Zweite Rückwanderung in die Schweiz

16. Juni 2021

Obwohl er nach neun Jahren der Kolonisation in Cuña Pirú eine positive Bilanz hat ziehen können, gebraucht er in den Aufzeichnungen kurz danach zum zweiten Mal die Formulierung: So wurstelten wir 9 Jahre lang, bis ich wieder den Löffel fallen liess und davonlief. Er verwendet denselben pejorativen Ausdruck wie seinerzeit für die Arbeit als Ackerbauer und Viehzüchter in Ambrosetti. Tatsächlich entwickelten sich der Jerba-Anbau wie die Viehzucht und die Milchwirtschaft durchaus erfreulich. Zur zunehmend grösseren Belastung wurde der Umstand, dass die anfallende Arbeit von immer weniger Händen getan wurde. Nacheinander verliessen vier der fünf Töchter Cuña-Pirú. Von Maria, der Viertältesten, schreibt ihr Vater, sie sei weggelaufen. Sie war ungefähr 30 und hatte vermutlich genug davon, täglich vom Morgen bis zum Abend neben dem nimmermüden Vater schwere körperliche Arbeit zu verrichten. In Cuña-Pirú hatte sie kaum eine Zukunft. Da sie in Ambrosetti geboren und aufgewachsen war und anschliessend ein Jahrzehnt in Naters gelebt hatte, war sie perfekt zweisprachig. Im Wallis war sie überdies mit dem Gastgewerbe vertraut geworden. Wohl deshalb nahm sie im 80 km entfernten Candelaria Wohnsitz1, wo sie eine Zeit lang wie mindestens zwei ihrer Geschwister eine Pension führte. Ich habe schon erwähnt, dass sie unter den Namen Maria Stucki-Theler in der Geschichte des Gasthauses resp. Hotels beim Bahnhof Ausserberg als Pächterin genannt wird. Wenn hier kein Irrtum vorliegt, muss sie nach ihrer Zeit in Candelaria ins Wallis zurückgekehrt, dort geheiratet und das Restaurant von ihrer Schwester Mathilde übernommen haben.

Die Töchter und Schwiegersöhne des Ehepaars Theler 1923 (von links nach rechts): Isabella, Luzia, Katharina, Anna, Maria, Kresenzia, Karl Krumkamp, Euphrosina, Theophil Werlen, Regina, Jakob Nobs.
Die Töchter und Schwiegersöhne des Ehepaars Theler 1923 (von links nach rechts): Isabella, Luzia, Katharina, Anna, Maria, Kresenzia, Karl Krumkamp, Euphrosina, Theophil Werlen, Regina, Jakob Nobs.

Ihre drei 12 bis 15 Jahre jüngeren Schwestern Anna, Katharina und Lucia hatten geheiratet und waren von Cuña-Pirú weggezogen, so dass Johann Theler und die Tochter Isabel nun die einzigen Arbeitskräfte auf der Farm waren. Die Arbeit wuchs den beiden über den Kopf. Die Ehefrau und Mutter Maria Josepha kränkelte schon während längerer Zeit. Eine Diagnose vermochte der Provinz-Arzt nicht zu stellen. Aus Zürich hatte ihnen Tochter Veronika in der Zwischenzeit vorgeschlagen, in die Schweiz zurückzukehren und wegen besserer ärztlicher Versorgung in Zürich Wohnsitz zu nehmen. Im familieneigenen Importgeschäft gebe es Arbeit für den Vater und die Schwester. In der Folge entschloss sich das Ehepaar Theler, die Farm zu verlassen und gemeinsam mit Isabel in die Schweiz zurückzukehren. Den Schwiegersöhnen Krumkamp und Werlen wurde sämtliches Land, 96 Hektar, Betriebsmaterial und Viehstand, 50 Stück an der Zahl (…) zur Verwaltung übergeben.

Was den Farmbetrieb anging, so wurde für die Vieh- und Milchwirtschaft eine Familie eingestellt. Mit den zwei Schwiegersöhnen schloss Theler einen Sechs-Jahres-Vertrag. Darin wurde festgehalten, die Einnahmen seien vollumfänglich (aber nicht darüber hinaus) in den Betrieb zu investieren, insbesondere in die Pflege resp. Kultivierung der Jerba-Pflanzungen, in die Verbesserung der Weideflächen und in die Förderung des Viehstands.

Ein Jahrzehnt später zieht der Chronist ein betrübliches Fazit: Heute ist das Land zur Verwaltung in fremder Hand. Auf Erwartung, es würde doch niemals etwas einbringen. Krumkamp ist tot, Werlen davongelaufen. Viehstand ist kein Stück mehr da. Was die bauliche Infrastruktur und die Pflanzungen betraf, so seien diese sehr verhunzt und vernachlässigt.2

Und was war aus der Farm in Ambrosetti geworden? Die hatte Theler verkauft, vermutlich zu dem Zeitpunkt, als sie rekultiviert war und Sohn Joseph sich wie sein Bruder Meinrad in Buenos Aires niederlassen wollte. Im Vergleich zum im Jahr 1909 verlangten Preis von 48'000 Pesos war der schliesslich erzielte Erlös von 40'000 Pesos beachtlich (was auch dafür spricht, dass die jahrelange Rekultivierung erfolgreich war). Die Hälfte der Summe investierten sie in Cuña-Pirú, 14'000 Pesos nahm das Ehepaar nach Zürich mit, und den Rest von 12'000 Franken habe er, schreibt Theler, verbraucht, verloren und angelegt.

Schon zu Beginn der Rückreise gab es bezüglich Maria Josephas Krankheit Entwarnung. Ein Arzt in Buenos Aires diagnostizierte ihr Übel als Diabetes. Weil sie sich bis zu diesem Zeitpunkt falsch ernährt hatte, war der schlechte Zustand noch verschärft worden. Ab jetzt hielt sie Diät. Das brachte die Beschwerden fast ganz zum Verschwinden. Jedenfalls, berichtet der Ehemann, hätten sie 1938 bei bester Gesundheit goldene Hochzeit feiern können.

In Buenos Ayres hatten wir nicht nur Glück gehabt, dass die Krankheit der Mama entdeckt wurde, wir waren auch glücklich, dass unser Sohn Meinrad mir angeraten hatte, mein Guthaben von 14'000 Pesos, die ich an Sedular (Staatsgelder, Staatsgutscheine) angelegt hatte, zu verkaufen und mitzunehmen.

Für diese Sedular wurde regelmässig 6 % Zins ausbezahlt, jedes halbe Jahr. So hatte ich Lust, das Geld in Argentinien zu lassen und unbekümmert dem Papa Staat anvertrauen wollen. Meinrad dachte anders und sagte mir: Nimm dieses Geld mit, man kann dieser Bande nicht trauen, die gegenwärtig am Ruder sind. Wirklich, die Regierung [...] ist gestürzt worden, und die Sedolar sind futsch. Heute hätte ich nichts davon. Dazumal gab der Peso 2 Schweizer Fr., und so bekam ich 28'000 Fr., die ich seither, hier in Zürich als Kapital versteuere.

Gute Fahrt machte wir auf einem (Einheitsdampfer) Monte Sarmiento bis Hamburg. Unser Sohn Johann mit Frau Alis [Alice Wiskemann] aus Berlin und unsere Tochter Veronika mit Neffe Viklos [?] aus Zürich kamen auf Deck zu unserem Empfang. Das war ein angenehmes Zusammentreffen. Tochter Veronika mit ihrem Gemahl Bonizzi haben in Zürich ein blühendes Lebensmittelimport-Geschäft. In dies Geschäft wurde ich eingestellt als Magazin Gefl. [Gehilfe?] und Isabel3 fand Verwendung [!] im Bureau. Jetzt, nach 9 Jahren, sind wir noch im selben Dienst.

Das Ehepaar Theler verbrachte den Lebensabend in Zürich. Maria Josepha verstarb am 30. Januar 1948 im 81. Altersjahr; Johann Christian verstarb, 89-jährig, am 9. März 1955. Acht ihrer 13 Kinder blieben in Argentinien. Deren Nachkommen leben weiterhin dort.4


  1. Die Kleinstadt liegt in der Nähe der Provinzhauptstadt Posadas direkt am Rio Paraná. ↩︎

  2. Auch heute noch besitzen Nachkommen der Familie Theler Grund und Boden in Cuña-Pirú. So der in der Schweiz lebende Enkel René, der Sohn von Hans Theler, ein grosses Waldstück an der Grenze zu Parguay. Gemäss eigener Angabe ist er seit Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr dort gewesen. ↩︎

  3. Isabel ist die jüngste Tochter, die mit den Eltern in die Schweiz zurückreiste. ↩︎

  4. Über zwei seiner in der Schweiz lebenden Enkel, René und Juan Ramon Theler, gibt es zahlreiche Texte im Netz. Über René Theler gibt es einen Wikipedia-Artikel. ↩︎