 10 Uhr (wie immer) schloss ich die Werkstadt und ging in mein Schlafzimmer, das [heisst] vom Gang in die Küche und von der Küche in das Zimmer. Es war Januar, (mitten im Winter.) Die 2 überschriebenen Bretter nahm ich ins Zimmer als Vorschrift. In meinem Grimm fertigte ich einen Abschiedsbrief mit den angegebenen Gründen und packte alle meine Siebensachen in 3 Nastücher [Taschentücher]. Morgens in der Frühe nahm ich Reissaus, hinterlassend die leeren Koffer und den Brief.

[...] Meine stolze Absicht war: [...] Das Brot verdiene ich schon, ich nehme Arbeit, was ich bekomme, wenn möglich in Sitten oder Monthey, da kannst noch Französisch lernen u.dg. Geld hatte ich nur einige Fr., ich wusste oben in Gampel eine Familie, die wird mir gewiss 10 Fr. borgen, um nach Sitten oder Monthey zu fahren.

Nach einem Fussmarsch erreichte er Gampel, bekam dort von einer befreundeten Familie tatsächlich zehn Franken, was ihm erlaubte, mit der Bahn nach Sitten zu fahren. Arbeit bekam er in keiner der beiden Schreinereien, wo er vorsprach. Weil er mit Monthey liebäugelte, machte er sich nicht viel aus den Absagen, denn ich wusste dort einen Landjäger aus Ausserberg. Der wird ganz gewiss dafür sorgen, dass ich für den Winter irgendeine Beschäftigung finde und, was mir sehr als Vorteil vorschwebte, Französisch lernen.

Er wurde wie erwartet freundlich aufgenommen, bekam zu essen und ein Bett für die Nacht. Nach dem Frühstück am nächsten Tag begleitete ihn Landjäger Schmid zum Bahnhof, wo er eine Fahrkarte Monthey – Raron einfach lösen sollte. Die zwei Franken, die ihm fehlten, streckte ihm der Begleiter vor. (Dein Vater gibt mir dann die 2 Fr. schon zurück) Beim Frühstück hatte ihm der Polizist erklärt:

«Siehst du, lieber Junge, du bist noch minderjährig, hast keine Ausweispapiere und bist ohne Einwilligung deiner Eltern hier. Das geht absolut nicht. Siehst, ich bin jetzt in der Lage und könnte dich jetzt zum nächsten Landjägerposten führen und so überführen zu lassen von einem Posten zum anderen, alles zu Fuss bis Ausserberg zu deinem Vater. Dies alles auf Kosten deiner Eltern. So kannst jetzt froh sein, dass ich das nicht mache, dir und deinen Eltern zuliebe. Nun, machen wir’s jetzt lieber unbemerkt per Bahn, damit dich kein anderer Landjäger erwischt.

Das habe genügte, um Französischlernen zu vergessen. Auf dem Heimweg überkam ihn die Angst vor der Reaktion des Vaters. Sie war unbegründet. Als ich in die Stube eintrat, wie erstaunt war ich. Der Vater lächelte und frug1 mich: «Wohin bist du gezogen?» Als er seine Abenteuer erzählt hatte, wurde er vom Vater willkommen geheissen. Gott sei Dank, dass du wieder hier bist, wir haben Arbeit und Brot.

Diese Lebensphase verdeutlicht ein paar charakterliche Eigenheiten des jungen Johann Christian Theler. Als Selbsthelfer scheute er sich nicht, seine Wünsche auf ungewohnten Wegen zu realisieren. Von der Lehrstelle lief er auch nicht einfach davon. Er brachte seine Enttäuschung zu Papier und liess das Blatt als Abschiedsbrief zurück. Das tat er ohne Rücksprache mit dem Vater.2 Ebenso erstaunlich ist, dass er, ohne Französischkenntnisse zu haben, nach Sitten fuhr und dort Arbeit suchte. War dies Ausdruck eines ausgeprägten Selbstwertgefühls schon im jugendlichen Alter? Oder war der junge Hanschristi ein Springinsfeld, der sich über die Folgen seiner Entscheidungen wenig bis gar keine Gedanken machte, bzw. sich von seinem ungebändigten Optimismus leiten liess. Thelers weitere Unternehmungen im Verlaufe seines Lebens nähren die zweite Hypothese.

Zur Leitlinie wurde dem jungen Burschen auch, dass er sich ab da praktisch sein Leben lang autodidaktisch fortbildete. Weitere Lehrmeister wurden nicht gesucht. Ab jetzt schaute Theler genau hin, wie Schreiner und Zimmerleute arbeiteten. Er fragte auch, wie man dieses oder jenes mache*,* und, so schreibt er, *scheute* [ich mich] *nicht zu stehlen mit den Ohren und Augen, was ich nur konnte, so dass mir jeder Wink zu Nutzen kam und doch im Laufe der Zeit Schreinerarbeiten liefern konnte, die mir zur Ehre reichten.*

Das notwendigste Schreinerwerkzeug kaufte ihm der Vater, den Rest fertigte er selber an. Zu einer Art Gesellenstück wurde der neue Fussboden im Elternhaus in Eggerberg3, der sich auch ein halbes Jahrhundert später noch sehen lasse, wie der 73-Jährige festhält. Das gab ihm Zuversicht und führte dazu, dass er auch für andere arbeiten konnte, ja, als Schreiner begehrt wurde. Bald schon fertigte er auch Stubentüren und Fenster an, und es wurden ihm Arbeiten in der Pfarrkirche Mund anvertraut. Als Störschreiner baute er in der Folge ganze Wohnungen aus, und sogar Möbel bestellte man bei ihm.

Einen Unterbruch in seiner Arbeit als Störschreiner bedeutete der Militärdienst. Die Rekrutenschule im Jahr 1886 nutzte der junge Mann als Ausbildungschance. Er wurde der Genie-Truppe zugeteilt und verbrachte seine RS in Liestal. Die Genie-Rekruten arbeiteten zur Hauptsache mit Holz, was dem bisher noch zu wenig kompetenten Schreiner entgegenkam. Damals dauerte die Grundausbildung je nach Waffengattung unterschiedlich lang. Nach Liestal rückte man für 50 Diensttage ein.

Einmal mehr wartete der Vater im Vorfeld mit Ratschlägen und Warnungen auf. Er fürchtete, der Sohn könnte mit ungezügelten, verschwenderischen Kameraden Umgang pflegen statt mit solchen, die gehorsam, sparsam [waren] und in gutem Ruf standen. Wer im Militärdienst sich nicht zu beherrschen weiss, für den ist seine ganze Zukunft eine verfehlte. So drastisch der Vater. Die Furcht war unbegründet. Der junge Theler nutzte die Gelegenheiten zu praktischer Ausbildung und theoretischer Bildung. Die jungen Männer hatten sowohl über die Mittagszeit als auch abends Ausgang. Statt während dieser Zeit mit Bier den Durst zu stillen wie die meisten anderen, beschäftigte er sich mit Werkzeugen, besonders mit Mess- und Nivellierinstrumenten. Abends begab er sich in den Theoriesaal, weil es für ihn da viel zu Lockendes an Lektüren und Zeichnungen gab. Er las und fertigte für sich Zeichnungen an. Am Ende der RS zog er eine entsprechen positive Bilanz: Das Militärlen war mir gute Bildung. – Sein Eifer wurde honoriert; er sollte seinen weiteren Militärdienst als Unteroffizier leisten. Das galt zu dieser Zeit gerade in ländlichen Gegenden als besondere Auszeichnung.4

Das Taschengeld, das ihm der Vater in die Rekrutenschule mitgegeben hatte, erhielt dieser zurück, als der Sohn aus Liestal heimkam. Sogar Sold hatte er ansparen können. Damit kaufte der junge Mann für die Eltern und die Geschwister kleine Geschenke.


  1. Diese Präteritumsform ist insofern bemerkenswert, als Theler sonst im Präteritum auch starke Verben so gebraucht, als wären es schwache, z.B. er pfeifte statt er pfiff. ↩︎

  2. Was heute seltsam anmutet, scheint damals – zumindest im Oberwallis – die kulturelle Norm gewesen zu sein: Auch Familienangelegenheiten wurden allein vom Ehemann und Vater entschieden. So ist die Mutter in Thelers „Lebens Erinnerungen" nahezu inexistent. (Darüber später mehr.) ↩︎

  3. In Eggerberg hatte die Familie Theler ihren Zweitwohnsitz. Sie bewirtschafteten dort einen Rebberg. Ob sie da auch Viehweiden hatten, ist nicht bekannt. ↩︎

  4. Dass das auch mehr als ein halbes Jahrhundert später noch ähnlich war, beschreibt Karl Imhof, der langjährige Gemeindepräsident und Gemeindeschreiber von Binn. (In: Gerold Koller. Das Binntal. Exkursionen durch die Zeit, Baden 2014, S. 117.) ↩︎